2/2: Sag ich's loud oder leise – oder lieber gar nicht?
Auch in dem hier besprochenen Richterspruch spielten die Grundrechtspositionen des Art. 6 GG eine entscheidende Rolle. Es stellte sich nämlich die Frage, ob die Eltern im Rahmen der sekundären Darlegungslast den Namen des Kindes mitteilen müssen, wenn dieses die Frage nach seiner Verantwortlichkeit treuherzig mit "Ja!" beantwortet hat. In diesem Fall, so der BGH, wiegen die ebenfalls grundrechtlich geschützten Eigentumsrechte des Tonträgerherstellers schwerer: Sofern der Anschlussinhaber im Rahmen der seiner ihm obliegenden Nachforschungen den Namen des Familienmitglieds erfährt, das die Rechtsverletzung begangen hat, muss er dessen Namen offenbaren – oder eben selbst haften.
Kennt ein beklagter Anschlussinhaber also den Täter, stehen ihm künftig nur zwei Möglichkeiten offen: Entweder er benennt den Verantwortlichen, woraufhin dieser dann sofort verklagt würde - oder er schweigt und wird dann selbst als Täter verurteilt. In der Praxis wird dies wohl dazu führen, dass Betroffene lieber einen Prozessbetrug in Kauf nehmen und schweigen.
Womöglich verfassungswidrig, jedenfalls aber systemwidrig
Aber nicht nur aus diesem Grunde erscheint das Urteil mehr als fragwürdig. Dabei sei dahingestellt, ob die Entscheidung im Hinblick auf die sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde. Es ist aber jedenfalls systemwidrig: Der BGH hat ganz offensichtlich übersehen, dass die Anschlussinhaber täterschaftlich in Anspruch genommen worden sind. Es war jedoch unstreitig, dass die Beklagten als Täter gar nicht mehr in Betracht kommen konnten. Eine Verurteilung als Täter hätte also gar nicht erfolgen dürfen, da die Täterschaftsvermutung unmittelbar durchbrochen war.
Möglicherweise hat sich das Gericht bei seinem Vorgehen von dem Gedanken leiten lassen, dass im Fall einer täterschaftlichen Verurteilung der Eltern anstelle der Kinder ein "Ausgleich im Innenverhältnis" stattfinden kann und ein solches Urteil aus diesem Grunde nicht vollkommen untragbar ist.
Tatsächlich ist eine solche Entscheidung jedoch ebenso wenig gerecht, wie es materiell-rechtlichen und zivilprozessualen Grundsätzen genügt. Denn hiermit ist eine Gefährdungshaftung des Anschlussinhabers begründet, gleichzeitig wird ein maßgeblicher Vortrag zur Entlastung der eigenen täterschaftlichen Haftung der Anschlussinhaber aber schlichtweg überhört.
Der Autor Carl Christian Müller, LL.M. ist Rechtsanwalt und Mitgründer der Kanzlei MMR Müller Müller Rößner, Berlin, die unter anderem auf das Medienrecht, das Presse- und Äußerungsrecht, das Breitbandkabelrecht und das Urheberrecht spezialisiert ist. Er ist Lehrbeauftragter an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang des Mainzer Medieninstituts und fungiert zudem als Justiziar des Deutschen Medienverbandes (DMV).
Carl Christian Müller, BGH zu illegaler Verbreitung über Familienanschluss: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22532 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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