Eltern haften fürs Filesharing ihrer Kinder, wenn sie wissen, welches Familienmitglied illegal Inhalte verbreitet hat, aber keinen Namen nennen wollen, so der BGH. Carl Christian Müller zur "Loud-Entscheidung", die er für systemwidrig hält.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erneut eine Entscheidung zum Filesharing abgesetzt. Demnach sind Eltern verpflichtet, den Namen ihres Kindes zu nennen, wenn sie wissen, dass und gegebenenfalls welches Kind für das illegale Verbreiten verantwortlich ist. Andernfalls haften sie selbst (Urt. v. 30.03.2017, Az. I ZR 19/16) – und zwar als Täter. Die Entscheidung steht in einer Reihe von einer Vielzahl von Einzelfallentscheidungen, die der BGH zu dem in der Praxis höchst umstrittenen Thema der Beweislast und sekundären Darlegungslast in diesen Fallgestaltungen gefällt hat.
Der Entscheidung lag ein in diesem Themenkomplex typischer Sachverhalt zu Grunde: Der klagende Tonträgerhersteller nahm die beklagten Eltern auf Schadensersatz in Höhe von 2.500 € sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 1.379,80 € in Anspruch, weil diese im Januar 2011 Musiktitel von der Sängerin Rihanna (Albumtitel "Loud") über ihren Internetanschluss unerlaubt öffentlich zugänglich gemacht haben sollen (sogenanntes Filesharing). Die Eltern bestritten jedoch, die Rechtsverletzung begangen zu haben. Sie verwiesen auf ihre drei bei ihnen wohnenden, volljährigen Kinder. Alle hätten zum fraglichen Zeitpunkt eigene Rechner besessen und über einen WLAN-Router Zugang zum Internetanschluss gehabt.
Im Verfahren hatten die Beklagten erklärt, ihnen sei bekannt, welches der Kinder für den Upload verantwortlich gewesen sei. Sie weigerten sich jedoch, den Namen des Kindes preiszugeben. Sowohl das Land- als auch das Oberlandesgericht München hatten die Eltern verurteilt, der dem klagenden Unternehmen Schadensersatz zu leisten und die Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten. Der BGH hat die Revision der Beklagten am Donnerstag zurückgewiesen.
Alles beim Alten?
Damit ist der BGH seiner bisherigen Rechtsprechungspraxis, was die Grundsätze der Beweislastverteilung in diesen Fallgestaltungen angeht, treu geblieben: Die Darlegungs- und Beweislast für die täterschaftliche Haftung der beklagten Anschlussinhaber liegt zunächst beim klagenden Rechteinhaber. Allerdings soll nach gefestigter Auffassung der Karlsruher Richter eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers sprechen. Diese folge daraus, dass der Anschlussinhaber seinen Telefonanschluss in der Regel auch selbst nutzt.
Er kann diese Vermutung aber entkräften, wenn ein sogenannter atypischer Geschehensablauf in Betracht kommt. Mit seiner Bear-Share-Entscheidung (Urt. v. 8.1.2014, Az. I ZR 169/12) hat der BGH festgestellt, dass eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers dann nicht besteht, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung andere volljährige Familienmitglieder diesen Anschluss benutzen konnten. Im Rahmen der sekundären Darlegungsast muss dann lediglich mitgeteilt werden, dass Dritte Zugriff hatten, wer diese Dritten sind und dass sie als Täter in Betracht kommen.
Um diese Informationen zu bekommen, seien jedoch nur zumutbare Nachforschungen anzustellen. Die sekundäre Darlegungslast führe nämlich weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist es allerdings zumutbar, die Mitnutzer zu dem Vorgang zu befragen und das Ergebnis der Befragung mitzuteilen.
In der jüngst ergangenen Afterlife-Entscheidung (Urt. v. 06.10.2016, Az. I ZR 154/15) bestätigte der BGH diese Rechtsprechung und betonte in diesem Zusammenhang den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Grundgesetz (GG). Unter diesem Gesichtspunkt, so der BGH, sei es dem Inhaber eines Internetanschlusses nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten zu kontrollieren, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar sei es, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.
2/2: Sag ich's loud oder leise – oder lieber gar nicht?
Auch in dem hier besprochenen Richterspruch spielten die Grundrechtspositionen des Art. 6 GG eine entscheidende Rolle. Es stellte sich nämlich die Frage, ob die Eltern im Rahmen der sekundären Darlegungslast den Namen des Kindes mitteilen müssen, wenn dieses die Frage nach seiner Verantwortlichkeit treuherzig mit "Ja!" beantwortet hat. In diesem Fall, so der BGH, wiegen die ebenfalls grundrechtlich geschützten Eigentumsrechte des Tonträgerherstellers schwerer: Sofern der Anschlussinhaber im Rahmen der seiner ihm obliegenden Nachforschungen den Namen des Familienmitglieds erfährt, das die Rechtsverletzung begangen hat, muss er dessen Namen offenbaren – oder eben selbst haften.
Kennt ein beklagter Anschlussinhaber also den Täter, stehen ihm künftig nur zwei Möglichkeiten offen: Entweder er benennt den Verantwortlichen, woraufhin dieser dann sofort verklagt würde - oder er schweigt und wird dann selbst als Täter verurteilt. In der Praxis wird dies wohl dazu führen, dass Betroffene lieber einen Prozessbetrug in Kauf nehmen und schweigen.
Womöglich verfassungswidrig, jedenfalls aber systemwidrig
Aber nicht nur aus diesem Grunde erscheint das Urteil mehr als fragwürdig. Dabei sei dahingestellt, ob die Entscheidung im Hinblick auf die sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde. Es ist aber jedenfalls systemwidrig: Der BGH hat ganz offensichtlich übersehen, dass die Anschlussinhaber täterschaftlich in Anspruch genommen worden sind. Es war jedoch unstreitig, dass die Beklagten als Täter gar nicht mehr in Betracht kommen konnten. Eine Verurteilung als Täter hätte also gar nicht erfolgen dürfen, da die Täterschaftsvermutung unmittelbar durchbrochen war.
Möglicherweise hat sich das Gericht bei seinem Vorgehen von dem Gedanken leiten lassen, dass im Fall einer täterschaftlichen Verurteilung der Eltern anstelle der Kinder ein "Ausgleich im Innenverhältnis" stattfinden kann und ein solches Urteil aus diesem Grunde nicht vollkommen untragbar ist.
Tatsächlich ist eine solche Entscheidung jedoch ebenso wenig gerecht, wie es materiell-rechtlichen und zivilprozessualen Grundsätzen genügt. Denn hiermit ist eine Gefährdungshaftung des Anschlussinhabers begründet, gleichzeitig wird ein maßgeblicher Vortrag zur Entlastung der eigenen täterschaftlichen Haftung der Anschlussinhaber aber schlichtweg überhört.
Der Autor Carl Christian Müller, LL.M. ist Rechtsanwalt und Mitgründer der Kanzlei MMR Müller Müller Rößner, Berlin, die unter anderem auf das Medienrecht, das Presse- und Äußerungsrecht, das Breitbandkabelrecht und das Urheberrecht spezialisiert ist. Er ist Lehrbeauftragter an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang des Mainzer Medieninstituts und fungiert zudem als Justiziar des Deutschen Medienverbandes (DMV).
Carl Christian Müller, BGH zu illegaler Verbreitung über Familienanschluss: Sippenhaftung beim Filesharing . In: Legal Tribune Online, 30.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22532/ (abgerufen am: 10.12.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag