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EGMR billigt Sterbehilfe für Wachkomapatienten: Lebens­erhalten­de Maß­nahmen dürfen gestoppt werden

von Anne-Christine Herr

05.06.2015

Krankenhausflur

© starmaro - Fotolia.com

Vincent Lambert, der seit 2008 im Wachkoma liegt und künstlich ernährt wird, darf sterben. Die Richter des EGMR entschieden, dass der Stopp der lebenserhaltenden Maßnahmen kein Verstoß gegen das Recht auf Leben wäre.

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Sterbehilfe für den querschnittsgelähmten Wachkomapatienten Vincent Lambert in Frankreich gebilligt. Die Entscheidung des obersten französischen Verwaltungsgerichts, die künstliche Ernährung des Patienten zu beenden, sei kein Verstoß gegen das Recht auf Leben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), befand die Mehrheit der 17 Richter der Großen Kammer des EGMR am Freitag (Beschwerdenummer 46043/14).

Nun können die Ärzte mit Zustimmung der Ehefrau Lamberts und mehrerer Geschwister die Magensonde des früheren Krankenpflegers entfernen und ihn sterben lassen. Vor dem EGMR geklagt hatten die Eltern und zwei Geschwister des 38-jährigen ehemaligen Krankenpflegers, der bei einem Verkehrsunfall 2008 schwere Kopfverletzungen erlitt und seitdem im Krankenhaus künstlich ernährt wird. Sie wollten ihn mit künstlicher Ernährung weiter am Leben halten.

Nach Ansicht seiner Ärzte sind die Gehirnverletzungen des querschnittsgelähmten Wachkoma-Patienten irreversibel. 2012 beobachteten die mit der Pflege des Mannes Betrauten, dass Lambert Zeichen des Widerstandes gegen seine tägliche Behandlung zeigte. Aus diesem Grund entschieden sich die Ärzte im Jahr 2013 zusammen mit der Ehefrau Lamberts und mehreren seiner Geschwister dafür, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen und ihn sterben zu lassen.

„Künstliche Lebensverlängerung um jeden Preis unzumutbar“

Grundlage gab ihnen hier das Gesetz vom 22 April 2005, welches sich auf das Recht der Kranken und der Beendigung des Lebens bezieht („Gesetz Leonetti“). Es erlaubt die sogenannte passive Sterbehilfe, das heißt, es kann auf Wunsch des Patienten eine medizinische Behandlung abgebrochen werden, auch wenn das den Tod beschleunigt. Ärzte können danach zusammen mit Angehörigen eine „Lebensverlängerung um jeden Preis“ abbrechen und unheilbar Kranke am Lebensende „sterben lassen“.

Dass die anderen Familienangehörigen es hingegen ablehnten, seine künstliche Ernährung einzustellen, führte zu einem tiefen Zerwürfnis innerhalb der Familie des Patienten und schließlich zur Klage vor dem französischen Staatsrat. In ganz Frankreich hat der Fall heftige Diskussionen ausgelöst.

Problematisch ist in diesem Fall, dass der frühere Krankenpfleger Lambert keine Patientenverfügung hat und sich nicht äußern kann. Nach Angaben seiner Frau habe er jedoch vor seinem Unfall lebensverlängernde Maßnahmen abgelehnt.

Im Juni 2014 befand der Conseil d’État, das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs, dass die Entscheidung des Arztes, die künstliche Ernährung einzustellen, rechtmäßig sei, und wies die Klage der Familienangehörigen dagegen ab. Da der 1976 geborene Lambert irreversible Gehirnverletzungen erlitten habe, sei eine künstliche Lebensverlängerung um jeden Preis unzumutbar, hieß es in dem Staatsrats-Gutachten.

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  • Seite 1:

    Keine künstliche Lebensverlängerung um jeden Preis

  • Seite 2:

    Schwierige Interessenabwägung

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Anne-Christine Herr, EGMR billigt Sterbehilfe für Wachkomapatienten: . In: Legal Tribune Online, 05.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15764 (abgerufen am: 25.05.2025 )

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