Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Telefonverbindungsdaten eines Strafverteidigers erhoben. Die Behörde spricht von einem Versehen, doch ein Aktenvermerk legt das Gegenteil nahe. Nun wird auch gegen den Staatsanwalt ermittelt.
Die Telefonverbindung eines Dresdner Anwalts soll von der Staatsanwaltschaft ausgespäht worden sein. Dies jedenfalls ist die Anschuldigung, die der in Dresden gut bekannte Strafverteidiger Ulf Israel erhebt. Er verteidigt neben Wirtschaftsstrafsachen u. a. auch polnische Autoschieber. Man habe im Rahmen einer Verkehrsdatenabfrage seine Telefonate verfolgt, behauptet er. Zuerst hatten am vergangenen Freitag Spiegel und MDR über den Vorgang berichtet.
Nach § 100g der Strafprozessordnung (StPO) können durch die Ermittlungsbehörden "Verkehrsdaten (…) erhoben werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht". Dies ist allerdings gem. Absatz 4 der Vorschrift nicht zulässig bei Berufsgeheimnisträgern, wenn die Abfrage bei einer solchen Person "voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese das Zeugnis verweigern dürfte". Zu den Berufsgeheimnisträgern zählen auch Rechtsanwälte. Die Verkehrsdatenabfrage bei einem Strafverteidiger wäre demnach rechtlich jedenfalls bedenklich, es sei denn, er stünde im Verdacht, selbst in die Straftat verwickelt zu sein.
Dies behauptet in der Geschichte, die viele Widersprüche und offene Fragen enthält, allerdings niemand. Es steht auch nicht in Rede, ob die Abfrage stattfand. Aber es geht darum, ob die Behörden sie vorsätzlich durchgeführt haben. Ihren Anfang nahm die Geschichte, als die ebenfalls als Strafverteidigerin in der gleichen Kanzlei tätige Frau des Anwalts, Gesa Israel, in einer anderen Ermittlungsakte blätterte, mit der sie befasst war. Darin tauchten Querverweise auf eine Datenabfrage in einem anderen Verfahren auf, in der sich plötzlich auch die Handynummer ihres Mannes fand.
Staatsanwaltschaft will nicht um Identität gewusst haben
Die Israels begannen nachzuforschen und fragten bei der Staatsanwaltschaft Dresden nach, die mitteilte, die Nummer ihres Mannes sei im Rahmen von Funkzellenabfragen erhoben worden. Funkzellenabfragen sind nicht individualisiert, sondern erfassen alle Telefone, die zu einer bestimmten Zeit in einer Funkzellen eingewählt waren. Dabei wird neben der Nummer eines möglichen Täters auch immer eine Vielzahl anderer Nummern erhoben, die aber nicht verwendet werden dürfen.
Noch brisanter: Wie sich aus den Auskünften der Staatsanwaltschaft ergab, war offenbar auch eine gezielte Abfrage der Verkehrsdaten des Handys von Ulf Israel erfolgt. Die Verkehrsdatenabfrage findet individualisiert für bestimmte Nummern statt und offenbart den Ermittlern, wer wann wo mit wem telefoniert hat. Sie muss richterlich angeordnet werden, was bedeutet, dass der zuständige Staatsanwalt mit einer Liste von Nummern vorstellig wird, deren Verkehrsdaten abgefragt werden sollen. Zeichnet der Richter gegen, werden sie erhoben.
Auf LTO-Anfrage teilte die Staatsanwaltschaft Dresden am Montag mit, die Erhebung sei versehentlich geschehen. Man habe zunächst schlicht nicht gewusst, dass es sich um die Handynummer eines Strafverteidigers handelte, so Pressesprecher Jürgen Schmidt.
Der zuständige Staatsanwalt habe am 25.04.2016 beim Amtsgericht Dresden den Erlass eines Beschlusses nach § 100g Abs. 1 StPO zur Erhebung – auch retrograder – Verkehrsdaten beantragt, so Schmidt. Darin genannt war die Nummer eines Mannes, den man verdächtigte, zu Diebstahlszwecken Autos ausgespäht zu haben. Zudem enthielt der Beschluss drei polnische Rufnummern sowie auf eine deutsche Handynummer, von der der Mann in der Tatnacht mehrfach angerufen worden war. Diese Handynummer gehörte Israel.
"Als dem ermittelnden Staatsanwalt im Nachgang bekannt wurde, dass es sich bei der Nummer um den Anschluss von Rechtsanwalt Israel handelte, hat der ermittelnde Staatsanwalt sofort angeordnet, dass die insoweit erhobenen Verkehrsdaten nicht ausgewertet werden dürfen", schreibt Schmidt in seiner Antwort an LTO.
Vermerk in Ermittlungsakte wirft Fragen auf
Die Aussage der Staatsanwaltschaft passt indes nicht ganz dazu, dass es in der Ermittlungsakte zu dem Verfahren einen Vermerk gibt, laut dem ein Polizeibeamter dem Staatsanwalt mitgeteilt hatte, dass es sich bei der Nummer um den Mobilanschluss des Strafverteidigers handelte. Der Aktenvermerk, den LTO einsehen konnte, datiert vom 26.04.2016, einen Tag nachdem der Beschluss des Amtsgerichts ergangen war. Ermittlungen zum Anschlussinhaber, so schreibt der Polizist, hätten ergeben, dass es sich um Herrn Israel handele. Der Staatsanwalt habe sodann verfügt, dass der Beschluss "vollumfänglich umzusetzen" sei, jedoch eine Auswertung der bei Israel erhobenen Daten unterbleiben solle.
Für Gesa Israel, die zur Zeit für ihren Mann öffentlich spricht, stellt sich aber die Frage, warum man Verkehrsdaten erheben sollte, wenn man von vornherein nicht vorhat, sie zu verwenden. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass nach § 100g Abs. 4 StPO bereits die Erhebung der Daten rechtswidrig sein könnte. Jürgen Schmidt von der Dresdener Staatsanwaltschaft antwortete auf Rückfrage von LTO, die Daten seien bereits erhoben gewesen, als dem Staatsanwalt die Identität des Anschlussinhabers zur Kenntnis gelangt sei. Danach sei das Verfahren gestoppt und die Auswertung untersagt worden. Eine sofortige Löschung der Daten sei nicht angezeigt gewesen, da Israel nicht Verteidiger des in dem Verfahren Beschuldigten gewesen sei. Was die im Vermerk des Polizisten genannte vollumfängliche Umsetzung des Beschlusses dann meint, bleibt allerdings offen.
Gesa Israel nennt den Vorgang "unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ein Trauerspiel". Ihr Mann hat Anzeige gegen den federführenden Staatsanwalt erstattet, er wirft dem Ermittler Rechtsbeugung vor, da er offenbar vorsätzlich die rechtswidrige Erhebung seiner Daten verfügt habe. Die Staatsanwaltschaft bestätigte gegenüber LTO den Eingang der Anzeige, wollte ich aber im Hinblick auf das nun laufende Ermittlungsverfahren nicht weiter dazu äußern.
Außerdem, so Gesa Israel, stelle sich die Frage, warum die Datensätze der Funkzellenabfrage, die die Handynummer ihres Mannes enthalten und mitunter aus dem Jahr 2013 datieren, inzwischen nicht gelöscht worden seien. Dieser Frage geht nun der Datenschutzbeauftragte des Landes Sachsen, Andreas Schurig, nach.
Anzeige gegen Staatsanwalt: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37655 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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