Weil das EuG die Auswirkungen Intels umstrittener Treuerabatte für Hersteller und Händler nicht konkret analysiert hat, muss es erneut über die Rekordgeldstrafe entscheiden, urteilte der EuGH. Christian Karbaum mit dem Hintergrund zum Fall.
Der Streit um das seinerzeit höchste Einzelbußgeld in der Geschichte der Europäischen Kommission geht weiter: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hob das Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) auf, mit dem die von der Kommission gegen den Computer-Konzern Intel wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung verhängte Geldbuße in Höhe von 1,06 Milliarden Euro bestätigt worden war (Urt. v. 06.09.2017, Az. C-413/14 P).
Die Europäische Kommission hatte das Bußgeld verhängt, weil Intel durch die Verwendung von Treuerabatten eine marktbeherrschende Stellung missbraucht habe. Das EuG hatte die Klage gegen diese Bußgeldentscheidung abgewiesen. Sowohl Kommission als auch EuG hatten den Marktmachtmissbrauchsvorwurf maßgeblich mit der nur theoretischen Eignung von Treuerabatten zur Beschränkung des Wettbewerbs begründet. Diese seien "ihrer Art nach" wettbewerbsschädlich, eine nähere Prüfung wettbewerbsbeschränkender Effekte somit entbehrlich.
Mit der Zurückverweisung bleibt der EuGH seiner bisherigen Rechtsprechung treu. Danach müssen die tatsächlichen Auswirkungen von (häufig umstrittenen) Treuerabatten nur geprüft werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Wettbewerb in der Praxis doch nicht beschränkt wurde. Für Intel verlängert sich der Schwebezustand damit um eine weitere Runde, in der nachgewiesen werden kann, dass die Treuerabatte den Wettbewerb nicht geschädigt haben.
Intel wollte Hersteller und Handel an sich binden
Ausgangspunkt des Verfahrens ist die Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission aus dem Mai 2009. Darin wurde Intel mit einer Geldbuße in Höhe von 1,06 Milliarden Euro belegt – zu dieser Zeit eine Rekordsumme, die zwischenzeitlich nur von der gegen Google verhängten Geldstrafe in Höhe von 2,42 Milliarden Euro übertroffen wurde. Intel habe seine marktbeherrschende Stellung durch die Verwendung von Treuerabatten missbraucht, um insbesondere den Wettbewerber AMD vom Markt zu drängen, so die Argumentation der Kommission.
Die missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung sei dabei durch mehrere Maßnahmen gekennzeichnet gewesen. So habe Intel vier führenden Computerherstellern (Dell, Lenovo, HP und NEC) Rabatte gewährt, die an die Bedingung geknüpft gewesen seien, dass sie alle oder nahezu alle x86-Prozessoren bei Intel kauften.
Außerdem habe Intel Zahlungen unter der Bedingung an den Elektronikhändler Media-Saturn geleistet, dass Media-Saturn nur Computer mit x86-Prozessoren von Intel verkaufe. Die Rabatte und Zahlungen haben nach Auffassung der Wettbewerbshüter die Treue der Hersteller und von Media-Saturn sichergestellt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenz erheblich verringert.
Abfuhr vor dem EuG
Die Klage von Intel gegen die Bußgeldentscheidung wurde abgewiesen. Das EuG bestätigte, dass es sich bei den von Intel gewährten Vorteilen um sogenannte Treue- oder auch Ausschließlichkeitsrabatte handelte. Diese Art von Rabatten sei mit dem Ziel des unverfälschten Wettbewerbs unvereinbar, weil sie den Marktzutritt von Konkurrenten erschwere und Wahlmöglichkeiten der Abnehmer beschränke.
Es handele sich daher um sogenannte Per-se-Verstöße, bei denen ein Rechtsbruch angenommen werden könne, ohne feststellen zu müssen, ob die Verhaltensweisen tatsächlich nachteilige Effekte auf den Wettbewerb hatten.
Zwar hatte die Europäische Kommission im Verfahren gegen Intel parallel auch eine genaue Wirkungsanalyse durchgeführt und in Anwendung des "AEC-Tests" (as efficient competitor test, zu dt. "Test des ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers") festgestellt, dass die Rabatte von Intel geeignet waren, Wettbewerber zu verdrängen. Auf eine solche Prüfung kam es aber nach Ansicht des EuG überhaupt nicht mehr an.
2/2: Richtungswechsel durch die Schlussanträge?
Intel legte gegen das Urteil des EuG Rechtsmittel ein. Daraufhin forderte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am 20. Oktober 2016 die Aufhebung des Urteils des EuG. Dieses hätte zwingend prüfen müssen, ob die von Intel verwendeten Treuerabatte wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hatten.
Dieser Vorschlag hatte für Aufsehen gesorgt, denn nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH war es in der Tat entbehrlich, wettbewerbsschädigende Wirkungen von Per-se-Verstößen nachzuweisen. Allerdings war gleichermaßen anerkannt, dass dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verhaltensweise tatsächlich keine wettbewerbsschädigenden Effekte hat, solche Wirkungen näher zu prüfen sind und ein Verstoß gegebenenfalls zu verneinen ist.
EuGH behält Rechtsprechung bei
Der EuGH folgt mit seinem Urteil den Schlussanträgen im Ergebnis, nicht aber in der Begründung. Zwar hoben die Luxemburger Richter das Urteil des EuG auf und verlangten von ihm, "das gesamte Vorbringen von Intel zu diesem Test [dem AEC-Test] - insbesondere zu den Fehlern, die die Kommission im Zusammenhang mit diesem Test begangen haben soll - zu prüfen, wovon das Gericht aber abgesehen hat." Der EuGH fordert sogar ausdrücklich, dass zu prüfen ist, "ob die streitigen Rabatte geeignet waren, den Wettbewerb zu beschränken".
Dabei sind die Luxemburger aber – anders als der Generalanwalt – nicht der Auffassung, dass stets zu prüfen wäre, ob Treuerabatte den Wettbewerb auch tatsächlich beschränken. Damit bleibt der Gerichtshof bei seiner bisherigen Rechtsprechung zum Fall Hoffmann-LaRoche (Urt. v. 13.02.1979, Az. C-85/76). Damals entschieden die Richter, dass eine Einzelfallprüfung wettbewerbsbeschränkender Wirkungen nur dann notwendig sei, wenn das betroffene Unternehmen belastbare Anhaltspunkte dafür beibringe, dass die vermuteten wettbewerbsbeschränkenden Effekte tatsächlich nicht gegeben sind.
Schuldprinzip wird gewahrt
Mit Blick auf den Fall Intel hätte das EuG also eine solche Prüfung durchführen müssen, weil auch die Europäische Kommission zumindest ergänzend auf die tatsächlichen Wirkungen der Rabatte abgestellt und einen AEC-Test durchgeführt hatte. Zudem hatte Intel die Klage gegen die Bußgeldbescheidung maßgeblich mit Fehlern begründet, die die Europäische Kommission in Anwendung des Tests begangen habe. Aufgrund dieser Umstände war eine Analyse konkreter Wirkungen damit geboten – aber eben nicht generell.
Es ist zu begrüßen, dass sich der EuGH nicht dem Urteil des EuG angeschlossen hat und bei seiner Linie geblieben ist. Ein Umschwenken hätte zur Folge gehabt, dass die Europäische Kommission – wie das Beispiel Intel zeigt – erhebliche Bußen verhängen darf, ohne prüfen zu müssen, ob der Wettbewerb überhaupt beeinträchtigt wurde - selbst wenn Anhaltspunkte für das Gegenteil bestehen. Dies wäre mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbaren. Einer prinzipiellen Abkehr vom sogenanntne more economic approach im Rahmen der Anwendung von Art. 102 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist damit ein Riegel vorgeschoben.
Der Autor Dr. Christian Karbaum ist Partner bei GLADE MICHEL WIRTZ im Bereich Competition. Er berät internationale Mandanten in Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts. Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen auf Bußgeldverfahren, Fusionskontrollverfahren und streitigen Auseinandersetzungen (vor allem im Bereich Kartellschadensersatz).
Dr. Christian Karbaum, EuGH zu Rekordbußgeld für Intel: Die Krux mit den Treuerabatten . In: Legal Tribune Online, 07.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24375/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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