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Staatsanwalt warnt vor organisierter Kriminalität: Deutschland, Verbrecherland?

von Dr. Markus Sehl

11.11.2013

Buchcover "Deutschland, Verbrecherland?"

Bild: Ullstein Buchverlage GmbH

Über 30 Jahre ermittelte der Kölner Staatsanwalt Egbert Bülles gegen Drogenbanden, Mafiakartelle und Rockergangs. Nicht nur auf der Straße, auch im Justizvollzug und in der Politik. Mit LTO spricht der Insider über sein neues Buch "Deutschland, Verbrecherland?", und warnt: Deutschland befinde sich im Würgegriff der organisierten Kriminalität. Übertriebene Panikmache oder überfälliger Weckruf?

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LTO: Herr Bülles, Ihr Buch über die organisierte Kriminalität in Deutschland hat beinahe 300 Seiten – wann fiel die Entscheidung, das alles aufzuschreiben?

Bülles: Da muss ich vorweg sagen, das Ganze war von Anfang an auf 700 Seiten angelegt. Viele Sachen sind gar nicht in das Buch gekommen, weil kein Platz mehr war. Zum Beispiel ist ein ganzes Kapitel zu Überfallserien auf Juweliere draußen geblieben.

LTO: Andere schreiben im Ruhestand einen Roman, Sie schreiben wieder über Ihre Arbeit…

Bülles: Sehen Sie, ich spreche ja noch viel mit Kollegen. Und da herrscht schon eine große Frustration. Denen fehlt einfach die Rückendeckung durch die Politik. Ich habe das Gefühl, dass die Strafjustiz gegen die Wand gefahren wird. Die amtierenden Staatsanwälte trauen sich anscheinend nicht, das mal öffentlich zu sagen.

LTO: Und deshalb also ein Buch "Deutschland, Verbrecherland?" ?

Bülles: Ein Insider sollte mal sagen, wie es wirklich aussieht mit der Strafverfolgung in Deutschland. Wie schwierig es etwa ist, als Polizeibeamter innerhalb einer Minute entscheiden zu müssen, greifen wir ein oder fahren wir weiter und gucken weg. Dann brauchen wir uns nicht später zu rechtfertigen, wenn es brenzlig wird. Wir haben dann halt einfach nichts gesehen. Wir Juristen haben es da einfach. Wir sitzen am Schreibtisch, gucken in die Kommentare und wenn man nicht weiter weiß, dann fragt man den Kollegen.

"Freier Verkehr von Waren und Handel – und Kriminalität"

LTO: Hinter dem Titel "Deutschland, Verbrecherland?" steht ein Fragezeichen. Ist das Buch trotzdem eine Warnung?

Bülles: Ja, das ist eine Warnung. Ab 2014 haben wir Freizügigkeit aus Bulgarien und Rumänien. Da kommt wohl auch eine Kriminalitätswelle nach Deutschland geschwappt. Ich bin für ein gemeinsames Europa. Nur müssen die Strafverfolgungsbehörden auch darauf eingerichtet sein. Freier Verkehr von Waren und Handel bedeutet auch freier Verkehr von Kriminalität.

LTO: Als bekannt wurde, woran Sie arbeiten, sollen Sie viele Anrufe von Ihren ehemaligen Kollegen bekommen haben. Was haben die Ihnen geraten?

Egbert Bülles (Bild: Privat)Bülles: Die einen haben befürchtet, ich würde irgendwelche geheimen Ermittlungsmethoden oder Interna aus der Staatsanwaltschaft Köln verraten. Das habe ich natürlich nicht gemacht. Andere haben gesagt, das bringt sowieso nichts. Du hast so viele Vorträge gemacht, und was hat sich dadurch geändert? Nichts. Viele meiner Kollegen scheinen zu resignieren. Viele sind froh, wenn sie endlich in den Ruhestand gehen und sagen dann, ich will von der ganzen Sache nie wieder etwas hören. Ich bin da vielleicht anders gestrickt. Ich wollte und will die Bürger vor Straftaten schützen.

LTO: Den Kampf gegen das organisierte Verbrechen muss man sich langwierig vorstellen. Wie oft haben Sie daran gedacht, aufzugeben?

Bülles: Wissen Sie, das größte Problem ist ja, dass neben Unzulänglichkeiten der Gesetze, die ich in meinem Buch ausgeführt habe, man überörtlich ermitteln muss, wobei man durch die bestehenden Behördenstrukturen behindert wird. Zum Beispiel bei Enkeltricks, also Betrügereien gegenüber älteren Menschen, die deutschlandweit von denselben Tätergruppen begangen werden. Da fragen Sie sich, warum gehen die anderen Staatsanwaltschaften nicht dagegen vor? Vielleicht weil sie zu bequem sind oder die Strukturen nicht erkennen oder erkennen wollen.

LTO: Sie haben jahrelang auch Referendare ausgebildet. Was sagen Sie denen, warum Sie sich mit Organisierter Kriminalität befassen?

Bülles: Also ich habe bestimmt 2.000 Referendare ausgebildet und bilde immer noch aus. Ich habe immer gesagt, wenn Sie zur Staatsanwaltschaft wollen, das ist nicht nur ein Job, das ist eine Berufung. Man muss ein Gerechtigkeitsgefühl haben. Und man darf nicht reich werden wollen.

LTO: Hätten Sie sich denn einen anderen Beruf vorstellen können?

Bülles: Nach dem Abitur wollte ich Geschichte studieren, Archäologie, und wollte dann in die Politik. Auf den Rat eines Professors habe ich in Bonn Jura angefangen und bin der CDU beigetreten. Und alsbald wieder wegen der Parteispendenaffäre ausgetreten. Berechtigt, wie ich finde. Ich bin überhaupt der Meinung, ein Staatsanwalt sollte in keiner Partei sein. Der muss unabhängig sein.

"Nennen Sie mir eine Straftat und ich sage Ihnen, welche Nationalität die Gruppe hat"

LTO: Fürchten Sie nicht, dass ihr Buch mit seinen Forderungen nach einer verschärften Sicherheitspolitik auch von rechts-populistischen Stimmen in Beschlag genommen wird?

Bülles: Das könnte sein. Von diesem Ziel muss ich mich aber sehr distanzieren. Das kommt in dem Buch aber auch raus. Für mich geht es darum, ist jemand straffällig oder nicht. Egal welcher Herkunft er ist. Die Täter selbst waren nie meine persönlichen Feinde.

LTO: Haben das die Täter umgekehrt auch so gesehen?

Bülles: Ich habe viel Post aus dem Gefängnis bekommen. Viele haben sich später bei mir bedankt und wollten sogar mit mir ein Bier trinken gehen. Da habe ich natürlich dankend abgelehnt.

LTO: In Ihren Verfahren endete die Suche nach den Drahtziehern des organisierten Verbrechens beinahe immer in den europäischen Nachbarländern. Warum heißt das Buch trotzdem "Deutschland, Verbrecherland?" Gibt es Ihrer Meinung nach für organisierte Kriminalität in Deutschland so etwas wie einen Standortvorteil?

Bülles: Wir haben offene Grenzen, die Rechtshilfe funktioniert oft nicht. Im Prinzip können Sie mir eine Straftat sagen, ich kann Ihnen sagen, welche Nationalität die Gruppe hat. So klar ist das aufgeteilt. Die Türsteherszene wird von Kosovo-Albanern, Rockergruppen und auch Deutschen dominiert, 90 Prozent des Kokainhandels läuft über die italienische 'Ndrangheta, der Menschenhandel über Rumänien und Bulgarien, der Wohnungseinbruch wird von Rumänen und Roma-Banden dominiert. Das scheint in Deutschland nur wenige zu interessieren. Viele Gruppen setzen aus dem Ausland auch Kinder und Jugendliche ein, weil sie wissen, die kommen nur zum Jugendrichter.

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  • Seite 1:

    Offene Grenzen und Kriminalität in Europa

  • Seite 2:

    Mangelhafte Zusammenarbeit und rechtspolitische Forderungen

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Markus Sehl, Staatsanwalt warnt vor organisierter Kriminalität: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9971 (abgerufen am: 19.11.2025 )

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