EuGH rügt Übergangsregelungen im Glücksspielrecht: Ein Pyrrhussieg für Online-Sportwettangebote

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Kaum hatte der EuGH sein Urteil in Sachen Ince verkündet, standen für die meisten Kommentatoren die Gewinner fest: die privaten Glücksspielunternehmen. Dabei gilt das für die Online-Wettanbieter gerade nicht, meint Markus Ruttig.
So manch einer meinte, schon vor der Urteilsverkündung am 4. Februar gewusst zu haben, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem deutschen Glücksspielrecht insgesamt, zumindest aber mit dem inländischen Vergabeverfahren für Sportwetten-Erlaubnisse aufräumen würde.
Zu einem solch Großreinemachen ist es natürlich nicht gekommen. Und das liegt nicht nur daran, dass Entscheidungen aus Luxemburg sich zumeist recht sperrig lesen. Ein Grund dafür ist auch, dass der EuGH weder den Sachverhalt kontrolliert, den ihm das vorlegende Gericht mitteilt, noch die nationale Rechtslage überprüft. Die Richter unterstellen vielmehr als richtig, was ihnen in der Vorlage übermittelt wird.
Der vom vorlegenden Amtsgericht (AG) Sonthofen nicht sehr sorgfältig ermittelte Sachverhalt betraf zudem zwei unterschiedliche Zeiträume und damit verschiedene Rechtslagen. Extrem verkürzt wollte das AG vom EuGH wissen, ob bestimmte Regelungen des alten und des neuen Glücksspielstaatsvertrages eine Bestrafung von Sebat Ince nach § 284 Strafgesetzbuch (StGB) wegen der Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels hinderten. Denn diese Bestimmungen könnten gegen die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV verstoßen. Frau Ince betreibt in Bayern eine sog. Sportsbar, ihr wird vorgeworfen, Sportwetten an einen österreichischen Veranstalter zu vermitteln, ohne eine Erlaubnis dafür zu haben. Für Ince wie für viele andere terrestrische Wettanbieter ist die Entscheidung ein Etappensieg. Für die unzählbaren Online-Wettanbieter nicht.
EuGH: Rechtswidriges Sportwettenmonopol nicht richtig repariert
Aufs Wesentliche reduziert antwortete der EuGH, dass die Dienstleistungsfreiheit es den deutschen Behörden sowohl nach der alten Rechtslage verboten hat, als auch nach der neuen verbietet, private Wirtschaftsteilnehmer deshalb zu bestrafen, weil sie ohne eine deutsche Erlaubnis Sportwetten anbieten (EuGH, Urt. v. 04.02.2016, Az. C 336/14).
Zur Begründung heißt es: In der Vergangenheit, also unter Geltung des Glücksspielstaatsvertrages 2008 (GlüStV2008), hinderte das für europarechtswidrig befundene deutsche Sportwettmonopol die Strafverfolgung. Doch auch nach dem GlüStV2012 darf nicht bestraft werden, wer terrestrisch, also in herkömmlichen Offline-Wett-Annahmestellen Sportwetten anbietet, ohne im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis zu sein.
Denn der Gesetzgeber habe, so der EuGH, das europarechtswidrige Sportwettenmonopol im neuen Gesetz nicht hinreichend repariert. Stattdessen habe er es über die Übergangsregelungen in § 29 GlüStV2012 einfach bis zum Ende des neu eingeführten Konzessionsverfahrens fortbestehen lassen.
Die bloße Möglichkeit des neuen deutschen Rechts, Erlaubnisse zu erteilen, reicht folglich nicht aus, um vor Abschluss des Erlaubnisverfahrens repressiv tätig zu werden. Insoweit kann man durchaus von einem Sieg für die Glücksspielindustrie sprechen.
2/2: Was sich nun ändern wird: nichts
Doch was bedeutet das Urteil aus Luxemburg für das deutsche Glücksspielrecht darüber hinaus? Auf den ersten Blick nichts. Der EuGH hat sich im Vergleich zum bemerkenswert ungeordneten Vorlagekatalog des AG Sonthofen in seiner Entscheidung sehr kurz gefasst und sich auf drei Punkte konzentriert, von denen allerdings nur der gerade genannte noch das geltende Recht betrifft.
Über das umstrittene, zentral in Hessen organisierte Verfahren zur Erteilung der Erlaubnisse zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten verliert der EuGH dagegen in seinem Urteil so gut wie kein Wort. Die Luxemburger Richter stellen nur Selbstverständliches fest, wenn sie darauf hinweisen, dass ein solches Verfahren den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatszugehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot beachten muss. Ob diese Grundsätze eingehalten werden, wird das AG Sonthofen allenfalls am Rande prüfen, wenn überhaupt.
Um die Rechtmäßigkeit der hessischen Vergabeentscheidungen tobt ein erbitterter Kampf vor den hessischen Verwaltungsgerichten, der das Verfahren vorerst zum Erliegen gebracht hat - wenn auch aus ganz anderen Gründen, als dies das AG Sonthofen vermutete. Der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) beanstandete zuletzt allein, dass das nach dem GlüStV2012 für die Vergabe zuständige Glücksspielkollegium diese Entscheidung nicht treffen dürfe und setzte sich damit in offenen Widerspruch zum bayerischen Verfassungsgerichtshof - auch das ist ein Sieg der privaten Glücksspielindustrie. Am deutschen Sportwetten- und Glücksspielmarkt wird sich damit nach der Entscheidung des EuGH voraussichtlich überhaupt nichts ändern. Private Sportwettbüros mit Großbildschirmen für die verschiedenen Live-Wetten werden bundesweit auch weiterhin zum gewohnten Stadtbild gehören. Prominente Sportler werden auch weiterhin für unerlaubte Sportwetten- und Pokeranbieter werben - vor allem für Online-Angebote. Denn im Internet ist das Angebot von privat veranstalteten Sportwetten und Casinospielen noch viel größer und vielfältiger als in den lokalen Sportwettbüros oder den Gaststätten mit Wettannahmeterminals, wie sie auch Klägerin Sebat Ince betrieb.
Oder doch? Die Online-Wettanbieter in Theorie und Praxis
Doch genau für diese Online-Angebote, die – wenn man von Schleswig-Holstein absieht – ohne Erlaubnis deutscher Behörden stattfinden, weil das hessische Konzessionsverfahren stillsteht, könnte das EuGH-Urteil einen Wehrmutstropfen bedeuten. Denn in diesem Punkt ist das geschriebene deutsche Recht eindeutig: Im Internet darf Sportwetten nur anbieten, wer über eine Erlaubnis (aus Hessen) verfügt.
Da unter der Geltung des GlüStV2008 ein Totalverbot für Online-Glücksspiele galt, es also diesbezüglich auch kein staatliches Monopol gab, zementiert die geltende Rechtslage ein solches auch nicht – und dürfte insoweit europarechtskonform sein. Bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens in Hessen dürften also im Internet überhaupt keine Sportwetten angeboten werden. Soweit die Theorie.
Dass die Praxis anders aussieht, weiß in Deutschland und vermutlich auch in Luxemburg inzwischen jeder. Im Netz tummelt sich eine kaum überschaubare Vielzahl vor allem im Ausland ansässiger Sportwetten- und Casinospielanbieter. Dieser glücksspielrechtliche Graumarkt, in dem sich die privaten Anbieter auch im Inland bestens eingerichtet haben, wird sich wohl so bald nicht verändern.
Der Gesetzgeber in der Zwickmühle
Die Blicke richten sich daher verstärkt auf den Gesetzgeber. Doch der sitzt in der Zwickmühle: Die Europäische Kommission droht Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren und hat bereits im vergangenen Jahr angefragt, wie es mit der Gesetzesvollziehung im Glücksspielwesen stehe, welche Verbote Deutschland also durchsetzen wird.
An genau dieser Vollziehung im Bereich des terrestrischen Sportwettangebots werden die Behörden nun aber durch die Rechtsprechung des EuGH zu § 29 GlüStV und dem dort fortgeschriebenen terrestrischen Sportwettmonopol gehindert - auch wenn das Monopol nur auf dem Papier existiert.
Auch wenn die fehlende Vermittlungserlaubnis nun nicht mehr Anknüpfungspunkt für Sanktionen gegen terrestrische Sportwettenangebote sein darf, spricht jedoch nichts dagegen, alle am Markt tätigen Anbieter umso mehr zur Einhaltung der übrigen Spielregeln, wie etwa des Verbot von Livewetten und Casinospielen oder die Beachtung von Einsatzhöchstgrenzen und des Spieler- und Jugendschutzes zu verpflichten.
Der Erlaubnisvorbehalt ist ja nur eine von vielen Bestimmungen, mit denen der Gesetzgeber versucht, das Glücksspiel zu regulieren. Schließlich sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass Glücksspiel nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eine sozial unerwünschte Tätigkeit ist, der gerade im Bereich der Sportwetten nicht unerhebliche Sucht- und Manipulationsgefahren inne wohnen. Der Verbraucherschutz ist durch das Urteil des EuGH in der Sache Ince jedenfalls nicht auf der Strecke geblieben.
Der Autor Prof. Dr. Markus Ruttig ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner bei CBH Rechtsanwälte und Lehrbeauftragter für Urheber- und Medienrecht an der Hochschule Fresenius in Köln. Einer seiner Tätigkeitsschwerpunkte ist das Glücksspielrecht. CBH Rechtsanwälte vertreten diverse Landeslotteriegesellschaften und auch das Land Hessen in den gerichtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Konzessionsvergabeverfahren.