Bahlsen will sich nicht erpressen lassen, nachdem das Unternehmen einen Bekennerbrief erhielt. Der Absender, das Krümelmonster, fordert Kekse für kranke Kinder ("aber die mit Vollmilch!") und eine Spende an ein Tierheim. Strafrechtler Mustafa Oglakcioglu überlegt im Interview mit LTO, ob eine Aktion, die so viele Menschen zum Lächeln bringt, wirklich eine Erpressung ist - oder sonst wie strafbar.
LTO: Gehen wir mal chronologisch vor: Vor wenigen Tagen wurde das goldene Wahrzeichen von Bahlsen entwendet. Ist die Mitnahme des Goldkeks ein Diebstahl - auch wenn der Entwender schon immer beabsichtigt hätte, den Keks zurück zu geben, wenn dann kranke Kinder Kekse bekommen und Bahlsen 1000 Euro an ein Tierheim spendet?
Oglakcioglu: Was den Diebstahl angeht, bereitet eigentlich nur die Zueignungsabsicht Probleme. Und dabei m.E. weniger der Enteignungsvorsatz, also der Vorsatz, den Eigentümer dauerhaft aus dessen Position zu verdrängen. Der Täter macht ja seinen Willen, den geklauten Keks an Bahlsen zurückzuführen, von Bedingungen abhängig, die er nicht beeinflussen kann.
Aber es fehlt wohl an der Aneignungsabsicht. Der Täter hat nicht vor, sich die Sache einzuverleiben beziehungsweise diese "wirtschaftlich zu verwerten". Er nahm, wenn wir mal unterstellen, dass tatsächlich der Schreiber des Bekennerbriefs von "Krümelmonster" derselbe ist wie der Entwender des Kekses, diesen ja nur an sich, um damit seine "noble" Forderung durchzusetzen – also sozusagen als Pfand.
Ich musste spontan an eine mindestens genauso rührselige Geschichte denken, bei der jemand die Kette seiner Exfreundin versteckte, um ein Streit zwischen dieser und ihrem neuen Freund auszulösen und auf diesem Wege wieder ihr Herz zurückzuerobern. Bei solchen Fernzielen liegt es fern, dem Täter eine Aneignungsabsicht zu unterstellen. Sie kann auch nicht pauschal damit begründet werden, dass es "mittelbar" zu einer Vermögensschädigung kommen könnte, etwa den durch den Besitzverlust drohenden Imageschaden.
"Er will den Goldkeks ja wohlbehalten zurückbringen"
LTO: Wir wissen nicht ganz genau, wie der Keks im Wahrzeichen am Bahlsen-Stammhaus befestigt war, aber wie sieht es mit Sachbeschädigung aus?
Oglakcioglu: Ganz ähnlich, würde ich sagen. Man muss wohl jedenfalls derzeit davon ausgehen, dass der Rest des Wahrzeichens ebenso wenig beschädigt ist wieder Keks selbst. Aber selbst wenn die Abmontage zu Schäden geführt haben sollte, wird der Täter wohl kaum vorsätzlich gehandelt haben – denn er will ja für die Durchsetzung seiner Forderung den Goldkeks "wohlbehalten" zurückbringen. Die bloße Sachentziehung ohne Einwirkung auf die Sachsubstanz reicht nach herrschender Meinung nicht aus, um den Tatbestand des § 303 Abs.1 Strafgesetzbuch zu bejahen.
Möglicherweise hat der Täter den Tatbestand des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB erfüllt. Auch wenn der Goldkeks nach meinem Kenntnisstand außen am Bahlsen-Stammhaus hing, musste der Täter das Firmengebäude beziehungsweise Firmengelände ja wahrscheinlich betreten.
LTO: Und das Bekennerschreiben an eine Hannoveraner Zeitung, mit dem "das Krümelmonster" forderte, Bahlsen solle an einem Tag im Februar allen Kindern in einem Krankenhaus Kekse schenken und 1000 Euro an ein Tierheim spenden, sonst komme der Keks "zu Oskar in die Mülltonne"? Der Bahlsen-Chef Werner M. Bahlsen erklärte noch am Mittwoch, das Unternehmen werde sich nicht erpressen lassen. Ist das wirklich strafrechtlich gesehen eine versuchte Erpressung?
Oglakcioglu: Man kann sich durchaus fragen, ob § 253 StGB seit der 6. StrRG überhaupt in solch einem Fall anwendbar ist. Der Wortlaut der Erpressung setzt die Nötigung eines Menschen voraus, die bei diesem zu einem Vermögensnachteil führen muss. Der Messingkeks dürfte aber nicht im Eigentum eines der Organe, sondern im Eigentum des Unternehmens stehen, ebenso wie die essbaren Kekse. Geschädigte wären, wenn sie denn handelten, wie das "Krümelmonster" es sich wünscht, also die Gesellschaft beziehungsweise juristische Person. Ob aber § 253 StGB die Dreieckserpressung zum Nachteil einer juristischen Person überhaupt erfasst, ist eben umstritten.
"Kausal für die Kekse wäre ja das Image von Bahlsen"
LTO: Wäre es denn ein empfindliches Übel, wenn der Keks bei "Oskar in der Tonne" landet?
Oglakcioglu: Wenn die Kosten für einen neuen, noch schöneren Messingkeks geringer sind als die Kosten, die dem Unternehmen entstünden, wenn es der Forderung von Krümelmonster nachgibt, kann man das eigentlich kaum bejahen.
LTO: Bahlsen hat ja schon am Donnerstag seine Taktik ein wenig geändert. Auf seiner facebook-Seite verspricht das Unternehmen seinen Fans, 52.000 Packungen Leibniz Kekse an 52 soziale Einrichtungen zu spenden, wenn das Krümelmonster den goldenen Keks zurück bringt. Und weist auf sein soziales Engagement hin...
Oglakcioglu: Ein wichtiger Punkt: Bei realistischer Betrachtung wäre ja –auch nach der Vorstellung des Krümelmonsters - nicht die Drohung, dass der Goldkeks in der Tonne landet, ausschlaggebend dafür, ob Bahlsen der Forderung nachgibt. Sollte das geschehen, dürften vielmehr Imageerwägungen und Überlegungen im Vordergrund stehen, die Sache aus der Welt zu schaffen. Damit wäre aber die Drohung des Krümelmonsters gar nicht kausal für die Vermögensverfügung beziehungsweise -schädigung auf Seiten von Bahlsen.
"So richtig verwerflich ist das nicht"
LTO: Kann man denn nirgends berücksichtigen, dass das Krümelmonster ja am Ende nicht sich selbst bereichern, sondern irgendwie Robin Hood-mäßig Gutes tun will?
Oglakcioglu (lacht): Naja, selbst Robin Hood würde sich in unserer Rechtsordnung strafbar machen. Diebstahl und Betrug können auf für einen "guten Zweck", also um etwa auf Missstände aufmerksam zu machen und Armut zu bekämpfen, nicht mit Blick auf einen allgemeinen bzw. "sozialen"
Notstand gerechtfertigt werden können. Dafür stellt der Sozialstaat Verfahren und Hilfsmechanismen zur Verfügung.
Trotz der netten Geschichte würde ich das Krümelmonster aber nicht mit Robin Hood vergleichen wollen. Eher würde ich darüber nachdenken, ob der Mensch hinter dem Krümelmonster gegebenenfalls vermindert schuldfähig ist. Die Aktion steht ja völlig außer Relation zu der Forderung. Da kann man schon vermuten, dass noch andere Aspekte hineinwirken mitspielen - eine Racheaktion vielleicht oder ein symbolischer Feldzug gegen den Kapitalismus? Oder aber der Täter ist wirklich ein Scherz-Keks.
Aber dennoch: Tatsächlich kann man die Aspekte, die den Fall so absurd machen, also die altruistischen Motive des Krümelmonsters - Sie wissen schon: "Denkt doch mal an die Kinder!" – berücksichtigen. Der Tatbestand der Erpressung ist ein offener, bei dem die Rechtswidrigkeit positiv festgestellt werden muss. Sie kann nur bejaht werden, wenn die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Und das kann man sicherlich nicht sagen.
LTO: Könnte denn das Krümelmonster auf mildernde Umstände bei der Strafzumessung hoffen?
Oglakcioglu: Da wäre ich mir, einmal vorausgesetzt, man müsste einen der Straftatbestände überhaupt bejahen, nicht so sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass solch ein Vorgehen Sympathien auslöst; ganz unabhängig davon könnte man allerdings nach allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten berücksichtigen, dass der Täter mit Drittbereicherungsabsicht agierte. Natürlich wird auch die Höhe des Schadens eine Rolle spielen – wobei dieser bei tausenden von Kekspackungen so klein wohl gar nicht wäre.
Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie von Prof. Kudlich (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/ Nürnberg).
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Mustafa Oglakcioglu, Strafrechtler zum Goldkeks-Bekennerschreiben : "Das Krümelmonster ist kein Erpresser" . In: Legal Tribune Online, 31.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8079/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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