Gerade noch glaubte man, das Thema "Netzsperren" sei vom Tisch. Nun aber ist der Entwurf des neuen Glücksspiel-Staatsvertrages publik geworden. Er sieht noch weiter reichende Sperrmöglichkeiten vor, als sie gegen Kinderpornographie geplant waren. Ansgar Koreng über rein fiskalische Interessen und eine mögliche Totalüberwachung des Datenverkehrs.
Beim Instrument der Netzsperren scheint es sich um eine juristische Hydra zu handeln: Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach. Gerade noch feierte die Netzcommunity die bereits beschlossene Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes (ZugErschwG), da tauchen mit dem Entwurf eines neuen Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV-E) bereits neue Vorschläge zur Einführung dieses umstrittenen Instruments auf.
Nur auf den ersten Blick kann sich der Normalnutzer damit beruhigen, dass die Netzsperren auf dem Glücksspielsektor wieder auftauchen, zu dem nur ein relativ geringer Anteil der Bevölkerung überhaupt Kontakt haben dürfte.
Wenn aber Internet-Provider feststellen müssen, ob möglicherweise einer der Teilnehmer einer Kommunikation ein illegales Glücksspielangebot besuchen möchte, müssen sie zukünftig jeglichen Datenverkehr ihrer Kunden mithören. Geplant ist nicht weniger als eine permanente, allumfassende Überwachung des gesamten Datenverkehrs.
EuGH: Rein fiskalische Interessen rechtfertigen das Monopol nicht
Zu dieser Entwicklung konnte es kommen, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil vom 8. September 2010 (Az. C-409/06) das staatliche deutsche Glücksspielmonopol in seiner bis dahin geltenden Fassung für europarechtswidrig erklärt hatte.
Zwar dürfe, so die Luxemburger Richter, ein Mitgliedstaat zum Schutz vor Spielsucht das Glücksspiel monopolisieren. Voraussetzung sei aber, dass dieses Monopol auch genutzt werde, um das Glücksspiel einzuschränken und in geordnete Bahnen zu lenken. In Deutschland hingegen werde es durch den Staat eher gefördert als eingedämmt.
Relativ unverblümt warfen die Europarichter den deutschen Bundesländern vor, es gehe ihnen bei ihrem Glücksspielmonopol mehr um die eigenen Einnahmen als um den Schutz vor den negativen Folgen des Glücksspiels. Letztlich urteilte der Gerichtshof, dass rein fiskalische Interessen ein staatliches Glücksspielmonopol nicht rechtfertigen.
Der Entwurf eines neuen Glücksspiel-Staatsvertrages
Die deutsche Politik zog aus dem Urteil nicht etwa die Konsequenz, das Glücksspielrecht zu liberalisieren, sondern begab sich auf den umgekehrten Weg. Besonders im glücksspielrechtlich zunehmend bedeutsamen Bereich des Internets planen die Länder tiefe Eingriffe in die Kommunikationsfreiheit.
So gibt § 9 Abs. 1 Nr. 5 GlüStV-E den zuständigen Aufsichtsbehörden die Befugnis, Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes die Mitwirkung am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten zu untersagen. Mit Diensteanbietern meint der Staatsvertrag die Access-Provider, die den Endverbrauchern den Zugang zum Internet vermitteln.
Sie bilden das natürliche Nadelöhr in der Kommunikation zwischen Nutzer und Anbieter, was es für den Staat interessant macht, sie als Hilfspolizisten zu verpflichten. Auch nach dem ZugErschwG sollten sie deshalb als Gatekeeper den Zugang zu illegalen Inhalten erschweren.
Schwerwiegende Eingriffe in die Kommunikationsfreiheit
Sowohl das ZugErschwG als auch der geltende Rundfunkstaatsvertrag (RStV) sehen bereits Möglichkeiten vor, um den Abruf illegaler Inhalte zu verhindern. Dennoch geht der geplante GlüStV neue Wege. In seinem bereits zitierten § 9 Abs. 1 Nr. 5 heißt es, das Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 des Grundgesetzes) werde eingeschränkt. Diese Regelung ist wegen des verfassungsrechtlichen Zitiergebotes (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz) erforderlich und ermöglicht sehr weitgehende Eingriffe in die Internet-Kommunikation.
Denn es besteht Einigkeit darüber, dass Sperrverfügungen auf Grundlage des RStV und des ZugErschwG derzeit nur solche Eingriffe erlauben, die ohne Kenntnis von den Inhalten der Kommunikation stattfinden können. Zulässig ist lediglich die Kontrolle der sogenannten Verkehrsdaten, also von Start und Ziel eines Kommunikationsvorgangs. Die bisherigen Anläufe zur Einführung von Sperren waren deshalb auch relativ oberflächlich und konnten den Zugang nur "erschweren", aber eben nicht völlig verhindern. Im Internet kursierten bereits massenhaft Anleitungen zur Umgehung der Sperrungen.
Das könnte sich mit dem neuen GlüStV ändern. Denn nun können auch Sperrmethoden legalisiert werden, die eine Kenntnisnahme von Inhaltsdaten erfordern wie beispielsweise die besonders gefürchtete "Deep Packet Inspection" (DPI) oder auch der Einsatz so genannter transparenter Proxy-Server. Das ermöglicht es den Internet-Providern, auf der Suche nach illegalem Glücksspiel die Inhalte der Nutzer-Kommunikation mitzuhören. Von jedermann und zu jeder Zeit.
Verfassungsrechtlich fragwürdig
Ob ein solcher Eingriff, abseits aller sonstigen Bedenken, noch verhältnismäßig sein kann, ist mehr als fraglich. Immerhin ging es beim ZugErschwG noch um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Missbrauchsopfer.
Beim Glücksspielmonopol hingegen geht es, was sogar dem EuGH schon offensichtlich erschien, im Wesentlichen um rein fiskalische Interessen. Diese dürften sich bei der erforderlichen Abwägung kaum als legitimes Ziel für derart weit reichende Grundrechtseingriffe darstellen.
Was die Länder hier planen, übertrifft die bisherigen Albträume der Netzgemeinde bei weitem. So gründlich wie sein Glücksspielmonopol wollte der Staat noch nicht einmal die Würde missbrauchter Kinder schützen. Sollte in breiteren Kreisen publik werden, was hier in Hinterzimmern ausgearbeitet wird, könnte uns noch ein heißer Sommer bevorstehen.
Dr. Ansgar Koreng hat seine Dissertation zum Thema "Zensur im Internet" verfasst. Er ist derzeit Rechtsreferendar bei JBB Rechtsanwälte in Berlin.
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Ansgar Koreng, Der neue Glücksspiel-Staatsvertrag: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3115 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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