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5409

Beobachtung von Abgeordneten: Wenn die Exekutive die Legislative überwacht

Dr. iur. h.c. Gerhard Strate

26.01.2012

Bundesamt für Verfassungsschutz

© A. Kirch

Christian Wulff kann etwas Luft holen. Im Moment bestimmen 27 Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE die innenpolitische Nachrichtenlage. Ihre Beobachtung durch Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist zwar beileibe keine Neuigkeit. Verfassungswidrig ist sie dennoch, kommentiert Gerhard Strate, der auf Karlsruhe hofft.

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Schon 1998 hatte der Berliner Verfassungsschutz einen Mitarbeiter im Wahlkreisbüro von Petra Pau postiert. Der war geübt, hatte er doch sein Handwerk bei der Staatssicherheit gelernt. Auch Bodo Ramelow war sowohl während seiner Zeit als Abgeordneter im Thüringer Landtag als auch als Mitglied des Bundestages in den Jahren 2005 – 2009 Objekt von Ausspähung und Datensammlung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Bereits 2006 ließ das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Bericht des SPIEGEL unkommentiert, dass über den damaligen PDS-Parteivorsitzenden Bisky und den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch Personenenakten angelegt worden seien.

Neu und beunruhigend ist also allenfalls das Ausmaß der Beobachtungstätigkeit des Bundesamtes. Dass diese nicht rechtens sein kann, wird die Bundesjustizministerin gefühlt haben, als sie die Ausspähung von Bundestagsabgeordneten als "unerträglich" bezeichnete. Ihr Kabinettskollege Friedrich, als Bundesinnenminister oberster Dienstherr des Bundesamtes, charakterisierte diese Kritik als "einigermaßen abwegig".

Ramelows Kampf durch die Instanzen

Friedrich kann sich immerhin berufen auf ein Urteil des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2010 (BVerwG, Urt. v. 21.07.2010, Az 6 C 22/09). Diese Entscheidung war ergangen in dem Rechtsstreit, den Bodo Ramelow seit 2006 gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz führt.

In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht (VG) Köln dem heutigen Fraktionsvorsitzenden  der LINKEN im Thüringer Landtag  Recht gegeben. Die Kölner Verwaltungsrichter stellten fest, "dass die Sammlung personenbezogener Informationen über den Kläger durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist, soweit es sich um Informationen handelt, die während der Zeit des Landtagsmandates des Klägers im Thüringer Landtag erhoben worden sind und die während der Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter erhoben worden sind und noch erhoben werden".

In den Vordergrund seiner Entscheidung stellte das VG das freie Mandat des Bundestagsabgeordneten, wie es in Art 38 Abs. 1 Satz des Grundgesetzes (GG) verbrieft ist. Die Abgeordneten seien Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Dieser verfassungsrechtliche Schutz umfasse die gesamte mandatsbezogene Tätigkeit innerhalb und außerhalb des Parlaments. Zweck sei der Schutz des Abgeordneten gegen jegliche ungewollte Einwirkung und Beeinflussung. Das Abgeordnetenmandat sei ein staats- und verfassungsschutzfreies Mandat.

Der einzelne Abgeordnete sei kraft seines Mandates gegenüber allen, auch noch so subtilen Einwirkungs- und Beeinflussungsansinnen sämtlicher drei Staatsgewalten einschließlich der Behörden des Verfassungsschutzes geschützt. Seinem Mandat  ist laut den Kölner Richtern eine kommunikative Komponente immanent, die sich auf die gesamte Tätigkeit des Abgeordneten bezieht und auch den Bereich außerhalb des Parlaments erfasst, etwa das Gespräch zwischen Abgeordnetem und Bürger. Die parlamentarische Repräsentation sei in Gefahr, wenn der freie Informationsaustausch zwischen Wähler und Gewähltem beeinträchtigt wird – etwa durch eine Stigmatisierung des Abgeordneten im Hinblick auf seine nachrichtendienstliche Überwachung.

Letzte Hoffnung Karlsruhe

Dieses kluge und in seiner klaren Sprache vorbildliche Urteil wurde in der nächsten Instanz vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster zwar im wesentlichen Tenor aufrechterhalten, aber in der Begründung weitgehend verwässert.

Das freie Mandat steht,so das Urteil aus dem Jahr 2009 ,einer Beobachtung des Abgeordneten durch das Bundesamt nicht von vornherein entgegen. Ob ein Abgeordneter beobachtet werden darf, könne nur "in jedem Einzelfall" entschieden werden. Bodo Ramelow wurde attestiert, er sei zwar Spitzenfunktionär seiner Partei, gehöre jedoch keiner Gruppierung innerhalb der Partei an, bei der der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen besteht.

Auf die Beschwerde des Bundesamtes hin ließ das Bundesverwaltungsgericht die Revision zu und wiesdie Klage Ramelows ab. Die Bundesrichter scheuten sich dabei nicht, in diesem Urteil dem freien Mandat des Abgeordneten die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf gleichem Niveau gegenüberzustellen. Sie habe "verfassungsrechtlichen Rang". Ihrer Ansicht nach bedarf es noch nicht einmal einer besonderen gesetzlichen Regelung, um der Beobachtung von Abgeordneten durch das Bundesamt Grenzen zu setzen.

Diese Entscheidung verkennt den repräsentativen verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten. Dieser Status ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Wüppesahl-Urteilschon im Jahr 1989 festgehalten hat, Grundlage für die repräsentative Stellung des Bundestages, der als "besonderes Organ" (Artikel 20 Abs. 2 GG) die vom Volk ausgehende Staatsgewalt ausübt. Die Legislative überwacht die Exekutive, nicht umgekehrt.

Das höchste deutsche Gericht hatte schon für 2011 eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde Ramelows gegen das Urteil aus Leipzig sowie eine Organklage der Fraktion DIE LINKE angekündigt. Es ist zu hoffen, dass alsbald zum Schutz der Verfassung dem Verfassungsschutz Grenzen gesetzt werden.

Der Autor Dr. iur. h.c. Gerhard Strate ist Rechtsanwalt in Hamburg und Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer.

 

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