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Die "Juristischen Rundschauen" des Anwalts Max Hachenburg: Wer braucht eine Exa­mens­ver­si­che­rung?

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Felz

25.07.2022

Eine alte Schreibmaschine mit einem eingespannten leeren Blatt Papier

Von einer "Examensversicherung" bis zur MeToo-Debatte - die "juristische Journalistik" vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich war schon damals vielfältig. Foto: sergeka/stock.adobe.com

Max Hachenburg schrieb vom Kaiserreich bis zum Drittem Reich Anmerkungen zum - nicht nur juristischen - Zeitgeschehen in der Deutschen Juristenzeitung. Seine Beobachtungen hält Sebastian Felz für das rechtshistorische Buch des Jahres.

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Am 15. Dezember 1933 war Schluss. Otto Liebmann, Verleger und Herausgeber der "Deutschen Juristenzeitung" (DJZ), verkaufte die DJZ an die C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. Mit diesem Verkauf ging auch die Kolumnistentätigkeit von Max Hachenburg zu Ende. Seine Kolumnen schrieb Hachenburg seit 1912. Gesetzesnovellen und Gerichtsprozesse, große Politik und kleine Alltäglichkeiten, chinesisches Familienrecht oder afghanische Anwaltschaft, all dies und noch viel mehr kommentierte der Anwalt aus Mannheim in seiner "Juristischen Rundschau". Ein 360-Grad-Blick auf das juristische, politische und kulturelle Zeitgeschehen.

Im letzten Monat des ersten Jahres der NS-Herrschaft schrieb er in seiner letzten Rundschau über eine Sitzung der Bank-Enquete-Kommission, die über die Verstaatlichung der Banken beriet, sowie über Christoph Martin Wieland und Oswald Spengler und deren Menschenbild. 21 Jahre zuvor hatte alles begonnen: In seiner ersten "Juristische Rundschau" beschäftigte sich Hachenburg u. a. mit dem Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet, dem Vorschlag der französischen Wahlkommission zum Wahlzwang sowie einer Reichsgerichtsentscheidung über die Gültigkeit einer Zusage, ein Landgut nur an "Nationalpolen" zu verkaufen.

Anwalt, Rechtswissenschaftler und juristischer Publizist

Max Hachenburg wurde 1860 in Mannheim geboren und starb, als "Jude" 1938 vertrieben, 1951 in Berkeley (zum Folgenden: Kleindiek, NJW 1993, 1295). Er war einer der profiliertesten Rechtsanwälte des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Seit 1885 praktizierte er als Rechtsanwalt in Mannheim und wurde einer der bedeutendsten Wirtschaftsanwälte im deutschen Kaiserreich. Seine Schwerpunkte lagen im Handels-, Aktien- und Gesellschaftsrecht. Diese Rechtsgebiete hat er durch wichtige Kommentierungen geprägt. Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld Hachenburgs war die "juristische Journalistik", wie er sie 1927 in seinen Lebenserinnerungen bezeichnete.

Ende des 19. Jahrhunderts: Neuerungen im juristischen Zeitschriftenmarkt

Im 19. Jahrhundert hatte sich der juristische Zeitschriftenmarkt gewandelt. Neben wissenschaftlichen Abhandlungsbänden wie dem "Archiv der civilistischen Praxis" traten moderne Periodika, z. B. seit 1896 die DJZ. Die neuen Zeitschriften enthielten Fachaufsätze, Rechtsprechung, Rezensionen, Nachrichten aus Justiz, Politik oder Standesvereinigungen sowie feuilletonistische Texte. Hachenburg schrieb für die "Leipziger Zeitschrift" oder die "Juristische Wochenschrift" (JW), dem Publikationsorgan des "Deutschen Anwaltsvereins" (DAV). Ende 1916 führte er eine bei den Leipziger Reichsgerichtsräten ungeliebte Neuerung ein: die kritische Urteilsanmerkung. So groß war der Ärger, dass ein Urteilsüberlassungsboykott durch das Reichsgericht in der Luft lag, welchen Hachenburg aber u. a. mit der Zusage, keine Parteivertreter in eigenen Sachen mehr kommentieren zu lassen, abwenden konnte. Ab dem 1. April 1912 verfasste Hachenburg die "Juristische Rundschau" in der DJZ. Sein Stil war lakonisch, die Sätze kurz, die Schlussfolgerungen stringent.

"Rundschauen ist fast unmöglich, wenn der Boden unter unseren Füßen wankt"

Mit diesem Bekenntnis beginnt die "Juristische Rundschau" des Dezemberhefts 1918 die Auswahl von Kolumnen, die Ulrich Krüger und Benjamin Lahusen besorgt haben. Die beiden Herausgeber haben die Glossen Hachenburgs mit vielen Annotationen versehen, die Gesetze erläutern, Zeitgeschichte einordnen und Personen vorstellen. Vier konzise Ein- und Überleitungen mit den Themen "Völkerbund", "Geldentwertung", "Konkurs" und "Notverordnungen" führen in die jeweils ausgewählten Jahrgänge 1918/19, 1923, 1925 und 1930 ein. Das Jahr 1933 steht für sich. Der Verleger Peter Graf hat den Band ästhetisch gestaltet. Das Buch ist eine bibliophile Freude.

1918 bis 1923: Revolution und permanente Krise

Die ersten Rundschauen in die Weimarer Republik stehen ganz im Bann des verlorenen Krieges. Hachenburg beschäftigt sich mit den Friedensverhandlungen in Versailles, der Revolution, der neuen Verfassung, aber seiner Aufmerksamkeit entgeht auch die Frage nach der Möglichkeit der Zwangsvollstreckung gegen Kriegsteilnehmer, die Novellierung der Gebührenordnung der Rechtsanwälte oder die Arbeiten an der Kodifikation des englischen Zivilrechts.

1923 ist das Krisenjahr: Die französische Besetzung des Ruhrgebietes, die Hyperinflation, die Schwierigkeiten der Justiz mit der Aburteilung der politischen Morde und der Beleidigungen gegen Reichspräsident Ebert, die Putschversuche und Unruhen in Bayern und Sachsen, schließlich die Stabilisierung der Finanzordnung durch die Einführung der Rentenmark. All dies kommentiert Hachenburg unaufgeregt als nationalgesinnter Vernunftrepublikaner. Ebenfalls ordnet er das neue Jugendgerichtsgesetz, das Gesetz über private Versicherungsunternehmen oder die neue Rechtsanwaltsordnung in den juristischen Kontext ein.

1925: Ein Tschekaprozess in Deutschland und ein Affenprozess in Tennessee

Im Jahr 1925 beruhigt sich die Republik, allerdings beschleunigt sich die Erscheinungsweise der DJZ auf zweimal im Monat. Vor dem Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik wurde der sog. Tschekaprozess verhandelt, in dem es um angebliche Mordpläne von Kommunisten gegen Politiker, Industrielle und „Verräter“ aus den eigenen Reihen ging. Aber auch von einem "Affenprozess" in Tennessee wusste Hachenburg zu berichten, in dem ein Lehrer angeklagt worden war, weil er Darwins Selektionslehre im Unterricht behandelt hatte.

"Me too": Die Strafbarkeit von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

"Me too" war auch schon 1925 ein Thema. Der „Verband der weiblichen Handels- und Büroangestellten“ richtete an den Justizminister die Bitte, die sexuelle Belästigung von minderjährigen weiblichen Arbeiterinnen und Angestellten unter Strafe zu stellen. Zwar war ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch für eine "Frauensperson", die zur "Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt" in § 825 BGB a. F. gegeben, dieser wurde aber als nicht ausreichend angesehen. Zwar konnte Hachenburg das Ansinnen nachvollziehen, befürchtete aber, "daß solche Schutzbestimmungen des Gesetzes zu Erpresserzwecken mißbraucht würden".

1930: Examensversicherung sittenwidrig?

Zwischen Weltwirtschaftskrise und Notverordnungen behandelte Hachenburg im Frühjahr 1930 auch das Kuriosum einer "Examensversicherung". Der Versicherungskonzern Lloyd erwäge, berichtete Hachenburg, eine Examensversicherung einzuführen, durch die man das Nichtbestehen im Examen abdecken könne. Eine Versicherungsbedingung sei allerdings der kontinuierliche Besuch der Vorlesungen. Wer das kontrollieren solle, wunderte sich der Kolumnist. Überhaupt sei zu befürchten, dass eine solche Versicherung den Zudrang zum juristischen Studium noch verstärken würde, wo doch eine „Überfüllung der akademischen Berufe“ zu verzeichnen sei. Vielleicht, so spekuliert Hachenburg schließlich, sei ein solcher Versicherungsvertrag sowieso sittenwidrig.

1933: "Verfassungen werden nicht auf dem Papier gemacht"

Hachenburg wird schließlich zum nüchternen Chronisten der nationalsozialistischen Revolution: Die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", das "Ermächtigungsgesetz" oder das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" werden von Hachenburg als eigenartige "Wahrung des legalen Weges" bei der Etablierung des NS-Staates registriert. Über die antisemitische Stoßrichtung der NS-Rechtsakte ist Hachenburg nicht erstaunt. Schon in seinen Lebenserinnerungen 1927 hatte er von den "begabten und arbeitsfrohen Juden" strenge Zurückhaltung verlangt, denn er wusste von der dünnen Patina der Toleranz der "deutschen" Mehrheitsgesellschaft.

In seiner letzten Rundschau am 15. Dezember 1933 widerspricht Hachenburg Oswald Spenglers Anthropologie, dass der Mensch ein Raubtier sei. Mit Martin Wieland, dessen 200. Geburtstag 1933 begangen wurde, erinnerte Hachenburg daran, dass das Tier im Menschen durch den Geist überwunden werden müsse. Es gelte, "dem Gesetze mehr zu glauben als seinem eigenen Gefühle". Blättert man diese letzte Kolumne um, erscheint auf der Rückseite das Faksimile der DJZ vom 1. August 1934. Auf dem Titel prangt der Aufsatz von Carl Schmitt "Der Führer schützt das Recht". Die Zeit der Raubtiere hatte begonnen.

 

Max Hachenburg: "Wie eine Riesenwoge rauscht das Schicksal auf uns zu". Kolumnen in der Deutschen Juristen-Zeitung 1918-1933. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022, 400 Seiten, 26,00 Euro.

Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Referent in einem Bundesministerium (Bonn) und im Vorstand des Forums Justizgeschichte.

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Die "Juristischen Rundschauen" des Anwalts Max Hachenburg: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49143 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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