Reform des Jurastudiums

Der neue Pflicht­stoff – viel sch­neller als geplant?

von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten
Seit 2012 arbeitet der Koordinierungsausschuss der Justizminister an Vorschlägen zur Vereinheitlichung des Jurastudiums. Doch obwohl es sich ursprünglich nur um Anregungen handeln sollte, sind einige Ideen bereits auffallend detailliert.

Am 17. November tagt die Justizministerkonferenz (JuMiKo).  Die Tagesordnung des Treffens steht zwar noch nicht fest und von offizieller Seite gibt es zu der Arbeit an der Reform bisher nicht mehr Aktuelles als den Bericht des Koordinierungsausschusses, Stand: November 2014. Und dennoch spricht viel dafür, dass schon in den letzten Wochen dieses Jahres die Weichen für eine baldige Reform der Juristenausbildung gestellt werden. Ihren Fortsetzungsbericht zur weiteren Annäherung der Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen in den Bundesländern wollen die Justizminister Ende 2016 vorlegen. Einer der Schwerpunkte, die aller Voraussicht nach verändert werden, ist die universitäre Schwerpunktbereichsprüfung. Erst 2003 von der rot-grünen Koalition eingeführt, soll der Schwerpunkt an Bedeutung verlieren: Es sollen weniger Prüfungen geschrieben werden und dieser auch nur noch zu 20 statt wie derzeit mit 30 Prozent in die Gesamtnote der ersten juristischen Prüfung einfließen. Zudem gibt es einen 18-seitigen Musterstoffkatalog, der Vorschläge für die inhaltliche Gestaltung des Prüfungsstoffs im staatlichen Teil der ersten Prüfung und in der zweiten Staatsprüfung enthält. Gut informierten Kreisen, die sämtlich davon ausgehen, dass es nicht lange dauern wird, bis eine Reform vorgestellt wird, ist das Papier bekannt. Doch offiziell herausgegeben werden die Vorschläge des Koordinierungsausschusses der Justizminister, die LTO vorliegen, nicht. Das mag mit zwei Dingen zu tun haben: Überraschenden Inhalten und Überraschungen an der Ausarbeitung durch die Beteiligten. Das Papier teilt die Rechtsgebiete des Zivil-, Straf- und Öffentlichen Rechts als Bestandteil des Pflichtstoffs in die Kategorien "ohne Einschränkung", "im Überblick" und "entfällt" ein. Ob und was sich dabei im Vergleich zum jetzigen Pflichtstoff ändert, hängt vom Bundesland und dessen Regelungen im jeweiligen Juristenausbildungsgesetz (JAG) ab. Im Folgenden wird exemplarisch der Vergleich für Nordrhein-Westfalen (§ 11 JAG NRW) und Bayern (§ 18 JAPO) für den staatlichen Teil der ersten juristischen Prüfung gezogen.

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Das Erbrecht wird wichtiger

Wenig überraschend würde sich, wenn der Entwurf so übernommen würde, am Grundstudium – wie übrigens für die meisten Bundesländer – fast gar nichts ändern. Methodenlehre und Grundlagenfächer sollen auch danach unabdingbar sein für das erste Examen. Gleiches gilt für die Grundlagen des Privatrechts: Der Allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie dessen zwei besondere Teile würden weiterhin Pflicht bleiben für jeden Examenskandidaten. Im Sachenrecht nimmt NRW die Hypothek bisher aus, diese würde nach dem Entwurf ohne Einschränkung zum Pflichtstoff gehören. Doch auch das würde für Studenten eher wenig ändern, weil die Hypothek für die Grundschuld, die wiederum sowohl aktuell als auch nach dem Entwurf Pflichtstoff ist, meist sowieso mitgelernt wird. Nur das Pfandrecht an beweglichen Sachen, das Studenten bisher nur im Überblick kennen müssen, käme jetzt mit vertieften Kenntnissen hinzu. Das sind die bayerischen Kommilitonen schon gewohnt. Für sie würde es sogar minimal leichter, weil sie sich nicht mehr mit dem Vorkaufsrecht beschäftigen müssten, das derzeit dort zum Pflichtstoff zählt. Im Familienrecht gäbe es für Prüflinge in NRW nichts Neues zu beachten, ihre Kollegen in Bayern würden aber deutlich entlastet. Werden aktuell noch rudimentäres Wissen über Scheidungsgründe und Unterhaltsansprüche geschiedener Ehegatten sowie die Regelungen über die Abstammung und die Unterhaltspflicht unter Verwandten erwartet, entfiele des dem Entwurf nach. Mehr Stoff würde es dagegen für die Kandidaten beider Bundesländer im Erbrecht: Nach Maßgabe des Entwurfs müssten sich Prüflinge insbesondere mit dem Testament und dem Erbvertrag besser auskennen als jetzt. In Buch 5 des BGB würden viele Abschnitte, die bisher nicht examensrelevant waren, fortan im Überblick gefordert. Etwas weniger tut sich im Gesellschaftsrecht. Dort müssten sich Examenskandidaten zusätzlich zu OHG und KG im Überblick auch mit Partnergesellschaften und mit der BGB-Gesellschaft sogar ohne Einschränkung beschäftigen. Auch das träfe die Studenten in NRW und Bayern gleichermaßen.

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2/2: Weniger IPR, Kollektivarbeitsrecht und Baurecht 

Das Prozessrecht der drei großen Rechtsgebiete wäre für Studenten in Grundzügen von Bedeutung, wenn der Entwurf umgesetzt würde. Für NRW-Studenten bliebe damit alles beim Alten, die bayerischen Kommilitonen dürften sich hingegen freuen. Sie müssen sich momentan noch im Verwaltungsprozessrecht vertiefte Kenntnisse über Verfahrensgrundsätze sowie Klage- und Antragsarten aneignen. Im materiellen Strafrecht sollen nur einige wenige Vorschriften aus dem Pflichtkanon entfallen, die in der Prüfungspraxis erfahrungsgemäß aber eine nur untergeordnete Rolle spielen.  Neu hinzukommen würden zusätzlich zu den in beiden Bundesländern bisher verlangten europarechtlichen Bezügen der Pflichtfächer vertiefte Kenntnisse der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im Überblick bleibt das gesamte Europarecht nach dem Entwurf weiterhin wichtig. Aber es gibt  auch grundlegende Entschlackungen für NRW und Bayern, von denen der Großteil der anderen Bundesländer ebenfalls betroffen wäre. So wären für Prüflinge in ganz Deutschland gleich eine Reihe spezieller Vorschriften nicht mehr relevant, die zuvor für bestimmte Sachverhalte von essentieller Bedeutung waren. Im Arbeitsrecht bräuchte man die meist ungeliebten Exoten wie das Betriebsverfassungs-, Tarifvertrags- und Streikrecht nicht mehr. Ebenso werden nach dem Entwurf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das internationale Privatrecht und das Reisevertragsrecht nicht mehr erwartet. Das kommunale Haushaltsrecht entfiele ebenso aus dem Prüfungskanon wie der Verteidigungsfall des Bundes im Bereich des Staatsorganisationsrechts. Von den beiden verglichenen Bundesländern würden Prüflinge in Bayern besonders profitieren. Dort gehören Verfassungsbeschwerde und Popularklage im Moment zum absoluten Pflichtstoff. Nach dem Entwurf könnten Studierende einen Gang zurückschalten und sich auf die Grundzüge beschränken. Für die meisten Kandidaten deutschlandweit besonders erfreulich: Das Baurecht bliebe zwar weiterhin im Überblick examensrelevant, würde aber massiv zurückgestutzt auf die allgemeinen Vorschriften der Planungsregelungen und Nutzungsverordnung.

Fakultäten offenbar nicht beteiligt worden

Dafür, dass der ministerielle Koordinierungsausschuss laut Bericht von 2014 zunächst nur Unterschiede zwischen den Bundesländern herausarbeiten und eben keine "Regelungen im Sinn einer Musterprüfungsordnung" erarbeiten sollte, fällt der kursierende Entwurf, der allen potenziell Betroffenen bekannt ist, auffallend konkret aus. Der Kreis der potenziell Betroffenen ist allerdings in gleich mehrfacher Hinsicht keineswegs deckungsgleich mit dem Kreis der an den Reformplänen Beteiligten. Ursprünglich sollten bei den beiden umstrittenen Themen Schwerpunktbereich und Pflichtstoffkatalog die Jurafakultäten mit einbezogen werden. Der Deutsche Juristen-Fakultätentag hat das auch bereits angesprochen. Passiert ist allerdings bislang nichts. Hinter vorgehaltener Hand fürchten Experten aus der Lehre, dass trotz aller gegenteiligen Beteuerungen hinter den verschlossenen Türen der Politik längst eine Reform ausbaldowert wird und sie nur noch vollendete Tatsachen umsetzen müssen. Und das viel schneller, als die bisherigen offiziellen Verlautbarungen vermuten lassen.

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