Die Regierung muss nicht alle Fragen der Opposition zum Einsatz von V-Leuten und dem Oktoberfestattentat von 1980 beantworten. Doch wenn sie etwas geheim halten will, muss sie es zumindest ordentlich begründen, so das BVerfG.
Die Bundesregierung hat Auskünfte zum Einsatz von V-Leuten im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat von 1980 im September teilweise zu Unrecht verweigert. Das hat der Zweite Senat am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (Beschl. v. 13.06.2017, Az. 2 BvE 1/15). Mit ihrer Weigerung zur vollständigen Beantwortung von Anfragen zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen zum Attentat habe die Bundesregierung die Bundestagsfraktionen Bündnis90/Grüne und Die Linke sowie den Deutschen Bundestag teilweise in ihren Rechten verletzt.
Dem Einsatz verdeckter Quellen komme bei der Informationsbeschaffung der Nachrichtendienste eine hohe Bedeutung zu, so der Senat. Deshalb dürfe die Bundesregierung Auskünfte zum Einsatz verdeckt handelnder Personen in der Regel mit dem Hinweis auf eine Gefährdung des Staatswohls und der Grundrechte dieser Personen verweigern, wenn bei Erteilung der begehrten Auskünfte ihre Enttarnung drohe.
In eng begrenzten Ausnahmefällen könne aber auch das parlamentarische Informationsinteresse überwiegen. Das sei dann der Fall, wenn aufgrund besonderer Umstände eine Gefährdung grundrechtlich geschützter Belange und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste nicht ernsthaft zu befürchten sei.
Verstrickungen von V-Leuten
Am 26. September 1980 explodierte am Haupteingang des Münchner Oktoberfests ein Sprengsatz. Nachdem der Generalbundesanwalt seine Ermittlungen zu dem Attentat im Jahr 1982 abgeschlossen hatte, blieb insbesondere die Rolle von Karl-Heinz Hoffmann, des Gründers der sogenannten "Wehrsportgruppe Hoffmann", und von Heinz Lembke, einem "Milizionär" und "Wehrsportler", der sich im Jahr 1981 in Untersuchungshaft erhängte, ungeklärt. Im Dezember 2014 nahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat wieder auf, nachdem sich eine bis dahin unbekannte Zeugin gemeldet hatte.
Die Bundestagsfraktionen Bündnis90/Die Grünen und Die Linke machten die unvollständige Beantwortung zweier Kleiner Anfragen zu Erkenntnissen der Nachrichtendienste über das Attentat auf das Münchner Oktoberfest und einer diesbezüglich möglichen Verstrickung von V-Leuten dieser Behörden geltend. Die Kleine Anfrage aus dem Jahr 2014 enthielt insbesondere Fragen zu einem etwaigen Einsatz von Heinz Lembke als V-Mann einer Sicherheitsbehörde des Bundes oder eines Landes.
Die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke aus dem Jahr 2015 enthielt insbesondere Fragen zu Umfang und Aufbau der Akten zum Oktoberfestattentat sowie zu Quellen des Bundesamts für Verfassungsschutz. Ferner wurde die Frage gestellt, ob und wie viele Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann als V-Leute für das Bundesamt beziehungsweise die Landesämter für Verfassungsschutz tätig geworden seien. Die Bundesregierung verweigerte die Beantwortung einzelner Fragen mit der Begründung, dass es sich um geheimhaltungsbedürftige Informationen handele, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden könne.
2/2: Kontrolle als Ausfluss des Demokratieprinzips
Das BVerfG betonte, dass mit dem Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiere. Dieses Recht stünde auch einzelnen Abgeordneten und den Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten zu.
Diesem parlamentarischen Informationsinteresse komme hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung gehe. Denn die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirkliche den Grundsatz der Gewaltenteilung und ohne Beteiligung am Wissen der Regierung könne das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben.
Darüber hinaus sei die Kontrollfunktion des Parlaments zugleich Ausfluss der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, betonte der Zweite Senat. Geheimhaltung gegenüber dem Parlament beschränke die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten und könne deshalb den notwendigen demokratischen Legitimationszusammenhang beeinträchtigen oder unterbrechen.
Staatswohl auch dem Bundestag anvertraut
Grenzenlos sei der Informationsanspruch jedoch nicht: Aus dem Wohl von Bund und Ländern sowie Grundrechten Dritter, auch der der V-Leute oder bereits Verstorbenen, könnten sich Beschränkungen ergeben. Denn der Schutz von verdeckten Quellen und insbesondere von V-Leuten diene nicht nur dem Interesse der betroffenen Personen.
Vielmehr könnten im Falle des Bekanntwerdens von quellenbezogenen Informationen auch Rückschlüsse auf Arbeitsweise und Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste gezogen werden. Auch sei die Einhaltung von Vertraulichkeitszusagen unverzichtbare Voraussetzung für die Führung und Anwerbung von V-Leuten und damit für die Effektivität der Aufgabenerfüllung durch die Nachrichtendienste.
Für Ausnahmefälle davon sei der Zeitablauf ein bedeutsamer - wenn auch nicht allein ausschlaggebender - Faktor. So kann sich im Einzelfall bei weit zurückliegenden Vorgängen die Geheimhaltungsbedürftigkeit erheblich vermindert oder erledigt haben.
Zeitablauf als Indikator
Das sei in Hinblick auf die Frage, ob und gegebenenfalls für welche Behörde der bereits 1981 verstorbene Heinz Lembke V-Mann gewesen sei, der Fall. Denn mit Blick auf eine zukünftige gesetzliche Regelung des Einsatzes von V-Leuten ging es ihr darum festzustellen, ob es - auch in der Vergangenheit - zu einer Verstrickung von V-Leuten in rechtsterroristische Straftaten gekommen ist. Die von der Bundesregierung gegebene Begründung rechtfertigt die Verweigerung der Antwort nicht, so die Karlsruher Richter.
Auch hinsichtlich der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke habe die Bundesregierung ihrer Antwortpflicht nur teilweise genügt. Es ließe sich nicht nachvollziehen, wie sich aus einer nach Jahren und Ursprungsbehörden aufgeschlüsselten Angabe der Zahl der Quellenmeldungen Rückschlüsse auf die Identität einzelner V-Leute oder auf die heutige Arbeitsweise der Nachrichtendienste ziehen lassen sollen.
Da die begehrten Informationen keinen hinreichend konkreten Bezug zu verdeckt tätigen Personen aufwiesen, sei nicht davon auszugehen, dass grundrechtlich geschützte Rechtsgüter etwaiger V-Leute oder Dritter gefährdet werden könnten.
Große Gruppe bedeutet geringe Gefahr der Enttarnung
Der Vortrag der Bundesregierung, dass durch eine Beantwortung der Fragen zu V-Leuten in der Wehrsportgruppe Hoffmann Rückschlüsse auf die aktuelle Arbeitsweise und die Organisation der Nachrichtendienste ermöglicht werden könnten, sei insbesondere aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollziehbar. Auch sei die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Personen enttarnt werden könnten, aufgrund der gegebenen Umstände so gering, dass sie eine Einschränkung des parlamentarischen Informationsrechts nach Auffassung des Gerichts nicht zu rechtfertigen ist: Die Wehrsportgruppe Hoffmann hatte zum Zeitpunkt ihrer Auflösung etwa 400 Mitglieder. Insofern seien konkrete Rückschlüsse auf einzelne Personen nicht möglich.
Etwas anderes gelte hinsichtlich der Fragen, die sich auf den Bundesnachrichtendienst beziehen. Die bloße Bestätigung der Existenz von V-Leuten in der Wehrsportgruppe Hoffmann könne schon eine Gefahr der Enttarnung bedeuten, denn dafür kämen insbesondere Mitglieder der Nachfolgeorganisation !Wehrsportgruppe Ausland" in Betracht, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nur noch 15 Mitglieder gehabt habe.
Auch die Frage nach dem Einsatz von V-Leuten aus der Wehrsporttruppe bei den Verfassungsämtern von Bund und Ländern müsse die Bundesregierung nicht beantworten. Denn in Hinblick auf die Landesämter ließe die Auskunft einen Rückschluss auf die Wohnorte der V-Leute zu. Eine Enttarnung könnte jedoch die Funktion der Nachrichtendienste und damit das Staatswohl beeinträchtigen.
Eine Auskunftsverweigerung – vollständig oder teilweise - müsse die Bundesregierung jedoch immer hinreichend begründen. So könne der Bundestag beurteilen und entscheiden, ob er die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder weitere Schritte unternimmt, um sein Auskunftsverlangen durchzusetzen. Ein Nachschieben von Gründen sei nicht zulässig und ändere nichts an einem Rechtsverstoß, entschieden die Richter.
Tanja Podolski, BVerfG zu Auskünften über V-Leute: Regierung muss Antwortverweigerung wenigstens besser begründen . In: Legal Tribune Online, 19.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23494/ (abgerufen am: 24.09.2023 )
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