Kürzlich ist die Initiative zur Umbenennung des Palandt nach einem LTO-Beitrag kontrovers diskutiert worden. Nun melden sich zwei Juristen und Mitglieder zu den Beweggründen zu Wort. Übertriebene Moral sei ganz sicher keiner davon.
Martin Rath bleibt in seiner Kritik an der "Initiative Palandt umbenennen" in der LTO "die Spucke weg". Der Grund für diese heftige Reaktion: Rath meint, seine Auffassung, der Palandt könne gerade wegen seines Namens als "Stolperstein der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte" dienen, würde von Mitinitiator Janwillem van de Loo in der aktuellen JZ damit gleichgesetzt, "Adolf-Hitler-Plätze" zu rechtfertigen.
Hier liegt ein Missverständnis vor, das wir als Mitglieder der Initiative aufklären wollen. Nichts ist dagegen einzuwenden, wie Rath es vorschlägt, in den "Palandt" einen Text über seinen Namensgeber einzufügen. Gleichwohl setzt sich die Initiative für die wirksamere Alternative ein.
Im aktuellen Vorwort des Palandt wird über den Namensgeber kein Wort verloren. Im Kommentar ist lediglich vermerkt, dass Otto Palandt bis zur 10. Auflage am Kommentar mitgewirkt habe. Dass Palandt ausschließlich teils ideologiegetränkte Vorworte schrieb, erfährt man nicht. Unerwähnt bleibt auch, dass Palandt als Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes maßgeblich dazu beitrug, Jurastudierende im Sinne des Nationalsozialismus zu erziehen und Frauen, Juden und Andersdenkende aus dem Justizbetrieb auszugrenzen. Und dass er nur durch Zufall zum Namensgeber avancierte. All das erfahren die Nutzer des Kommentars erst durch weitere Recherche.
Die begrenzte Wirkung von Stolpervorworten
Ein Vorwort oder Vorblatt, das die historische Einordnung im Kommentar selbst vornimmt, wäre daher ein Schritt in die richtige Richtung – vor allem, um zu vergegenwärtigen, dass "Palandt" eben keine neutrale und personenungebundene Marke ist. Und so verstehen wir auch Janwillem van de Loo in seinem JZ-Beitrag. Die De-Kontextualisierung des Kommentarnamens zu durchbrechen, ist ein wesentlicher Antrieb der Initiative. Wenn die Diskussion über sie also zu mehr historischer Reflexion gerade auch in der jungen Generation von Juristen beiträgt, ist das bereits ein großer Erfolg.
Die Kritik van de Loos (und der Initiative) richtet sich nicht gegen eine historisch-kritische Aufarbeitung in einem Vorwort, sondern gegen die leicht nachzuschiebende Argumentation, mit diesem sei dem Plädoyer für eine Umbenennung bereits der Wind aus den Segeln genommen. In der Sprache der juristischen Verhältnismäßigkeitsprüfung handelt es sich bei der Einfügung eines solchen "Stolperblatts" zwar um ein milderes Mittel. Aber eines, das nicht gleich geeignet ist. Denn es bliebe dabei, dass der Kommentar, der in allen Justizstuben steht und in allen Assessorexamensprüfungen hektisch durchblättert wird, weiterhin den Namen eines Nationalsozialisten trüge, der die menschenfeindliche Ideologie an einer wichtigen Schaltstelle der NS-Bürokratie gepflegt und durchgesetzt hat. Mit dem Namen ist aus Sicht der Initiative daher unvermeidlich eine (zu) affirmative Beziehung zur historischen Person Otto Palandt verbunden.
Rath empfiehlt hier "Ambiguitätstoleranz". Während die Umbenennung von "Adolf-Hitler-Plätzen" kaum einer Begründung bedürfe, sei es weniger selbstverständlich, öffentliche Straßen und Plätze umzubenennen, die nach historisch ambivalenteren Figuren wie Hindenburg benannt sind. Übertragen auf die juristische Kommentar-Welt bedeutete dies, dass ein Freisler-Kommentar unvorstellbar wäre, ein Palandt hingegen – historisch kontextualisiert – toleriert werden könnte.
2/2: Stolpersteine gibt es schon woanders
Der Palandt ist aber das falsche Beispiel für solche Überlegungen. Sein Wirken ist gerade nicht historisch ambivalent, denn abgesehen von seiner Mitwirkung bei der Gleichschaltung der Justiz im Dritten Reich hat er in seinem Leben nichts besonders Erinnerungswürdiges geleistet. Was wir demgegenüber verurteilenswert finden, ist gerade untrennbar und eindeutig mit der Benennung des Kommentars verbunden.
Die Lösung, den Kommentarnamen beizubehalten und mit dem Begriff "Stolperstein" zu adeln, ist im Übrigen nicht unproblematisch. Das Projekt, das mit dem Begriff "Stolperstein" verbunden ist, erinnert mit in die Straße eingelassenen Messingtafeln an sonst namenlos gebliebene Opfer (nicht: Täter) des Nationalsozialismus. Braucht man im Vergleich dazu wirklich die Mahnung an einen Justizbürokraten des Dritten Reiches? Muss als Bühne dafür immer noch der Einband eines anerkannten Praxiskommentars herhalten?
Es ist doch grotesk, dass in der Justizausbildung ein Kommentar zur verpflichtenden Prüfhilfe erhoben wird, dessen Namensgeber eine derart unrühmliche Rolle in eben dieser gespielt hat. Der Stolpersteinidee um einiges gerechter würde es, den Kommentar beispielsweise nach Otto Liebmann zu benennen, der sich gezwungen sah, seinen Verlag an Heinrich Beck zu verkaufen, und der die Tradition der Taschenkommentare begründete, an die unter anderem der Palandt anschloss.
Die angebliche Maßlosigkeit moralischer Konsequenz
Auch der von Rath erhobene Vorwurf, die Initiative zeige moralischen Rigorismus, der keine Kompromisse kenne, unterliegt einem Missverständnis. In der – ja – moralisch unterfütterten Forderung, den Palandt umzubenennen, ist nämlich keine Maßlosigkeit angelegt. Ihr geht es nicht darum, andere Meinungen zu unterdrücken und die Erinnerung an (selbst in den Grauzonen) gelebte Geschichte auszulöschen. So kann in einem Vorwort des umbenannten Kommentars die Namensgeschichte ohne weiteres präsent gehalten werden.
Die Initiative weist allerdings darauf hin, dass scheinbar banale Alltäglichkeiten wie die Namensgebung eines Kommentars nicht neutralisiert werden können, sondern – sei es auch ungewollt – Positionierungen enthalten. Daraus leiten die Initiatoren ab, dass eine von vielen geteilte Haltung zu Juristen in der NS-Zeit die Konsequenz stützt, den Kommentar umzubenennen. Dass der Verlag C.H. Beck andere Konsequenzen aus eben dieser Haltung ziehen könnte, entwertet diese Position nicht. Dass es weitere Beispiele für problematische Namensgebungen gibt (zum Beispiel Schönfelder oder Maunz), belegt, dass die Argumentation der Initiative gegebenenfalls übertragbar ist, aber nicht, dass sie totalitäre Ausmaße annehmen würde.
Wir wollen die Öffentlichkeit und den Verlag C.H. Beck von der Richtigkeit der Umbenennung des Palandt-Kommentars überzeugen. Zwang sollen nicht die Initiative, sondern ihre Argumente ausüben. Im Wesentlichen stehen sich dabei als Positionen gegenüber: der Wert der Marke "Palandt", der sich von der ursprünglichen Person gelöst hat, auf der einen Seite, und die Assoziation mit einer nationalsozialistischen Figur, die durch die Beibehaltung des Namens perpetuiert wird, auf der anderen.
Ersteres setzt zu stark auf das Vergessen, die Umbenennung hingegen auf konsequentes Handeln. Ein "Stolpervorwort" ist aus unserer Sicht zwar konsequent, aber nicht konsequent genug. Zu lang haben wir alle dieses steingraue "Denkmal wider Willen" für einen "nationalsozialistischen Justizfunktionär" letztlich achselzuckend hingenommen.
Die Autoren Stefan Martini und Kilian Wegner sind Juristen und Mitglieder der Initiative Palandt umbenennen.
Stefan Martini und Kilian Wegner, Umbenennung des Palandt: Eher Baustelle als Stolperstein . In: Legal Tribune Online, 27.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24729/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
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