Nicht selten versuchen eBay-Nutzer, Gebote künstlich in die Höhe zu treiben oder gezielt nach abgebrochenen Auktionen Schadensersatz geltend zu machen. Roland Schimmel zu zwei neuen BGH-Entscheidungen über diese bedenklichen Praktiken.
In den letzten Jahren haben Rechtsprechung und Wissenschaft einigermaßen erfolgreich fast die gesamte Rechtsgeschäftslehre auf die Erfordernisse von Online-Auktionen umgemünzt: Fragen zu elektronischen Angebots- und Annahmeerklärungen, Bedingungen, Fristen, Irrtums- und Anfechtungsmöglichkeiten, Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und vieles mehr sind geklärt. Fest steht auch, in welcher Form man andere Nutzer bewerten kann und welche Rechtsmittel gegen Kritik zulässig sind.
Trotzdem läuft der Auktionsbetrieb nicht ganz störungsfrei. Jede gerichtlich festgeschriebene Ausstiegsmöglichkeit aus dem Auktionsverlauf ruft ein paar Neugierige auf den Plan, die überlegen, ob damit Geld zu verdienen sei. So gibt es seit ein paar Jahren die sogenannten Abbruchjäger, die gezielt nach abgebrochenen Auktionen suchen, um dann vom Bieter Schadensersatz zu verlangen.
Die Auktionsplattform eBay darf dabei als juristischer Innovationstreiber erster Güte gelten. Zu umfangreich ist, was im Lauf der letzten 15 Jahre an rechtswissenschaftlicher Dogmatik und höchstrichterlicher Rechtsprechung durch Teilnehmer an deren Online-Auktionen veranlasst wurde, die Rechtshändel anfingen. Und es hört nicht auf: Am Mittwoch entschied der Bundesgerichtshof (BGH) gleich im Doppelpack über diese problematische Vorgehensweise.
Rechtsmissbrauch durch Abbruchjäger
Im ersten Verfahren (Urt. v. 24.08.2016, Az. VIII ZR 182/15) hatte der klagende Bieter als Einziger auf ein vom beklagten Nutzer bei eBay eingestelltes Motorrad geboten. Als schon nach wenigen Minuten die Auktion abgebrochen und kurz darauf das Motorrad mit korrigierter Beschreibung wieder eingestellt wurde, bot der klagende Mann nicht erneut, sondern bestand auf Erfüllung des seiner Ansicht nach geschlossenen Kaufvertrags. Nach der anderweitigen Veräußerung verlangte er Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen Wert (4.200 Euro) und gebotenem Preis (1 Euro).
Das Landgericht (LG) Görlitz hat den Schadensersatzanspruch auf §§ 437 Nr.3, 280 I, III, 281 I, 283 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützt, aber im Ergebnis verneint, weil seine Geltendmachung rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Der BGH hat nicht in der Sache entschieden, sondern die Prozessführungsbefugnis des klagenden Bieters verneint. Derzeit liegt nur die Pressemeldung des Gerichts vor. Aus ihr wird jedoch ersichtlich, dass der VIII. Zivilsenat die rechtliche Würdigung des LG Görlitz für fehlerfrei hält. Ein Abbruchjäger, der sich so verhält wie der Bieter in diesem Fall, muss künftig vor Gericht mit dem Einwand missbräuchlicher Rechtsausübung rechnen.
Allerdings ist bei der Verallgemeinerung solcher Aussagen Vorsicht geboten, weil gerade der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs stark von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Schon das LG Görlitz hatte darauf abgestellt, dass die Summe mehrerer Indizien einen Rechtsmissbrauch naheliegend erscheinen lasse. Nicht jedes dieser Indizien allein überzeugt gleichermaßen. So steht etwa das Argument, der Bieter habe bei der zweiten Auktion nicht mehr mitgeboten, auf eher schwachen Füßen, zumindest isoliert betrachtet. Denn warum sollte ein Bieter, der eine Sache ersteigert zu haben glaubt, nach weiteren Auktionen suchen und bei diesen mitbieten? Ob eine solche Pflicht oder wenigstens Obliegenheit sich aus dem Kaufvertrag oder dessen Anbahnung ergibt, bedürfte doch detaillierter Ableitung.
Zusammen mit dem Umstand, dass der Kläger auch in zahlreichen weiteren Rechtsstreitigkeiten bundesweit Schadensersatz wegen abgebrochener eBay-Auktionen verlangt, mag das ausreichen. So ist es bedauerlich, dass der BGH sich nicht inhaltlich geäußert hat, denn die zugrundeliegende Konstellation scheint öfter aufzutreten als eBay-Anbietern, die sich anständigerweise bei unpräziser Beschreibung des Verkaufsgegenstands zu einem Abbruch veranlasst sehen, lieb sein kann.
2/2: Abbruchjäger gegen Preistreiber
Aussagekräftiger ist hingegen die Entscheidung des BGH zum zweiten Sachverhalt (Urt. v. 24.08.2016, Az. VIII ZR 100/15). Dieser ist gekennzeichnet durch das Aufeinandertreffen zweier bedenklicher Praktiken. Hier bestand einerseits Grund zu der Annahme, der Kläger sei Abbruchjäger und womöglich an dem zur Versteigerung gestellten Pkw gar nicht interessiert. Andererseits zeigte sich, dass der Beklagte den Wagen zwar für ein Startgebot von 1 Euro eingestellt hatte, dann aber selbst dafür gesorgt hatte, dass der Preis recht schnell den Marktwert (ca. 16.500 Euro) erreichte und überstieg. Für das preistreibende Bieten auf den eigenen Artikel unter anderem Bieternamen hat sich ein englisches Problemschlagwort etabliert: "Shill-Bidding".
Damit ist der Sachverhalt juristisch besonders attraktiv: Beide Streitparteien bedienen sich fragwürdiger Techniken, weshalb das Gericht besonders gründlich darlegen muss, warum es den Rechtsstandpunkt des einen "Schurken" dem des anderen vorzieht.
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart (Urt. v. 14.04.2015, Az. 12 U 153/14) hat in einem sorgfältig begründeten Urteil Schadensersatzansprüche des mutmaßlichen Abbruchjägers unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten verneint. Der Ansatz war recht einfach: Dem Kläger sei kein Schaden entstanden, denn er hätte im Erfolgsfall das Auto zu einem Preis von 17.000 Euro - also über dem Marktwert - gekauft.
Die dahinter stehende Argumentation steht und fällt aber mit der rechtlichen Konstruktion der vom klagenden Bieter abgegebenen Willenserklärung. Diese muss auch dann wirksam sein, wenn das durch sie übertroffene Gebot unwirksam ist. Letzteres kann aus vielen Gründen der Fall sein: Anfechtung wegen Irrtums, Minderjährigkeit des Bieters, Scherzgeschäft etc.
Ob sich allerdings der auf die eigene Sache bietende Anbieter, also der preistreibende Anbieter, auf solche Schutzmechanismen berufen darf, kann bezweifelt werden. Das OLG Stuttgart hat das bejaht und mit der anderenfalls in Frage stehenden Praktikabilität von Online-Auktionen begründet.
BGH: Preistreiber kann sich selbst keinen Vertrag vorschlagen
Das hat der BGH nun genau umgekehrt gesehen. Er erklärt die preistreibenden Gebote des beklagten Auktionserstellers für unwirksam – und damit auch die übersteigenden Gebote des klagenden Bieters. Folglich hätte dieser den Pkw für 1,50 Euro ersteigern können, so dass er nun Schadensersatz in Höhe der Differenz zum Wert verlangen kann.
In der Tat spricht ein starkes Argument für den Standpunkt des BGH: Nicht nur verbietet eBay in seinen AGB das Preistreiben unter Drittidentitäten. Auch der Wortlaut des § 145 BGB spricht von Angeboten nur, wenn "einem anderen die Schließung eines Vertrags" angetragen wurde. Wer sich selbst einen Vertrag vorschlägt, gibt so gesehen überhaupt kein Angebot ab.
Hinzukommt, dass die sonstigen Unwirksamkeitsgründe des BGB alle einen bestimmten Schutzzweck verfolgen, während der Shill-Bidder wohl nur schwerlich Schutz verdient, sich also kaum darauf berufen dürfte, er habe auf die Wirksamkeit des von ihm künstlich in die Höhe getriebenen Gebots aus Gründen der Rechtssicherheit vertrauen dürfen.
Auch wenn die genauen Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, ist das Ergebnis vor diesem Hintergrund ganz stimmig: Der Preistreiber hat sich "noch schlimmer" daneben benommen als der (mutmaßliche) Abbruchjäger. Soll er also Schadensersatz leisten!
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.
Roland Schimmel, BGH zu Preistreibern und Abbruchjägern auf eBay: 3… 2… 1… Streit! . In: Legal Tribune Online, 25.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20390/ (abgerufen am: 10.06.2023 )
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