Datenschutzbeauftragte kritisieren die Bewerbungsverfahren der Behörden. Dabei sind die dort verwendeten Methoden in der Privatwirtschaft längst angekommen und ihre Zulässigkeit von der Arbeitsgerichtsbarkeit teils geklärt. Von Anja Mengel.
Alles wird zunehmend digitalisiert und virtualisiert, so auch die Bewerberauswahl. Staatliche Stellen hinken der Privatwirtschaft dabei oft noch weit hinterher. Wenn sie aktiv werden, stehen sie auch noch schneller vor den Hürden des Datenschutzes als private Unternehmen, weil die mit der Überwachung des Datenschutzrechts befassten Landesbehörden oft unverständlich restriktive Ansichten pflegen. Die öffentlichen Einrichtungen können diese Hürden dabei weniger leicht als private Unternehmen in Frage stellen und gegebenenfalls einer gerichtlichen Prüfung unterziehen.
So geben die aktuellen Jahresberichte der Landesdatenschutzbeauftragten Anlass zur Kritik. Speziell die Rechtsmeinungen zur Unzulässigkeit von neuen Formen der digitalisierten und automatisierten Bewerberauswahl sind fragwürdig. Da diese Techniken in der Privatwirtschaft bereits weit verbreitet sind, ist die Ansicht der Datenschützer daher auch für private Arbeitgeber sehr relevant.
Bewerbungsgespräch mit der Maschine
Die NRW-Landesdatenschutzbeauftragte hat zum Beispiel das Vorgehen einer Kommune als unzulässig bewertet, eine Vielzahl von Bewerbern zunächst per Video mit eingeblendeten Fragen zu interviewen und diese Antworten zur späteren Bewertung durch Vertreter der Behörde aufzuzeichnen. Während der Aufzeichnung der Antworten sei kein Interviewer zugeschaltet.
Diese Computervorauswahl sei aber kein für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Datenerfassung, weil als milderes Mittel klassische Real-Interviews geführt werden könnten. Der Umstand, dass mit den automatisierten Interviews eine weit größere Zahl von Bewerbern über die schriftliche Vorauswahl gesehen werden könne, sei nicht wesentlich, weil die Kommune auch im Rahmen der Vorauswahl die Zahl der Bewerber mit geschärftem Anforderungsprofilen oder mit schriftlichen (kognitiven) Tests reduzieren könne.
Der Schutz der Bewerber vor einer dauerhaften Aufzeichnung und intensiveren wiederholten Prüfung ihrer Antworten, aber auch Mimik und Gestik, die einen stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstelle als die klassischen Bewerbungsgespräche mit flüchtigen Eindrücken, überwiege das Interesse der Verwaltung an erleichterter Auswahl. Anders sei es allenfalls bei einer Auswahl für Mitarbeiter, die vor der Kamera zum Einsatz kämen, so etwa im Fernsehen.
Visuelle Vorauswahl besser als schriftliche Vorauswahl
Diese Einschätzung geht fehl. Die Kommune hatte nicht allein mit der Erleichterung der Auswahl, sondern auch mit einer besseren Auswahl argumentiert: Über die Automatisierung und Standardisierung könne eine größere Zahl von Bewerbern gerade nicht nur schriftlich, sondern auch visuell bewertet werden.
Es ist auch ein berechtigtes Interesse der staatlichen Einrichtungen und der Bürger, die Auswahl für die Verwaltung qualitativ dadurch zu verbessern , dass ein Eindruck von der Person und ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit im Auswahlverfahren berücksichtigt werden kann. Denn nicht nur bei Arbeit im Fernsehen, sondern auch an den vielen Schnittstellen, an denen die Vertreter der staatlichen Verwaltung mit den Bürger interagieren und kommunizieren, kommt es auf Person und Auftreten an.
Nicht im Sinne eines oberflächlichen Looks, sondern einer richtigen Einstellung und eines angemessen, freundlichen Auftritts. Dabei ist die Aufzeichnung von Videoantworten auf automatisierte Bewerberfragen auch nicht als besonders intensiver Eingriff in die Persönlichkeit zu werten, auch nicht im Vergleich zum klassischen Bewerbungsgespräch. Denn auch bei der klassischen Variante ist es zulässig, dass etwa mehrere Interviewer die Kandidaten gleichzeitig sprechen und einer dabei besonders auf Mimik und Gestik achtet.
2/2: Unzulässig trotz Einwilligung?
Zu kritisieren ist auch die weitere Einschätzung der Landesdatenschutzbehörden, dass ein solches Verfahren nicht einmal mit einer formgerechten Einwilligung der Bewerber zulässig sein soll, weil diese im Rahmen des Bewerbungsverfahrens nicht hinreichend "frei und ohne Zwang" entscheiden könnten. Dabei ignorieren die Datenschützer die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die diese Entscheidungsfreiheit bereits vor einigen Jahren für Arbeitnehmer grundsätzlich anerkannt und sich in dieser langjährigen Debatte um die fehlende Entscheidungsfreiheit im Arbeitsverhältnis der weniger restriktiven Position angeschlossen hatte (BAG v. 11.12.2014, 8 AZR 1010/13).
Ebenso bleibt diese Auffassung hinter den Inhalten der ab Mai 2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung zurück, die ebenfalls die Einwilligung als Rechtfertigung für Datenerhebungen im Arbeitsverhältnis bestätigt. Diese Anerkennung der Entscheidungsfreiheit für Arbeitnehmer ist richtigerweise auf Bewerber zu übertragen. Aber auch für Arbeitnehmer ignoriert die Landesdatenschutzbeauftragte sie an anderer Stelle des Berichts.
Persönlichkeitseinschätzung anhand der Stimme
Der Bericht greift auch den Einsatz von einer Software als problematisch auf, die bei der Bewerberauswahl durch Aufzeichnung und Auswertung von Sprechproben eine Analyse der Persönlichkeit des Bewerbers liefert. Die Begründung der Landesdatenschützer: Dieses Verfahren könnte gegen das Verbot von automatisierten Einzelfallentscheidungen nach § 6a Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstoßen und auch gegen dessen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 32 BDSG.
Diese Bedenken sind berechtigt, aber wiederum weniger wegen der Aufzeichnung und Auswertung der Sprechproben, sondern wegen der wissenschaftlich nicht hinreichend fundierten Bewertungs- und Analysekriterien der Software. Die Sprache und Stimme eines Menschen mag seine Person in seinem Auftreten mitprägen und auch teils Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zulassen. Aber Einzelheiten zur Beziehung von Sprechweise und Persönlichkeit sind bisher wohl nicht belastbar geklärt.
Der Einsatz einer gar automatisierten Sprechanalyse und Persönlichkeitsbewertung kann für Arbeitgeber daher noch als hinreichend unseriös eingestuft werden, so dass keine Erforderlichkeit für diese Datenerhebung und -auswertung im Auswahlverfahren angenommen werden muss. Ein Verstoß gegen § 6a BDSG könnte allerdings nur vorliegen, wenn es im Verfahren kein anderes Auswahlkriterium als die Sprachprobe und keine weitere Auswahlstufe durch Vertreter des Unternehmens gäbe.
Freiwilligkeit im Bewerbungsverfahren?
Ebenso hält die neue Landesdatenschutzbeauftragte des Landes Berlin zu Unrecht daran fest, dass Arbeitnehmer und Bewerber nicht frei in Datenerhebungen einwilligen können, und zitiert dazu einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem eine Verfassungsbeschwerde zu Arbeitszeitfragen nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Das bereits genannte, auch hier einschlägige BAG-Urteil aus 2014 lässt sie aber unerwähnt.
Soweit die Landesdatenschutzbeauftragte Berlin den Einsatz von Videotechnik für Live-Interviews, beispielsweise via Skype, oder auch von Recruiting-Plattformen zur Standardisierung von Auswahlprozessen (nur) für unzulässig hält, weil die Daten jeweils auf Servern in den USA gespeichert werden, wird damit aber jedenfalls nicht grundsätzlich die Art der Datenerhebung im Bewerberverfahren als unzulässig eingestuft.
Die Unternehmen haben daher insoweit und auch unabhängig von der Frage einer zulässigen Einwilligung des Bewerbers rechtmäßige Alternativen mit dem Einsatz von Software und Servern im EU-Raum. Außerdem ist US-Unternehmen durch den Privacy-Shield bis auf Weiteres wieder eine Zertifizierung ihres Datenschutzsystems auf EU-Level möglich.
Für Arbeitgeber sind diese Veröffentlichungen der Landesdatenschutzbeauftragten einiger Länder zwar keine zwingenden Vorgaben. Bei abweichendem Verhalten können sie aber durchaus Beanstandungen und Bußgelder riskieren. Der Vorteil für private Arbeitgeber: Gegen solche Sanktionen können sie eher gerichtlich vorgehen und die Ansicht der Datenschützer vor Gericht prüfen lassen. Soweit deren Auffassungen von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte abweichen, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit von Einwilligungen von Bewerbern und Arbeitnehmern, wäre dies sogar sinnvoll, um eine Auseinandersetzung der Behörden mit der bestehenden Rechtsprechung zu erzwingen.
Die Autorin Prof. Dr. Anja Mengel, LL.M. (Columbia) ist Rechtsanwältin und Partnerin bei ALTENBURG Fachanwälte für Arbeitsrecht in Berlin.
Prof. Dr. Anja Mengel, LL.M. (Columbia), Datenschutz und Bewerberauswahl per Video: Bitte sprechen Sie hier . In: Legal Tribune Online, 15.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22925/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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