Kein Thema spaltet die Gesellschaft derzeit mehr als das Asylrecht. Doch unabhängig von politischen Überzeugungen gibt es eine Rechtslage. Diese zu realisieren, könnte Gemüter aller Couleur beruhigen. Ein Überblick.
Die Juristen lieben es – das Prüfungsschema. Es bietet durch seine Struktur auch eine gute Übersicht über die Abstufungen bei den Schutzrechten, die Geflüchtete beanspruchen können. Wenn die erste Situation nicht vorliegt, ist zu prüfen, ob die nächste Konstellation vielleicht einschlägig ist, um ein Bleiberecht zu begründen – und so weiter.
Es gibt vier Möglichkeiten, die auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüft: Der Schutz vor politischer Verfolgung nach Art. 16a Grundgesetz (GG), die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG), der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG und die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
2/11: Grundrecht auf Asyl
In Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) ist geregelt: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Diese Norm ist aber gerade nicht das Recht auf Asyl, auf das sich die mit der viel zitierten Flüchtlingswelle ankommenden Menschen berufen können. Denn die politisch Verfolgten, die Art. 16a GG für sich in Anspruch nehmen können, sind eine fast verschwindend geringe Anzahl. Der Artikel bietet nur denen Rechte, die politisch verfolgt sind und nicht über den Landweg nach Deutschland gekommen sind.
Sie haben Recht auf Asyl, wenn sie aufgrund ihrer Rasse, der Nationalität, der politischen Überzeugung, der religiösen Grundentscheidung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt wären. Gerade nicht unter diese Norm fallen also Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit. Vor allem aber darf die Einreise nicht über einen sicheren Drittstaat erfolgen, Art. 16a Abs. 5 GG, § 26a Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Dazu zählen unter anderem alle EU-Staaten und die Schweiz, so dass sich auf das Grundrecht nur noch berufen kann, wer auf dem Direktweg per Flugzeug einreist.
So dürften derzeit beispielsweise die Rohingya in Myanmar einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sein und sich daher auf das Grundrecht auf Asyl berufen können. Es wird ihnen indes kaum möglich sein, tatsächlich auf dem Luftweg nach Deutschland zu gelangen. Die Menschen, die den Schutzstatus nach Art. 16a GG erreichen, werden als Asylberechtigte bezeichnet.
3/11: Der "beste" Flüchtling
Der Begriff des Flüchtlings ist in § 3 AsylG definiert, die Norm ist angelehnt an den Flüchtlingsbegriff des Art .1 A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).
Ein Ausländer bekommt danach die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
- eine Verfolgungshandlung, die durch einen Verfolgungsakteur erfolgt
- eine begründete Furcht (Verfolgungsprognose)
- Verfolgungsgründe vorliegen
- kein Schutz im Heimatstaat gewährt wird und
- kein Grund vorliegt, der die Anerkennung als Flüchtling ausschließt oder beendet, §§ 3, 72 AsylG.
Wer diesen Status erreicht, steht zusammen mit den Asylberechtigten nach Art. 16a GG unter den Schutzsuchenden am besten da: Diese Menschen bekommen für drei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG, es kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, die Menschen dürfen arbeiten und ihre Familien nachholen.
4/11: Subsidiär Schutzberechtigte
Auf jeden Asylantrag hin prüft das BAMF zunächst den Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, so prüft das BAMF die subsidiäre Schutzberechtigung nach § 4 Abs. 1 AsylG, die einen vorübergehenden Schutz gewährt.
Diesen Schutzstatus bekommen Menschen, die darlegen können, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ernsthafter Schaden droht, der von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann. Ernsthafter Schaden ist gem. § 4 Abs. 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Auch hier dürfen keine Ausschlussgründe vorliegen.
Diesen Schutzstatus bekommen derzeit die syrischen Kriegsflüchtlinge. Der Status begründet eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die verlängert werden kann, und kann später ggf. zu einer Niederlassungserlaubnis führen. Zudem ist die Erwerbstätigkeit gestattet.
5/11: Sichere Drittstaaten und sichere Herkunftsländer
Das Ausländer- und Asylrecht spricht sowohl von sicheren Drittländern als auch von sicheren Herkunftsstaaten – und tatsächlich meinen die Begriffe unterschiedliches. Bei den Drittstaaten bezieht sich das Gesetz auf das Land, über das die Menschen eingereist sind. Die sicheren Herkunftsstaaten beziehen sich auf die Länder, aus denen sie ursprünglich stammen – der Begriff wird oft ersetzt durch das Wort Herkunftsländer.
Die sicheren Drittstaaten sind gem. § 26a AsylG die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die in Anlage I des AsylG bezeichneten Staaten. In diesen sind, so heißt es in Art 16a. Abs. 2 GG, die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt. Laut Anlage I sind das aktuell Norwegen und die Schweiz.
Sichere Herkunftsländer sind die in der Anlage II zum AsylG bezeichneten Staaten. Aufgeführt sind dort Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Senegal und Serbien. Diese Auflistung ist immer wieder Streitgegenstand in der Politik, zuletzt scheiterte im März 2017 im Bundesrat der Gesetzentwurf der Bundesregierung, Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.
Stammen die Menschen aus diesen sicheren Staaten, wird ihr Asylantrag grundsätzlich als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
6/11: Die Rechtsgrundlagen im Asylrecht
Das Asylrecht wird ständig durch neue politische Entwicklungen angepasst. Abgesehen von dem vielfach missverständlich dargestellten Grundrecht auf Asyl im GG spielen die Genfer GFK, das AsylG, das AufenthG, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Dublin-Verordnungen I bis III eine wesentliche Rolle.
Ein Asylverfahrensgesetz gibt es übrigens nicht mehr, das ist längst ins AsylG integriert worden. Daher finden sich nun auch dort die Regeln über den Ablauf des Asylverfahrens.
7/11: Familiennachzug
Der Familiennachzug ist ein Thema, das für jede Menge Streit während der nun gescheiterten Jamaika-Sondierungsgespräche für eine mögliche Bundesregierung scheitern sorgte. Ungeachtet der politischen Debatte und der je nach politischem Kalkül stark divergierenden Angaben über die Anzahl an Menschen, die über die Regelung des Familiennachzugs nach Deutschland kommen könnten, halten wir uns an die Fakten:
Grundsätzlich, so sieht es das AufenthaltsG vor, ist auch der Familiennachzug möglich. Allerdings ist das Recht auf Familiennachzug durch die Einführung des § 104 Abs. 13 AufenthG mit dem Asylpaket II bei subsidiär Schutzberechtigten bis zum 16. März 2018 ausgesetzt.
8/11: Nicht jeder darf bleiben
Es darf nicht jeder Ausländer in Deutschland bleiben. Nach § 50 AufenthG besteht eine Ausreisepflicht, wenn kein Aufenthaltstitel besteht. Die Maßnahmen sind dann die Ausweisung oder die Abschiebung. Die Ausweisung ist dabei der das Recht zum Aufenthalt beendende Verwaltungsakt, die Abschiebung die tatsächliche Umsetzung der Ausreisepflicht.
So können Menschen, die etwa straffällig geworden sind, des Landes verwiesen werden, § 54 AufenthG. Allerdings müssen auch in diesen Fällen die Interessen des Staates mit den Bleibeinteressen des Betroffenen abgewogen werden.
Eine Abschiebung ist ausgeschlossen, wenn dem Betroffenen in seinem Herkunftsland Todesstrafe, Folter oder die Gefahr für Leib, Leben oder die Freiheit droht, § 60 AufenthG.
Wird die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt, so ist der Ausländer geduldet, § 60a AufenthG. Die Ausreisepflicht bleibt allerdings bestehen, so dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, sobald das Abschiebungshindernis weggefallen ist.
9/11: Einwanderung oder Zuwanderung?
Einige politische Akteure fordern ständig ein Einwanderungsgesetz nach australischem oder kanadischem Vorbild. Dieses ist nicht zu verwechseln mit dem Zuwanderungsgesetz – das haben wir schon seit 2015, im vollen Namen "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern".
Dieses Gesetz regelt die Einreise, den Aufenthalt und die Integration von Menschen mit einem ausländischen Pass in Deutschland. Es enthält das Freizügigkeitsgesetz und gilt damit für EU-Bürger, Menschen aus den ERW-Staaten sowie der Schweiz. Für alle anderen Menschen gilt das Aufenthaltsgesetz, das ebenfalls unter den Begriff des Zuwanderungsgesetz fällt.
Unabhängig davon fordern Politiker immer wieder ein Einwanderungsgesetz, das den Zuzug von qualifizierten Fachkräften regeln soll.
10/11: Die Obergrenze
Dieses Thema sorgt seit langem für politische Verbalexzesse. Polemik und Wählergruppen außen vor gelassen und juristisch betrachtet, kann man trefflich darüber streiten, ob eine Obergrenze in Deutschland rechtswirksam eingeführt werden könnte. Zwar ist der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Grenze mit Verweis auf die Artikel 18 und 19 der Grundrechte-Charta problematisch und nur denkbar wäre, wenn der Flüchtling in sichere Drittstaaten zurückgewiesen werde. Doch wie oben bereits erwähnt, spielt die Obergrenze für das Recht auf Asyl nach Art. 16a GG praktisch gar keine Rolle, weil sich so wenige Geflüchtete überhaupt auf dieses Grundrecht berufen können.
Im Zentrum der Debatte muss vielmehr das Recht auf Asyl nach dem AsylG stehen. Und dabei wird regelmäßig außer Acht gelassen, dass jedes Leistungsrecht – und dazu zählt das Asylrecht – immanente Schranken hat. Diese Schranken sind die Grundrechte anderer und die Verfassungsprinzipien, die Rechte stehen also unter dem Vorbehalt des möglichen. "Hier muss die Diskussion ansetzen: Ist es dem Staat Deutschland noch möglich, Asylbewerber aufzunehmen?", formulierte Dr. Nicola Haderlein die Frage, Pressedezernentin und als Richterin am VG Düsseldorf und derzeit für Asylverfahren von Irakern zuständig. Entscheidend sei die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates. Auch die innere Ordnung sei relevant für eine Begrenzung der Anzahl der aufzunehmenden Ausländer. Eine Begrenzung, so die erkennbare Meinung der Richterschaft, wäre also durchaus denkbar.
Noch eine Randnotiz: Die Regelung, dass über sichere Drittländer eingereiste Ausländer kein Bleiberecht haben, findet sich auch in § 18 AsylG und in der Dublin-VO. Danach wäre Deutschland grundsätzlich nicht zuständig für diese Menschen. Umgehen lässt sich diese Regelung mit dem Selbsteintrittsrecht, mit dem sich ein Land – wie der Namen schon sagt - selbst für zuständig erklärt.
11/11: Dublin-Verordnungen
Von den Dublin-Verordnungen gibt es inzwischen drei an der Zahl. Sie regeln die Zuständigkeiten der Mitgliedsländer der Europäischen Union für die Flüchtlinge.
Inzwischen hat der Europäische Gerichtshof in verschiedenen Verfahren entscheiden, dass etwa die Fristenregelungen trotz des bilateralen Charakters der Verordnung auch subjektive Rechte der Flüchtlinge begründen. Eine vierte Dublin-Verordnung ist derzeit in Arbeit.
Tanja Podolski, Deutschland und die Ausländer: Asylrecht zum Mitreden . In: Legal Tribune Online, 28.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25727/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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