Lebensversicherungen sollen beim Tod der versicherten Person einen nahen Angehörigen wirtschaftlich absichern. Hinterlässt der Verstorbene aber hohe Schulden, bleibt dem Begünstigten auch die Versicherungssumme nicht erhalten. Dabei wäre das leicht zu verhindern – wenn die Versicherer ihre Kunden ordnungsgemäß aufklären würden, meint Herbert Grziwotz.
Der Fall ist angesichts ca. 3.000 Nachlassinsolvenzen pro Jahr in Deutschland nicht selten: Eine hoch verschuldete Person stirbt. Die zur Erbin eingesetzte Ehefrau steht vor dem Nichts. Allerdings findet sie die Police einer Lebensversicherung, in der sie als Bezugsberechtigte eingesetzt ist. Die Versicherungssumme fällt nicht in den Nachlass, sondern die Witwe erhält sie direkt aus dem Vertrag mit der Versicherungsgesellschaft. Denn dabei handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter. Also doch (fast) alles wieder gut?
Ist der Nachlass allerdings überschuldet, wird die Versicherungssumme so behandelt, als habe die Versicherungsgesellschaft sie an den Nachlass ausgezahlt und dieser sie sodann an die bezugsberechtigte Ehefrau weiter überwiesen (Bundesgerichtshof (BGH), Urt. v. 23.10.2003, Az. IX ZR 252/01). Das bedeutet, dass die Versicherungssumme so gestellt wird, als sei sie der Nachlassmasse entzogen worden.
Der Insolvenzverwalter kann die Leistung an die Witwe damit anfechten, die
dann keinen Cent erhält. Mit der Versicherungssumme, die der Verstorbene vielleicht jahrzehntelang eingezahlt hat, um seine Ehefrau abzusichern, werden nun seine Gläubiger bezahlt.
Dieses für die Betroffenen dramatische Ergebnis ist allerdings keineswegs zwingend. Der Versicherungsnehmer, der den Angehörigen absichern will, kann das Problem umgehen, indem er diesen unwiderruflich zum Bezugsberechtigten aus der Lebensversicherung einsetzt.
Es könnte so einfach sein: Die unwiderrufliche Bezugsberechtigung
Dem Insolvenzverwalter sind bei einer solchen unwiderruflichen Bezugsberechtigung die Hände gebunden. Er kann die Auszahlung der Versicherungssumme an die Witwe nicht anfechten, jedenfalls wenn die Änderung der Bezugsberechtigung rechtzeitig vor dem Tod erfolgt. Obwohl der BGH das im Jahr 2003 mit der genannten Entscheidung klar stellte, haben die Versicherer aber ihre Hinweise nicht angepasst.
Die Allianz Versicherung weist zwar nach eigenen Angaben ihre Kunden im Rahmen der Beratungsgespräche auf das Problem hin. Den Versicherungsnehmern würden zwei Optionen zur Wahl gestellt, so der Versicherer auf Nachfrage von LTO: Sie könnten ihren Angehörigen entweder widerruflich oder unwiderruflich als Begünstigten bestimmen. Sollten sich darüber hinaus Fragen im Hinblick auf eine Nachlassinsolvenz ergeben, werde dem Kunden empfohlen, zur Beratung einen spezialisierten Rechtsanwalt aufzusuchen.
Was vielversprechend klingt, scheint in der Praxis allerdings anders auszusehen. In den Antragsformularen der großen Versicherer wird die Wahlmöglichkeit nicht einmal erwähnt. Dies gilt sowohl für den Abschluss der Versicherung als auch bei späteren Änderungen. Die Formulare sehen nur vor, den Bezugsberechtigten widerruflich als solchen einzusetzen. Eine unwiderrufliche Bezugsberechtigung müsste also handschriftlich ergänzt werden.
Ob der Berater den Kunden auf diese Möglichkeit überhaupt hinweist, darf man bezweifeln, jedenfalls wird es im Nachhinein schwer nachvollziehbar sein. Der Vordruck der "Beratungsdokumentation", die sämtliche Versicherer erstellen, um den Verlauf des Beratungsgesprächs festzuhalten, sieht die Alternative der unwiderruflichen Bezugsberechtigung und damit die Wahlmöglichkeit des Versicherungsnehmers gar nicht vor. Weist der Versicherungsvertreter aber auf diese und ihre Konsequenzen nicht hin, wird sich der Versicherte eher keine Gedanken über die Folgen einer Nachlassinsolvenz machen. Die Witwe hat dann mit einer bösen Überraschung zu rechnen. Statt der durch den Abschluss der Lebensversicherung erhofften finanziellen Absicherung steht sie vor dem Nichts.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
Herbert Grziwotz, Falschberatung bei Lebensversicherungen: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6564 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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