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Scheidender Bundesanwalt Griesbaum: "Lebensweg ist Frage des Gewissens"

Interview mit Bundesanwalt Rainer Griesbaum

30.12.2013

Justitia

© Frank Wagner - Fotolia.com

Am 30. Dezember geht bei der Bundesanwaltschaft eine Ära zu Ende. Der stellvertretende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum geht mit 65 Jahren in den Ruhestand. Seit gut 30 Jahren beschäftigt er sich mit dem Kampf gegen Terrorismus - von den RAF-Prozessen bis zum NSU-Verfahren. Die größte Bedrohung sieht der Jurist im islamistischen Terror, wie er im Interview erklärt.

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Nur wenige Tage, nachdem Sie 1982 als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Bundesanwaltschaft kamen, wurden die RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar festgenommen.

Griesbaum: Da wurde ich sofort ins kalte Wasser geworfen. Ich habe die Anklage mitverfasst und war dann auch mit in der Hauptverhandlung.

Es war eine politisch bewegte Zeit, als Sie 1969 in Heidelberg mit dem Jurastudium anfingen. Andere Studenten aus Heidelberg landeten später im Umfeld der RAF - Armin Newerla zum Beispiel, der als Anwalt RAF-Mitglieder verteidigte und schließlich als Unterstützer verurteilt wurde.

Griesbaum: Ich hätte auch woanders landen können. Aber der persönliche Lebensweg ist letztlich eine Frage des eigenen Gewissens. Jeder entscheidet frei, welchen Weg er einschlägt.

Konnten Sie die Faszination verstehen, die viele damals für die RAF-Terroristen empfunden haben?

Griesbaum: Nein. Wenn man diese politischen Erklärungen in den Prozessen gehört hat, wie mit den Schlagworten "Schweinestaat" und "abhängig von den USA" Morde gerechtfertigt wurden, dieses stundenlange Propagieren des bewaffneten Kampfes - das war für mich so abstrus. Nein, diese Faszination habe ich nie verstanden.

"Etwas nicht zu sehen, bedeutet nicht, dass es das nicht gibt"

Zwei Mal erlebten Sie in Ihrer Zeit bei der Bundesanwaltschaft so etwas wie eine Zeitenwende: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als klar wurde, dass sich die Attentäter in Hamburg gesammelt hatten. Und 2011, als die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) ans Licht kamen. Waren die Behörden nicht aufmerksam genug?

Griesbaum: Im Ergebnis ja. Die Hamburger Zelle reist nach Afghanistan, wird von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden instruiert und kehrt nach Hamburg zurück, von wo sich dann alles Weitere entwickelt - die Sicherheitsbehörden hatten diese Entwicklung ganz offensichtlich nicht im Blick.

Und der NSU - wir alle haben die Mordserie der Jahre 2000 bis 2006 an unseren Mitbürgern türkischer und griechischer Herkunft miterlebt. Niemand hat damals die Zusammenhänge erkannt. Da kann man nicht sagen, es sei nichts schiefgelaufen. Die Fehleranalyse ist noch lange nicht abgeschlossen.

Wo sind Fehler gemacht worden?

Griesbaum: Man wird die Frage stellen müssen: Warum ist bei den Staatsanwaltschaften kein Sammelverfahren geführt worden, nachdem man erkannt hatte, es ist immer dieselbe Waffe, und die Opfer sind ausschließlich Mitbürger mit ausländischen Wurzeln? Wir, die Bundesanwaltschaft, hatten bis November 2011 keine Möglichkeit, die Ermittlungen an uns zu ziehen und sie zusammen mit dem Bundeskriminalamt zentral zu führen. Zentrale Ermittlungen bedeuten gebündeltes Fachwissen. Das verschenkt man, wenn die örtlichen Staatsanwaltschaften in Nürnberg, Rostock, Dortmund und so weiter nebeneinander ermitteln. Und auch die Landesämter für Verfassungsschutz werden sich fragen müssen, warum sie die Zusammenhänge nicht gesehen haben.

Im NSU-Prozess sitzen kaum Sympathisanten. Hat die Gruppe keine Strahlkraft, gibt es keine potenziellen Nachahmer?

Griesbaum: Aus unseren Ermittlungen ergibt sich, dass der NSU und seine Taten eher kritisch gesehen werden. Die Propaganda der Tat war nicht ihr Konzept. Sie waren sich selbst genug. Ihre Maxime war "Taten statt Worte". Ich glaube nicht, dass es einen größeren Kreis von Sympathisanten gibt. Aber wir haben 2001 und 2011 gelernt: Etwas nicht zu sehen und nicht zu erkennen, bedeutet nicht, dass es das nicht gibt.

"Der islamistische Terror wird uns noch lange beschäftigen"

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Gefahr für die kommenden Jahre?

Griesbaum: Ich glaube, der islamistische Terror wird uns noch eine lange Zeit beschäftigen. Weil er global ist, weil er vernetzt ist, und weil die dahinter stehende Ideologie immer wieder junge Leute anspricht. Da werden Schuldgefühle erzeugt und Bedürfnisse nach Zugehörigkeit ausgenutzt: "Tut was für Euren Glauben", heißt es etwa, oder: "Helft Euren notleidenden Glaubensbrüdern und -schwestern".

Welche Fälle beschäftigen Sie noch am meisten?

Griesbaum: Die Taten der dritten Generation der RAF. (Griesbaum zeigt auf ein Schaubild, auf einer Tafel in seinem Büro. Darauf eine Aufstellung sämtlicher Taten der dritten Generation der RAF, unter anderem die Morde an Alfred Herrhausen 1989, an Detlev Karsten Rohwedder 1991.) Diese Aufstellung habe ich mir oft vorgenommen. Wir haben uns immer wieder mit dem Bundeskriminalamt zusammengesetzt, um neue Ermittlungsansätze zu finden. Die Bilanz ist bitter. Es kommen zwar nicht allzu viele ehemalige RAF-Mitglieder als Täter infrage - vorausgesetzt natürlich, dass wir alle kennen. Das sind aber theoretische Gedankenspiele. Denn so oft wir die Akten auch durchgegangen sind, wir kommen nicht entscheidend weiter.

Haben sie noch Hoffnung, dass diese Anschläge je aufgeklärt werden?

Griesbaum: Man soll auch als Ermittler die Hoffnung nie aufgeben. Es sind ja noch Beweismittel da, Haarspuren etwa. Davon ist aber nicht mehr sehr viel zu erwarten, so dass die Hoffnung letztlich darauf beruht, dass ein ehemaliges RAF-Mitglied sich offenbart. Aber darauf können wir nicht setzen. Denn der Bundesgerichtshof gesteht ehemaligen RAF-Mitgliedern weitgehende Auskunftsverweigerungsrechte zu. Und selbst wenn sie als Zeugen aussagen müssten, bedeutet das ja noch nicht, dass sie wirklich etwas sagen. So wie ich diejenigen einschätze, die infrage kommen - die würden eher in Beugehaft gehen. Bei der RAF zeigt sich immer wieder: einmal Kollektiv, immer Kollektiv.

Rainer Griesbaum kam 1982 als Staatsanwalt zur Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Seit 2004 leitet er die Abteilung für terroristische Straftaten. Am 31. Dezember geht er offiziell in Ruhestand.

dpa/LTO-Redaktion

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Bundesanwalt Rainer Griesbaum, Scheidender Bundesanwalt Griesbaum: "Lebensweg ist Frage des Gewissens" . In: Legal Tribune Online, 30.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10486/ (abgerufen am: 24.09.2023 )

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