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Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe: Bun­des­re­gie­rung gibt Län­dern die Schuld an der Ver­zö­ge­rung

von Dr. Max Kolter

22.09.2023

Gefängnis mit Zaun und Überwachungsturm (Symbolbild)

Wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann, muss ins Gefängnis. Die Quote für die Umrechnung von Tagessätzen in Hafttage soll geändert werden, das dauert aber. Foto: Stock.Adobe.com/Jeffrey Zalesny

Die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe ist längst auf den Weg gebracht. Im Sommer verschob der Bundestag den Starttermin aber um vier Monate – wegen IT-Problemen. Hätten die Länder diese frühzeitig beheben können?

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Weil einige Länder ihre IT-Systeme nicht schnell genug anpassen können, wird die schon per Gesetz verabschiedete Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe um vier Monate verschoben. Das Inkrafttreten der betreffenden Regelung im "Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts […]" vom 26. Juli (SanktionenÜG) wurde vom 1. Oktober 2023 auf den 1. Februar 2024 verlegt. Es bleibt daher vorerst bei der Regel des § 43 Strafgesetzbuch (StGB), dass ein Tagessatz einem Tag Gefängnis entspricht.

Die Verschiebung des Inkrafttretens der Halbierung um vier Monate geschah fast unbemerkt zu Beginn der Sommerpause, in einem Gesetz zur Güterverkehrsstatistik vom 16. August. Die Verschiebung in dieses Gesetz einzufügen, hatte der Verkehrsausschuss bereits Anfang Juli vorgeschlagen, weil Bayern "in einem Antrag an den Rechtsausschuss des Bundesrates […] erstmalig darauf" hingewiesen habe, "dass die Länder für die Umsetzung des [SanktionenÜG] einen Vorlauf von mindestens sechs Monaten benötigen".

Das heißt: Das SanktionenÜG – inklusive der Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe zum 1. Oktober – wurde zu einem Zeitpunkt ausgefertigt, als der Verkehrsausschuss des Bundestages und der Rechtsausschuss des Bundesrates schon von den Umsetzungsproblemen wussten und im Bundestag bereits an der viermonatigen Verschiebung des Inkrafttretens gefeilt wurde. Nun war das Parlament seit Anfang Juli in der Sommerpause, das Ausfertigungsdatum eines Gesetzes sagt nichts darüber aus, wann zuletzt eine inhaltliche Debatte stattgefunden hat.

Haben die Länder die Bundesregierung nicht rechtzeitig informiert?

Dennoch drängt sich die Frage auf: Muss nicht schon deutlich früher – während der Abstimmung des SanktionenÜG zwischen Bund und Ländern – klar gewesen sein, dass diese mehr Zeit für die Umsetzung benötigen? Erste Adressatin dieser Frage wäre die Bundesregierung: Da sie den Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht hat und klar war, dass die Länder die Änderungen des Sanktionenrechts umsetzen müssen, läge es auch an ihr, die Umsetzungszeiträume und mögliche Probleme zu klären.

So sah es auch Clara Bünger, Sprecherin für Flucht- und Rechtspolitik der Linksfraktion im Bundestag, und stellte der Bundesregierung eine entsprechende Frage. Konkret wollte sie wissen, ob die Regierung zur Zeit des Kabinettsbeschlusses Ende 2022, mit dem das SanktionenÜG auf den Weg gebracht wurde, geprüft hatte, "ob alle Bundesländer die Umsetzung der Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe durch ihre IT-Systeme jeweils gewährleisten können".

In der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Justizministerium (BMJ) Benjamin Strasser gibt die Regierung den Ländern die Schuld für die unvorhergesehene Verzögerung: "Soweit die Länder für den Vollzug von Bundesgesetzen zuständig sind, ist es ihre Aufgabe, die Umsetzung zu gewährleisten und die Bundesregierung auf etwaige Umsetzungshindernisse hinzuweisen", heißt es in dem Papier, das LTO exklusiv vorliegt. Die Bundesregierung habe die Länder schon im August 2022 eingebunden, aber: "Weder im Zuge der Länderbeteiligung zum Referentenentwurf noch in ihrer Bundesratsstellungnahme zum Regierungsentwurf im Februar 2023 hatten sie darauf hingewiesen, dass die Umstellung des Umrechnungsmaßstabes technisch derart zeitaufwändig sein werde."

Bundesregierung: Länder hatten ausreichend Zeit zur Neuprogrammierung

In der Antwort wirft das BMJ den Ländern nicht nur vor, nicht rechtzeitig über Umsetzungsprobleme informiert zu haben. Vielmehr bringt sie auch zum Ausdruck, dass die Länder in der Lage gewesen sein müssten, die nötigen IT-Umstellungen vorzunehmen. Schließlich stand ihnen dafür von August 2022 bis Oktober 2023 mehr als ein Jahr zur Verfügung. "Die Länder hatten also ausreichend Zeit, die Neuprogrammierung ihrer Verfahrenssoftware auf den Weg zu bringen", heißt es auf dem Papier.

Warum diese Zeit nun offenbar nicht ausreichte, ist unklar. Die Länder müssen sich die Frage gefallen lassen, warum es solch einen Programmierungsaufwand erfordert, den Schlüssel zur Umrechnung der Tagessätze einer Geldstrafe in Tage einer Haftstrafe von 1:1 auf 2:1 umzustellen. Auffällig ist zudem, dass die viermonatige Verschiebung des Inkrafttretens – wie oben aufgeführt – damit begründet wurde, dass die Länder mindestens sechs Monate Vorlauf für die Umsetzung benötigen, sich aus der Antwort der Bundesregierung aber ergibt, dass sie weit mehr als ein Jahr vorher von den Plänen zur Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe wussten.

Bünger: Verzögerungen gehen zulasten "der Schwächsten"

Bünger ist entsetzt über die Antwort auf ihre Frage: "Es ist wirklich kaum zu fassen, dass die Bundesländer es versäumt haben, die Bundesregierung auf ihre Umsetzungshindernisse hinzuweisen. Stattdessen haben die Bundesländer mehrere Monate verstreichen lassen und erst nach der Verabschiedung des Sanktionenrechts durch den Bundestag ihre Probleme mit ihrer Software offenbart und damit eine Verschiebung der halbierten Ersatzfreiheitsstrafe um vier Monate bewirkt."

Die "Untätigkeit der Bundesländer" treffe hier "mal wieder die Schwächsten des Systems". Damit meint sie diejenigen, die von der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen sind. Das sind Menschen, die oft wegen geringfügiger Delikte zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, diese aber mangels liquider Mittel nicht begleichen können. Nicht selten handelt es sich hierbei um Suchtkranke und/oder Obdachlose.

Für Personen, deren Verurteilung zu einer Geldstrafe zwischen dem 1. Oktober und dem 1. Februar rechtskräftig wird, hat die Verzögerung zur Folge, dass sie doppelt so lange im Gefängnis sitzen, wenn sie die Geldstrafe nicht begleichen können.

Eine Mitschuld daran sieht Bünger bei Justizminister Marco Buschmann (FDP): Er hätte das Institut der Ersatzfreiheitsstrafe – wie von einigen gefordert – ganz abschaffen sollen. Dann "wären Tausenden Menschen Haftstrafen erspart geblieben", so die Linken-Politikerin.

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Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52769 (abgerufen am: 15.11.2025 )

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