Zum 1. April: 5 LTO-Meldungen, die leider keine Scherze waren

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Examensklausuren im Müll, Cum-Ex-Verjährung, Strafverfahren wegen Containerns: Es passieren Dinge in unserer Branche, von denen wir uns wünschen, dass sie bloß Aprilscherze gewesen wären.
Cum-Ex: Drohende Verjährung und ein angeklagter Anwalt
Manche bezeichnen sie als den "größten Steuerraub der Geschichte": Die sogenannten Cum-Ex-Deals, bei denen Banken und Investoren ein Schlupfloch bei der Besteuerung von Aktiendividenden ausgenutzt haben - mit freundlicher Unterstützung von gewieften Steueranwälten. Viele Jahre lang gingen dem Fiskus Steuereinnahmen in Milliardenhöhe flöten.
Der Stuttgarter Anwalt Eckart Seith hat als Rechtsberater des Drogerie-Unternehmers Erwin Müller mitgeholfen, die Machenschaften rund um die dubiosen und inzwischen illegalen Cum-Ex-Geschäfte aufzudecken. Seine Informationen gab er an die Ermittlungsbehörden weiter.
Naheliegend, dass man sich nun ganz schnell das Geld von den Verantwortlichen zurückholen will. Oder etwa doch nicht? Vor wenigen Tagen hatten WDR und Süddeutsche Zeitung berichtet, dass zu wenige Ermittler eingesetzt würden und deshalb in NRW anhängige Cum-Ex-Verfahren zu verjähren drohten. Das Thema wurde eilig auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses im Landtag gehoben, doch dort wiegelte das Justizministerium ab: Die personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaften sei "auskömmlich". Und eine erste Anklage sei "in Kürze" zu erwarten – mithin sieben Jahre, nachdem das Steuerschlupfloch geschlossen wurde.
Seith ist derweil in der Schweiz wegen Wirtschaftsspionage angeklagt. Die Staatsanwaltschaft will ihn dreieinhalb Jahre in Haft sehen. Das Urteil soll am 11. April verkündet werden.
Examensklausuren im Müll
"Paketboten lieben diesen Trick" – so haben wir, ein wenig sarkastisch, auf Facebook die Meldung präsentiert, dass in Bayern Examensklausuren im Müll verschwunden sind. Der Kurierfahrer hatte den adressierten Korrektor offenbar nicht angetroffen und das Paket mit den Prüfungsarbeiten in der Papiertonne abgelegt, die noch am selben Tag geleert wurde.
Diese Panne ist ein Paradebeispiel für das häufigste Problem, das den Fällen zugrunde liegt, in denen einige der mit Abstand wichtigsten Klausuren eines jeden Jurastudenten verloren gehen: postalischer Versand, teils sogar ohne Sendungsverfolgung, vor allem aber ohne digitale Sicherheitskopie. Meistens bieten die Prüfungsämter den betroffenen Kandidaten daraufhin an, die Arbeit(en) zu wiederholen oder die Gesamtnote für den schriftlichen Examensteil der staatlichen Prüfung aus den verbleibenden Bewertungen errechnen zu lassen.
Abgesehen davon, dass es nicht gerade verlockend klingt, eine oder mehrere Extraklausuren zu schreiben, liegt der Kern des Problems woanders: Die Kandidaten müssen ihre Entscheidung "blind" treffen. So bleibt die bohrende Frage nach dem "Was wäre, wenn …?" immer im Hinterkopf.
CDU klagt nach Spenden von Geheimagent Mauss
Die Geschichte hat so ziemlich alles, was man für eine unglaubliche, aber sehr gute Geschichte braucht: Einen Ex-Geheimagenten, eine Ex-Weinkönigin und CDU-Politikerin sowie satte Geldbeträge und einen Schauplatz wie Cochem-Zell.
Eigentlich sah es im Frühjahr 2019 so aus, als seien die CDU-Landeschefin Julia Klöckner und ihre Rheinland-Pfalz CDU aus dem gröbsten heraus. Einigermaßen zerknirscht hatte man 2016 bestätigen müssen, dass man mehrere Zehntausend Euro Spenden des früheren Geheimagenten Werner Mauss entgegengenommen und nicht korrekt verbucht hatte. Dafür zog die Bundestagsverwaltung das Spendengeld in Höhe von 122.500 Euro ein und verhängte Sanktionszahlungen von 112.000 Euro. Dass das ganze Thema aber nun plötzlich wieder im Rampenlicht steht, daran ist die CDU selbst schuld: Sie klagt vor dem Verwaltungsgericht in Berlin auf die Rückzahlung der eingezogenen Beträge.
Juristischer Knackpunkt ist die Frage, ob es sich bei den Spenden um Auslandsspenden beziehugsweise um anonyme oder Strohmannspenden gehandelt hat. Bei der Überweisung hatte Mauss teilweise seine Tarnidentität "Richard Nelson" genutzt.
Die Bundestagsverwaltung hat diesen Teil der Spenden nämlich als zulässig eingestuft, weil Mauss das Tragen des Alias-Namens behördlich bewilligt worden war. Er durfte also quasi anonym oder als Strohmann "Richard Nelson" statt "Werner Mauss" spenden – und zwar weil den Behörden, also zumindest manchen, seine wahre Identität ja bekannt war. Mit diesem Erfolg im Rücken will die CDU nun aber mehr. Sie will auch die Gelder zurück, die Mauss über eine Anwaltskanzlei im Namen einer Tarnstiftung "Nolilane" überwies. Was für einen Tarnnamen gelte, das müsse auch für eine Tarnstiftung gelten. Anders sieht es die Bundestagsverwaltung: Sie erkennt einen Verstoß gegen § 25 Abs. 2 Nr. 6 Parteiengesetz.
Zuletzt bekam sie Rückendeckung vonm Staatsrechtler Prof. Dr. Ulrich Battis, der zu diesem Versuch der CDU gegenüber dem SWR findet: "Es wäre nicht falsch, es Unsinn zu nennen."
Strafverfahren wegen Containerns
Es ist eine Binsenweisheit: Die Justiz ist überlastet. Das gilt längst nicht mehr nur für die Verwaltungsgerichte mit ihren Asylverfahren, sondern auch für die Strafgerichte. "Strafgerichte arbeiten am Anschlag", titelten wir daher vor wenigen Tagen. Die Konsequenz: Verdächtige müssen wegen zu langer Strafverfahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden.
So wünschten wir uns auch von der folgenden Meldung, nur ein Scherz gewesen zu sein. Vergebens: Wir wollen auf das Strafverfahren gegen die beiden Studentinnen wegen des sogenannten Containerns hinaus. Die zwei Frauen waren vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, im Juni 2018 im bayerischen Olching Lebensmittel aus dem nur mit einem Sechskantschlüssel zu öffnenden Müllcontainer auf einem frei zugänglichen Parkplatz entnommen zu haben.
Drei Stunden hatten die Beteiligten verhandelt, der Richter habe sogar durchklingen lassen, in der Sache kein Urteil verfassen zu wollen, hieß es im Anschluss. Das Gericht selbst teilte mit, eine Einstellung des Verfahrens wäre der Bedeutung der Sache und dem Unrechtsgehalt nähergekommen. Letztlich lief es auf eine Verwarnung mit Strafvorbehalt für die Studentinnen hinaus.
Die strafgerichtliche Hauptverhandlung (endlich) dokumentieren
A propos überlastete Strafgerichte: Vor allem die Union will der Überlastung der Justiz auch dadurch begegnen, dass sie der Verteidigung Möglichkeiten nimmt, ihre Rechte zu nutzen, um Prozesse zu "verschleppen". Aus der Richterschaft ernten die Pläne naturgemäß Zustimmung, bei den Verteidigern stoßen sie auf wenig Begeisterung. Die forderten Ende März als Ergebnis des Strafverteidigertags 2019 die Dokumentation der Hauptverhandlung. "Diese dient der Qualitätssicherung und der Entlastung der Gerichte", heißt es zur Begründung.
Die ehemalige Leiterin der Abteilung für Rechtspflege im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Marie Luise Graf-Schlicker, nannte im LTO-Interview eine audio-visuelle Aufzeichnung die beste Lösung." Aber der Widerstand gegen die Maßnahme in der Justiz ist noch groß", so Graf-Schlicker. "Deshalb könnte man zunächst an kleinere Schritte denken und mit einer Tonaufzeichnung beginnen."
Sie schlug vor, Mikrofone für die Verfahrensbeteiligten zu nutzen und digitale Diktiergeräte einzusetzen, die mit Hilfe von Spracherkennung das gesprochene Wort verschriftlichen können.
Im Ausland erntet man, nicht zuletzt an international arbeitenden Gerichten, eher ungläubiges Staunen, wenn man erzählt, dass der deutsche Richter, der die Vernehmung durchführt, sich zeitgleich Notizen macht. Zu der auch im Jahr 2019 noch ernsthaft geführten Diskussion, ob die Hauptverhandlung nicht womöglich besser aufgezeichnet als durch den richterlichen Wahrnehmungsfilter mitgeschrieben werden sollte, passt, dass Psychologie noch immer nicht Bestandteil der deutschen juristischen Ausbildung ist. Und dass, zumindest nach Angaben seiner Verfasser, mit "Psychologie für Juristen" das erste Psychologie-Lehrbuch speziell für Juristen erschienen ist; im Jahr 2019.
tap/ms/LTO-Redaktion