Eigentlich können Gesellschaften keinen Eigenbedarf anmelden, und eigentlich führt ein Verstoß gegen die Anbietepflicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Eigentlich. Denn das eine Prinzip hat der BGH heute ganz, und das andere halb aufgegeben.
Wo der Wohnraum knapp ist, nehmen Fälle von Eigenbedarfskündigungen durch Vermieter immer weiter zu. Nicht umsonst spielt der am Mittwoch vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedene Fall in München. Der VIII. Zivilsenat hat in dieser Entscheidung zu zwei wichtigen Fragen im Kontext von Eigenbedarfskündigungen Stellung bezogen – und bei einer davon seine Rechtsauffassung ausdrücklich geändert.
Grundsätzlich werden Wohnraummietverhältnisse in Deutschland – von eng umgrenzten Ausnahmen abgesehen – unbefristet abgeschlossen. Dies hat zur Folge, dass Vermieter sich nur in wenigen Fällen durch Kündigung vom Mietvertrag lösen können – etwa bei hohen Mietrückständen oder sonstigen (erheblichen) Verstößen gegen vertragliche Pflichten durch den Mieter. Verhält der Mieter sich hingegen vertragstreu, kommt als Kündigungsgrund hauptsächlich der Eigenbedarf nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht. Ein berechtigtes Kündigungsinteresse des Vermieters besteht immer dann, wenn er die Wohnung für sich selbst, Familien- oder Haushaltsangehörige benötigt.
Eigenbedarfsfälle in vergangenen Jahren stark ausgeweitet
Die Rechtsprechung hat die Möglichkeiten der Eigenbedarfskündigung in den vergangenen Jahren erheblich ausgeweitet. Der Kreis der Familienangehörigen wird äußerst weit verstanden, sofern ab einem gewissen Verwandtschaftsgrad eine persönliche Beziehung zwischen den Personen hinzutritt. Auch die Absicht, die Wohnung gewerblich zu nutzen, ist vom BGH als zulässiger Grund für die Kündigung anerkannt worden. Selbst die geplante Gründung einer Wohngemeinschaft oder Familie durch ein Kind des Vermieters genügt inzwischen.
Auch die Anforderungen an den eigenen Wohnbedarf sind gesunken. Im Prinzip kann der Vermieter frei entscheiden, in welcher seiner Wohnungen er leben möchte. Er muss sich z.B. nicht darauf verweisen lassen, er wohne bereits in einer seinen Bedürfnissen angemessenen Mietwohnung. Auch für eine einzelne Person kann eine Wohnung mit weit über 100qm angemessen sein. Die Rechtsprechung konzentriert sich in der Praxis auf die Eindämmung von Missbrauchsfällen. Um die grundsätzliche Berechtigung zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ging es auch im am Mittwoch entschiedenen Verfahren vor dem BGH (Az.: VIII ZR 232/15):
Kündigung nach fast 30* Jahren
Die beklagte Mieterin hatte im Jahr 1985 die Wohnung vom damaligen Eigentümer angemietet. Sechs Jahre später wurde das gesamte Grundstück mit Mietshaus von einer aus vier Personen bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gekauft, deren vertraglicher Zweck in der "Instandsetzung, Modernisierung und dem Ausbau des Anwesens, dessen Vermietung sowie nach Möglichkeit der Aufteilung in Wohnungseigentum" lag.
Ab 1994 begann die neue Eigentümerin mit der Sanierung des Hauses. Bis 2013 wurden mit Ausnahme der von der Mieterin genutzten Räume sämtliche anderen Wohnungen saniert. Im September 2013 kündigte die GbR den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs für die Tochter eines der Gesellschafter. In den Vorinstanzen ist die Räumungsklage der GbR abgewiesen worden.
* Anm. d. Red: Tippfehler korrigiert am 15.12.2016
2/2: Sonderbehandlung für GbR bei Eigenbedarfsfällen
Zunächst hat sich der VIII. Zivilsenat der Frage gewidmet, ob sich eine GbR überhaupt auf den Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter oder dessen Angehöriger berufen kann. Dies war streitig geworden, nachdem der BGH im Jahr 2001 die GbR für teilrechtsfähig erklärt hatte. Infolgedessen galt bei Mietverträgen seitdem die GbR selbst (und nicht ihre einzelnen Gesellschafter) als Vertragspartei. Bei anderen (rechtsfähigen) Gesellschaftsformen – z.B. GmbH oder Kommanditgesellschaften – ist anerkannt, dass diese im Regelfall keinen Eigenbedarf haben können, denn diese Gesellschaften können weder selbst irgendwo "wohnen", noch haben sie Angehörige, die ihrerseits eine Wohnung benötigen könnten. Nach der Entscheidung zur Teilrechtsfähigkeit der GbR wäre es logisch konsequent gewesen, diesen Grundsatz auch auf sie zu übertragen.
Der BGH hat jedoch entschieden, dass eine GbR sich auf den Eigenbedarf der ihr angehörenden Gesellschafter berufen kann. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei aufgrund einer planwidrigen Lücke im Gesetz auch für diese Fälle analog anwendbar. Denn vor der Rechtsprechung zur Teilrechtsfähigkeit der GbR sei unstreitig gewesen, dass der Eigenbedarf auch von den Gesellschaftern angemeldet werden durfte. Diese waren alle gemeinsam Vermieter, da die Gesellschaft keine eigenen Rechtspersönlichkeit besaß.
Mit der rein gesellschaftsrechtlichen Entscheidung zur Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit sei jedoch keine Änderung dieser Rechtslage beabsichtigt gewesen. Schutzzweck der Norm sei auch nicht, den Mieter vor der Verdrängung aus seiner Wohnung durch eine potentiell unüberschaubare Anzahl von GbR-Gesellschaftern zu schützen – dies sei Ziel und Aufgabe des neuen § 577a Abs. 1a BGB. Das Risiko bei einer GbR als Vermieter sei nicht anders zu bewerten, als bei einer Miteigentümer- oder Erbengemeinschaft auf Vermieterseite. Auch durch diese könne sich der Kreis der Eigenbedarfsberechtigten in gleichem Maße erweitern. Eine Schlechterstellung von GbR-Gesellschaftern sei daher nicht begründbar.
Kündigung wirksam trotz Verletzung der Anbietpflicht
Ungeschriebenes Kriterium der Eigenbedarfsprüfung war nach der bisherigen Rechtsprechung, dass der Vermieter seiner Anbietpflicht gegenüber dem Mieter nachgekommen sein musste. Wurde zwischen Kündigung und Beendigung des Mietvertrages eine andere Wohnung frei, musste sie dem Mieter unabhängig von Lage, Größe und Miethöhe zur Anmietung angeboten werden. Bei Verstößen hiergegen wurde die Eigenbedarfskündigung über § 242 BGB als unzulässig und unwirksam erachtet.
Eine solche Konstellation lag in der heutigen Entscheidung ebenfalls vor, denn die GbR hatte der Mieterin eine freie Wohnung in dem Haus unstreitig nicht angeboten. Der BGH hat seine rigide Rechtsprechung zu dieser Frage jedoch ausdrücklich geändert. Ein Verstoß gegen die Anbietpflicht führt nunmehr nicht mehr zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern lediglich zu einem Schadensersatzanspruch des Mieters. Zwar kann dieser auch empfindlich hoch ausfallen, der Mietvertrag selbst ist durch die Eigenbedarfskündigung gleichwohl beendet.
Insgesamt hat der BGH die rechtliche Stellung der Vermieter bei Eigenbedarfskündigungen somit deutlich gestärkt. Gerade in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt dürfte sich das für die Mieter bemerkbar machen.
Der Autor Dominik Schüller ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in der Immobilienrechtskanzlei SAWAL Rechtsanwälte & Notar in Berlin und twittert zu immobilienrechtlichen Fragen unter twitter.com/ra_schueller.
Dominik Schüller, BGH zu Mietbeendigung durch GbR: Eigenbedarfskündigung deutlich gestärkt . In: Legal Tribune Online, 14.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21467/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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