Fünf Jahre Heimarbeit und danach einen ohne sachlichen Grund auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag? Kein Problem, meint das BAG – Heimarbeitsverhältnisse seien beim Schutz vor Kettenbefristungen nicht zu berücksichtigen. Von Michael Fuhlrott.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am Mittwoch Gelegenheit, grundlegende Klarstellungen über Heimarbeitsverhältnisse und Befristungsvorgaben zu treffen. Die Klägerin des Ausgangsfalls war aufgrund eines "Heimarbeitsvertrags" rund fünf Jahre mit dem Umetikettieren aus Asien stammender "modischer Accessoires" betraut gewesen, welche die Beklagte auf dem europäischen Markt vertreiben wollte. Diese Tätigkeit nahm die Klägerin zuhause vor. Einmal wöchentlich lieferte sie die bearbeitete Ware bei der Beklagten ab und erhielt im Gegenzug eine neue Ladung. Unmittelbar im Anschluss an diese fünfjährige Beschäftigung stellte die Beklagte die Klägerin für ein Jahr befristet als "Junior Team Member Decorations" ein. Einen sachlichen Grund für die Befristung (z.B. Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers o.ä.) gab es nicht.
Als die Beklagte sich am Ende des Jahres weigerte, die Klägerin weiter zu beschäftigen, erhob diese Klage vor dem Arbeitsgericht Köln (Urt. v. 22.10.2014, Az. 2 Ca 228/14). Dort blieb sie jedoch, trotz der strengen Vorgaben des Befristungsrechts, ebenso erfolglos wie anschließend beim Landesarbeitsgericht Köln (Urt. v. 21.05.2015, Az. 7 Sa 1117/14).
Beide Instanzen hielten die Befristung für wirksam. Der fehlende sachliche Grund der Befristung schade nicht – ein solcher sei nur notwendig, wenn der Arbeitnehmer zuvor schon einmal beim selben Arbeitgeber angestellt gewesen sei. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, denn bei der fünfjährigen Tätigkeit in Heimarbeit handele es sich nicht um ein "Normalarbeitsverhältnis", sie habe daher keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Befristung."
"Normalarbeitsverhältnisse" und Heimarbeit
Das "Normalarbeitsverhältnis" soll dem Arbeitnehmer ein erträgliches Einkommen erbringen. Zudem soll der mit dem Arbeitsverhältnis einhergehende sog. "soziale Besitzstand" gesichert und der Arbeitnehmer vor unberechtigten Kündigungen geschützt werden. Das Arbeitsrecht als Arbeitnehmerschutzrecht mit Mindestlohngesetz, Kündigungsschutzgesetz und weiteren Schutzvorschriften sichert diese Standards ab. Maßgeblich für die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts und der meisten arbeitsrechtlichen Vorgaben ist daher stets, dass ein Arbeitnehmer in einem solchen "Normalarbeitsverhältnis" betroffen ist. Freien Mitarbeitern oder Selbständigen gesteht der Gesetzgeber hingegen keinen solchen Schutz zu.
Eine Besonderheit und eine Zwischenstellung zwischen Arbeitnehmern auf der einen und Selbständigen auf der anderen Seite nehmen die sog. arbeitnehmerähnlichen Personen ein. Diese sind zwar selbständig tätig und nicht in den Betrieb eines Arbeitgebers eingegliedert, so dass sie auch keinem Direktionsrecht unterliegen. Allerdings sind sie nur für einen Auftraggeber tätig und wirtschaftlich von diesem abhängig. Sie unterliegen daher etwa auch der Sozialversicherungspflicht.
Klassischer Fall sind Heimarbeiter, die in ihrer eigenen Wohnung die vereinbarte Tätigkeit verrichten. Typische Betätigungsfelder von Heimarbeitern sind etwa die Durchführung von telefonischen Befragungen, Lektor- oder Programmiertätigkeiten. Aber auch einfachere handwerkliche Tätigkeiten wie Bastelarbeiten oder – im Falle der Klägerin – das Umetikettieren von Importware werden oftmals in Heimarbeit erledigt.
2/2: Heimarbeit ist keine Zuvor-Arbeit
Die weiteren rechtlichen Vorgaben regelt das Heimarbeitsgesetz (HAG), das 1951 erlassen wurde und auf dem bereits seit 1912 bestehenden Hausarbeitsgesetz aufbaut. Für den Heimarbeiter hat dies den Vorteil, eine sozialversicherungspflichtig abgesicherte Tätigkeit in seinen eigenen Räumen und mit im Wesentlichen freier Zeiteinteilung vornehmen zu können.
Auch für den "Heimarbeitgeber" bzw. Auftraggeber bietet das Modell Vorteile: Er muss für den Heimarbeiter keinen Arbeitsplatz vorhalten und kann diesem zudem ohne Grund unter Einhaltung der Kündigungsfrist kündigen (§ 29 HAG). Dies ist einer der wesentlichen Unterschiede zu regulären Arbeitnehmern, die ab einer sechsmonatigen Beschäftigungsdauer (§ 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz - KSchG) und einer Betriebsgröße von mehr als zehn Arbeitnehmern (§ 23 Abs. 1 KSchG) nur bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes entlassen werden können.
Diese rechtlichen Unterschiede wirken sich auf das Befristungsrecht aus. § 14 Abs. 2 S. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) erlaubt die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses nur dann, wenn in den letzten drei Jahren vor Beschäftigungsaufnahme kein "Zuvor-Arbeitsverhältnis" bestanden hat. Vorherige Tätigkeiten als freier Mitarbeiter, Umschulungs-, Praktikanten- oder Berufsausbildungsverhältnisse stellen keine solchen "Zuvor-Arbeitsverhältnisse" dar. Gleiches gilt für Heimarbeitsverhältnisse – wie das BAG nunmehr bestätigt hat. Ein Arbeitsverhältnis, das sich unmittelbar an ein Heimarbeitsverhältnis anschließt, kann somit auch ohne Sachgrund befristet werden (BAG, Urt. v. 24.08.2016, Az. 7 AZR 342/14)– die Klägerin hat zum dritten Mal verloren.
Was würde der EuGH wohl dazu sagen?
Die Unterschiede zwischen Heimarbeit und "Normalarbeit" sind nicht zu leugnen. Die Situation eines Heimarbeiters ist bedingt durch die Besonderheiten der Beschäftigung eine andere. Gleichwohl: Sowohl Heimarbeit als auch reguläre Arbeitsverhältnisse stellen im weitesten Sinne abhängige Beschäftigungsformen dar. Heimarbeiter werden gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) auch bei der Betriebsratswahl beteiligt, ein bestehender Betriebsrat ist nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 07.11.1995, Az. 9 AZR 268/94) vor ihrer Kündigung gem. § 102 BetrVG anzuhören.
Außerdem findet das deutsche Befristungsrecht seine Grundlage in der europäischen Richtlinie RL 1999/70/EG vom 10. Juli 1999. Diese gibt den einzelnen Mitgliedsstaaten zwar Spielräume vor, unter anderem auch bei der Ausfüllung des Arbeitnehmerbegriffs. Allerdings hat der EuGH erst kürzlich bewiesen, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff weitaus enger als der deutsche ist (EuGH, Urt. v. 09.07.2015, Az. C-229/14). So hat der EuGH etwa Fremdgeschäftsführer ohne Sperrminorität und Praktikanten als abhängige Beschäftigte qualifiziert, auf die die Vorschriften für Massenentlassungen gem. § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut Anwendung zu finden haben.
Vor dem Landesarbeitsgericht hatte die Klägerin eine Vorlage dieser Frage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union) angeregt – das BAG ist dem nicht gefolgt. Zu den Gründen hierfür schweigt die bislang allein vorliegende Pressemitteilung des Gerichts. Das BAG täte aber gut daran, sich mit diesen Fragen in seinen Entscheidungsgründen sehr sorgfältig auseinander zu setzen – denn vielleicht wird es damit auch die Luxemburger Richter überzeugen müssen.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg.
BAG zu Anschlussbefristung bei Heimarbeitern: Heimarbeit ist keine "echte Arbeit" . In: Legal Tribune Online, 25.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20380/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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