Einige arbeitsrechtliche Bonbons bewahrt sich das BAG stets für die Adventszeit auf. Dieses Jahr waren es die Massenentlassungsanzeige und der Beweiswert der AU-Bescheinigung. Das und was sonst wichtig war am BAG in 2023, lesen Sie hier.
Das Arbeitsrecht hat uns spannende Geschichten geliefert im Jahr 2023, sei es die Arbeitnehmereigenschaft im Yoga-Center oder auch noch mal die Weigerung der Corona-Impfung bei Beschäftigten im Krankenhaus. Doch was im Arbeitsrecht Anekdoten sind, ist für Betroffene oft folgenschwer. Abgesehen davon, dass sich viele Menschen mit ihrer Arbeit identifizieren, geht es auch um den persönlichen Lebensstandard, den das Gehalt bestimmt.
Wann im Streitfall das Arbeitsverhältnis noch fortbesteht und welche Regeln dann gelten, das entscheiden – natürlich z.T. nach Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) – die Richter:innen am Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Sie hatten auch im Jahr 2023 Fragen zum Urlaub und zur Diskriminierung zu klären – oder haben, wie etwa bei der Massenentlassungsanzeige, die Grundlagen für eine einheitliche Regelung gelegt.
1/11: Equal Pay: Besseres Verhandlungsgeschick rechtfertigt nicht Gehaltsunterschied
Besseres Verhandlungsgeschick reicht als Argument nicht aus, um die bessere Bezahlung von Männern zu rechtfertigen: Vom Equal-Pay-Grundsatz darf nicht deshalb abgewichen werden, nur weil ein männlicher Kollege ein höheres Gehalt fordert und der Arbeitgeber dem nachgibt, urteilte das BAG im Fall von Susanne Dumas (Urt. v. 16.01.2023, Az. 8 AZR 450/21).
Männer hatten in einer vergleichbaren Position mehr Lohn bekommen, Dumas klagte auf Zahlung der Differenz – mit Erfolg. Das niedrigere Gehalt für gleiche Arbeit begründe die Vermutung nach § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), also dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Diese Vermutung hätte der Arbeitgeber theoretisch widerlegen können, das sei in diesem Fall aber nicht gelungen, so das BAG. Darauf, dass das höhere Grundgehalt des männlichen Kollegen nicht auf das Geschlecht, sondern auf dessen besseres Verhandlungsgeschick zurückzuführen sei, könne sich das Unternehmen nicht mit Erfolg berufen.
Diskriminierung wegen des Geschlechts bzw. das Gebot von Equal Pay sind im AGG, im Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt. Nur objektive, geschlechtsneutrale Gründe wie Qualifikation oder Berufserfahrung können bei gleicher Tätigkeit eine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen.
2/11: AU: Kein Krankfeiern bis zum Antritt des neuen Jobs
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) dient nicht dazu, beim alten Arbeitgeber passend bis zum Antritt des neuen Jobs frei machen zu können. Dass sie aber genau dafür nicht selten genutzt wird, hat auch das BAG längst erkannt – und erkennt den einst hohen Beweiswert des "Gelben Scheins" nicht mehr ohne weiteres an.
Vielmehr kann der Beweiswert erschüttert sein, wenn sich der Arbeitnehmer im Anschluss an eine vom Arbeitgeber erhaltene Kündigung krankmeldet oder das Attest passgenau bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgestellt ist, entschied das BAG (Urt. v. 13.12.2023, Az.: 5 AZR 137/23). In dem Fall wird es für den Mitarbeiter wohl keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geben – es sei denn, er kann noch den Beweis erbringen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.
3/11: Fehler bei Massenentlassungsanzeige bald nicht mehr ganz so schlimm?
Noch ist nichts entschieden, aber man muss diese Verfahren zumindest als Arbeitsrechtler im Sinn haben: Die Folgen bei Fehlern in der Massenentlassungsanzeige. Kommt es zur Massenentlassung, müssen Arbeitgeber viele – und zwar potenziell sehr fehlerträchtige – Maßnahmen ergreifen, § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG): der Betriebsrat und die Arbeitsagentur müssen informiert werden, das Schreiben muss bestimmte Angaben dazu enthalten, wer weshalb und warum entlassen wird. Fehler führten nach bisheriger Rechtsprechung zur Unwirksamkeit der Kündigung, so die Rechtsprechung des BAG.
Der Sechste Senat des BAG möchte diese Rechtsprechung aufzugeben (Az. 6 AZR 157/22 (B); 6 AZR 155/21 (B) und 6 AZR 121/22 (B)). Darin liegt eine entscheidungserhebliche Abweichung zur früheren Rechtsprechung des Zweiten Senats. Der erkennende Sechste Senat hat daher angefragt, ob der Zweite Senat an seiner Rechtsauffassung festhält. Würde er, hat der Große Senat des BAG zu entscheiden, um die Rechtsprechung zu vereinheitlichen.
4/11: Keine unbedingte Vertraulichkeit in der Whatsapp-Gruppe
Auch eine private Whatsapp-Gruppe ist kein rechtsfreier Raum. Wer sich dort rassistisch und beleidigend äußert, kann gekündigt werden. Nur im Ausnahmefall könne man in einem solchen Fall auf den Schutz durch Vertraulichkeit setzen, entschied das BAG (Urt. v. 24.08.2023, Az. 2 AZR 17/23).
Dafür sei die Größe der Gruppe, ihre Zusammensetzung, der Inhalt und die unterschiedliche Beteiligung der Mitglieder relevant. Für die Vertraulichkeitserwartung kommt es also auf die Art der Nachricht und die Größe der Gruppe an.
In dem Fall waren sieben Personen in der Gruppe, langjährige Freunde, teilweise miteinander verwandt. Einer äußerte sich "in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise" über Vorgesetzte – er erhielt die Kündigung. In der Gruppe hatten sich nicht alle gleichermaßen in der Gruppe mit Nachrichten beteiligt.
5/11: Videoüberwachung trotz Datenschutzverstößen verwertbar
Obacht, wenn das Betriebsgelände mit Kameras überwacht wird: Ist auf die Überwachung mit Schildern hingewiesen, so ist die Videoaufzeichnung in einem späteren Kündigungsschutzprozess zum Beweis eines Fehlverhaltens verwertbar, urteilte das BAG (Urt. v. 29.06.2023, Az. 2 AZR 296/22). Dies gelte auch dann, wenn die Überwachung gegen Datenschutzrecht verstoßen sollte.
Es spiele "keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach", teilte das BAG mit. Die DSGVO stehe der Verwertung durch die Arbeitsgerichte nicht entgegen. Das gelte jedenfalls dann, wenn ein vorsätzliches Fehlverhalten in Rede stehe und die Videokamera durch ein Schild ausgewiesen "und auch sonst nicht zu übersehen" sei.
Das Verwertungsverbot folge also nicht zwangsläufig aus einem Datenschutzverstoß, vielmehr müssten die Gerichte die widerstreitenden Interessen abwägen.
In dem Fall hatte ein Mann zu früh seine Arbeit beendet und war beim Verlassen des Betriebsgeländes gefilmt worden. Die Aufzeichnungen hatte der Arbeitgeber aus datenschutzrechtlicher Sicht aber länger als erlaubt gespeichert.
6/11: Teilzeit-Arbeit bedeutet Teilzeit-Rente
Wer in den letzten zehn Jahren vor der Rente Teilzeit arbeitet, bekommt auch nur eine anteilige Betriebsrente. Das gilt auch dann, wenn die Person davor Vollzeit gearbeitet hat, so das BAG. Darin liege keine rechtswidrige Diskriminierung, auch wenn das Phänomen der Teilzeitarbeit überwiegend Frauen betrifft (BAG, Urt. v. 20.06. 2023, Az. 3 AZR 221/22).
Zwar ist eine generelle Benachteiligung wegen der Teilzeitarbeit gem. § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verboten. Eine Ausnahme besteht, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Daraus folgt auch ein Anspruch der Teilzeitkräfte auf eine Versorgung im Verhältnis zur individuellen Arbeitszeit (sogenannter pro-rata-temporis-Grundsatz).
Der Arbeitgeber dürfe daher eine Betriebsrentenleistung für Teilzeitkräfte entsprechend ihrer gegenüber vergleichbaren Vollzeitkräften verringerten Arbeitsleistung anteilig kürzen.
7/11: Fristlose Kündigung passt nicht zu Weiterbeschäftigung
Beim Streit um die Wirksamkeit einer Kündigung kann es für die Parteien ratsam sein, bis zur endgültigen Klärung durch ein Gericht erst einmal weiterzumachen: Arbeitnehmer sollten ihre Arbeitskraft anbieten, Arbeitgeber eine Arbeit bereitstellen. Ist jedoch ein Weiterbeschäftigungsangebot offensichtlich nicht ernstgemeint, kann ein Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten. Der Arbeitnehmer muss seine Arbeit dann nicht mehr anbieten (BAG, Urt. v. 29.03.2023, Az. 5 AZR 255/22).
In diesem vom BAG entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Er behauptete, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten. Gleichzeitig hat er dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses angeboten. Das sei widersprüchliches Verhalten, das den Arbeitnehmer nicht in Annahmeverzug setzt, entschied das BAG.
8/11: Kein gleicher Lohn bei Leiharbeit
Bei Leiharbeit gilt nicht der Equal-Pay-Grundsatz. Leiharbeiter dürfen für dieselbe Arbeit schlechter bezahlt werden als Stammarbeitnehmer des entleihenden Unternehmens. Diese Ungleichbehandlung werde auf anderem Wege kompensiert, so das BAG (Urt. v. 31.05.2023, Az. 5 AZR 143/19).
Der EuGH hatte sich bereits im Dezember 2022 mit dem Fall im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens beschäftigt, das das BAG angestrengt hatte. Er entschied, dass Leiharbeiter dann schlechter bezahlt werden dürfen als Stammbeschäftigte, wenn diese Ungleichbehandlung im Tarifvertrag ausgeglichen werde.
Diesen Ausgleichsvorteil sah das BAG als erfüllt an: Die Klägerin bekam in dem konkreten Fall ihr Entgelt auch in der verleihfreien Zeit.
9/11: Keine Entfristung bei Urlaubsgewährung
Nur weil ein Beschäftigter nach Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags noch Urlaub nehmen konnte, ist das Arbeitsverhältnis nicht automatisch verlängert. Die entsprechende Fiktion der Fortsetzung nach § 15 Abs. 5 (bis 31.07.2022, danach § 15 Abs. 6 TzBfG) Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) sei nicht erfüllt, entschied das BAG (Urt. v. 09.02.2023, Az. 7 AZR 266/22).
Die Fortsetzungsfiktion erfordere nämlich eine Arbeitsleistung des Beschäftigten, die vom Arbeitgeber stillschweigend angenommen werden kann. Eine einseitige Leistungserfüllung wie die Gewährung von Urlaub genüge hingegen nicht, um eine stillschweigende Verlängerung des Arbeitsverhältnisses anzunehmen.
10/11: Dreijahresfrist bei Urlaubsabgeltung
Finanzielle Abgeltungsansprüchen für nicht genommenen Urlaub nach Ende eines Arbeitsverhältnisses verjähren erst nach drei Jahren (BAG, Urt. v. 31.01.2023, Az. 9 AZR 456/20). Die Erfurter Richter:innen sorgten damit für eine Klarstellung im deutschen Urlaubsrecht. Verhandelt wurde ein Fall aus Niedersachsen.
Die Richter:innen reagierten auf die in den vergangenen Jahren geänderte Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen. 2018 hatte der Europäische Gerichtshof dazu entschieden, ein Jahr später das BAG. Normalerweise beginnen die Fristen am Ende des Kalenderjahres, in dem Urlaubsansprüche strittig sind.
Bereits Ende des Jahres 2022 hatte das BAG geurteilt, dass Urlaub in einem bestehenden Arbeitsverhältnis nicht verjähren kann, wenn Arbeitgeber ihrer Informationspflicht nicht nachkommen (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20). Sie müssen ihre Beschäftigten auf ihre Urlaubsansprüche hinweisen und warnen, dass sie verfallen, wenn kein Urlaubsantrag gestellt wird. Damit wurde eine EuGH-Entscheidung in deutsches Recht umgesetzt. Nun galt noch zu klären, wie mit den Abgeltungsansprüchen umzugehen ist.
11/11: Schlechterstellung von Minijobbern rechtswidrig
Minijobber dürfen finanziell nicht schlechter gestellt werden als Vollzeitkräfte, weil man mit letzteren angeblich besser planen könne, entschied das BAG (Urt. v. 18.01.2023, Az. 5 AZR 108/22). In dem Fall ging es um Rettungsassistenten.
Mit der Entscheidung bestätigte das BAG, dass geringfügig Beschäftigte bei gleicher Qualifikation und identischer Tätigkeit keinen geringeren Stundenlohn erhalten dürfen als Vollzeitbeschäftigte. Minijobber sind Teilzeitbeschäftigte, § 2 Abs. 2 TzBfG, die natürlich dem Diskriminierungsschutz unterfallen. Ein vom Arbeitgeber lediglich pauschal ins Feld geführter Mehraufwand bei der Einsatzplanung könne keinen niedrigeren Stundenlohn bei identischer Tätigkeit rechtfertigen, so das BAG.
Sollte man kennen: Elf wichtige BAG-Entscheidungen aus 2023 . In: Legal Tribune Online, 31.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53512/ (abgerufen am: 09.05.2024 )
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