Es bleibt dabei: Betreiber von Bewertungsportalen müssen falsche Tatsachenbehauptungen zwar löschen, die Identität des jeweiligen Nutzers müssen sie aber nicht herausgeben, so der BGH am Dienstag. Für Opfer von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist das unbefriedigend und auch die Karlsruher Richter sind wohl nicht ganz glücklich mit ihrem Urteil, meinen Niklas Haberkamm und David Ziegelmayer.
Mit seiner Entscheidung tat sich der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) offensichtlich schwer: Eigentlich hatte man schon Anfang Juni mit einem Urteil gerechnet, waren Sachverhalt und Rechtslage doch recht übersichtlich. Doch der Senat beraumte einen Verkündungstermin an, der erst einen Monat später stattfinden sollte.
Es mag daran liegen, dass das Ergebnis für viele – allerdings nicht für die Netzgemeinde, deren Jubelschreie bereits zu hören sind – schwer verdaulich ist: Ein auf einem Online-Bewertungsportal anonym und erweislich zu Unrecht gescholtener Arzt soll nicht erfahren können, wer hinter den Falschbehauptungen steckt (Urt. v. 01.07.2014, Az. VI ZR 345/13). Die Äußerungen des Vorsitzenden Richters Gregor Galke lassen ahnen, dass sich der BGH damit zwar pflichtgemäß, aber schweren Herzens an das Gesetz – in diesem Fall das Telemediengesetz (TMG) – gehalten hat.
TMG sieht anonyme Internet-Nutzung ausdrücklich vor
Gestritten wurde über eine ganze Reihe übler und falscher Tatsachenbehauptungen auf dem Bewertungsportal sanego.de: Der Kläger, ein Arzt aus Schwäbisch-Gmünd, habe angeblich bei einem Patienten eine Schilddrüsenüberfunktion mit einem kontraindizierten Medikament wie Jod-Tabletten behandelt, in den Untersuchungs- und Behandlungsräumen lagerten Patientenakten in Wäschekörben, der Arzt habe einen Patienten fehlerhaft an einen Radiologen zur Erstellung eines nicht notwendigen Tests überwiesen und man müsse 250 Minuten warten.
Da auf der Hand lag, dass der anonyme Nutzer damit die Persönlichkeitsrechte des Arztes verletzt hatte und das Bewertungsportal in der Folge zur Löschung der Kommentare verpflichtet war, hatten die Karlsruher Richter nur noch die Frage zu klären, ob solche Bewertungen im Internet anonym abgegeben werden dürfen, oder ob Betreiber von Bewertungsplattformen die Identität des jeweiligen Nutzers preisgeben müssen.
Während das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in der Berufungsinstanz noch entschieden hatte, dass sanego.de Name und Anschrift des Nutzers herausgegeben muss, versagte der BGH dem Kläger diesen Anspruch. Die Karlsruher Richter bestätigten damit das Recht auf Anonymität im Internet. Eine Verpflichtung, die Daten eines anonymen Nutzers wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung preiszugeben, besteht zivilrechtlich nicht. Die Anonymität der Nutzer dürfe nur in wenigen Ausnahmen aufgehoben werden, der Schutz des Persönlichkeitsrechts rechtfertige eine solche Ausnahme nicht.
Das Urteil beruht damit auf den Grundgedanken des TMG. Dieses Gesetz aus dem Jahr 2007, welches unter anderem die Verantwortlichkeiten im Internet zu regeln versucht, nimmt in § 13 Abs. 6 ausdrücklich Bezug auf eine anonyme Internetnutzung. Danach ist die anonyme Nutzung Plattformen oder Foren sogar ausdrücklich vorgesehen und gewünscht.
Das führt den BGH zu dem Schluss, dass der Betreiber eines Internetportals in Ermangelung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die § 12 Abs. 2 TMG für die Weitergabe von Nutzer-Daten vorschreibt, nicht befugt ist, ohne Einwilligung des Nutzers dessen persönliche Daten zur Erfüllung eines Auskunftsanspruchs wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung an den Betroffenen zu übermitteln.
Betroffene auf Hilfe der Strafverfolgungsbehörden angewiesen
Bereits im Jahr 2009 hat der BGH in seinem viel beachteten "Spick-mich"-Urteil entschieden, dass eine Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) auf nicht-anonyme Äußerungen nicht zulässig ist (Urt. v. 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08). Dieser Grundsatz, dass die Meinungsfreiheit auch Äußerungen erfasst, die anonym abgegeben werden, hat Karlsruhe nun auch auf eindeutige Persönlichkeitsrechtsverletzungen erstreckt.
Dabei darf man durchaus fragen, ob es sinnvoll ist, dass bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen der Täter den Schutz der Anonymität in Anspruch nehmen kann, während der Gesetzgeber etwa die Strafverfolgungsbehörden ermächtigt, "zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum" Daten zur Identifizierung eines Nutzers von den Diensteanbietern herauszuverlangen.
Allerdings ist es dann auch genau dieses Recht der Strafverfolgungsbehörden, an das sich Betroffene am Ende doch noch halten können. Über die Staatsanwaltschaft kann nämlich ein Auskunftsanspruch durchgesetzt und die Identität des Angreifers ermittelt werden, worauf der BGH in seiner Pressemitteilung ausdrücklich hinweist – ein weiteres Indiz dafür, dass er mit dem Ergebnis der Entscheidung nicht ganz glücklich ist.
Diese Möglichkeit besteht aber immer nur dann, wenn ein Straftatbestand erfüllt ist, die Bewertung oder der Kommentar auf dem Portal muss also eine Verleumdung oder eine Beleidigung sein können. Liegt dagegen wie im vorliegenden Fall nur eine "einfache" Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine falsche Tatsachenbehauptung vor, kann der Betroffene lediglich die Löschung dieser Aussage durchsetzen. Wer hinter dem Angriff auf sein Persönlichkeitsrecht steht, wird er nie erfahren.
Der Autor Niklas Haberkamm, LL.M. oec. ist Partner der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum in Köln.
Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Sie sind spezialisiert auf das Medienrecht und dort insbesondere auf das Reputationsmanagement sowie den Schutz des Persönlichkeitsrechts.
David Ziegelmayer und Niklas Haberkamm, BGH stärkt Anonymität im Internet: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12408 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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