Trotz neuer Wettbewerber und preissensibler Mandaten: Es ist nicht überall schlecht in den Wirtschaftskanzleien. Der M&A-Boom von 2014 wird sich in diesem Jahr fortsetzen, für anhaltenden Beratungsbedarf sorgen die Themen Compliance und Industrie 4.0. Die Kanzleien verstärken sich entsprechend – und vermelden im noch jungen Jahr überraschend viele hochkarätige Partnerwechsel.
Auch wenn die Branche steigenden Kostendruck, neue Wettbewerber und die zunehmend schwierige Rekrutierung beklagt - für die M&A-Anwälte war 2014 ein gutes Jahr. Im zweiten Halbjahr – besonders kurz vor Jahresende – wurden beinahe im Minutentakt große Transaktionen bekannt gegeben. Und der Boom scheint auch im ersten Halbjahr 2015 anzuhalten. Die Wirtschaftskanzleien freut es, denn das Transaktionsgeschäft sichert ihre Grundauslastung und ist deshalb eine wichtige Umsatzquelle. Das gilt nicht nur für die Kanzleien mit Transaktionsfokus, sondern auch für Full-Service-Einheiten.
Wenig verwunderlich also, dass viele Kanzleien, die LTO nach ihren Plänen für 2015 befragt hat, vor allem M&A als Wachstumsbereich sehen. Und mehrere hochkarätige Partnerwechsel in den letzten Monaten zeigen, dass sie auch Taten sprechen lassen. So holt PwC Legal im Vier-Wochen-Takt gleich zwei erfahrene Corporate-Anwälte: Zum Februar eröffnete die Rechtsberatungsgesellschaft einen Standort in Nürnberg und holte dazu ausgerechnet einen M&A-Partner von Rödl & Partner, die ihren Stammsitz in eben dieser fränkischen Stadt hat.
Zum März wird dann der frühere Freshfields-Partner Nikolaus Schrader bei PwC Legal einsteigen und Co-Leiter der bundesweiten Praxisgruppe für Gesellschaftsrecht/M&A werden. Ashurst kündigte den Zugang von Dr. Thomas Sacher an, bisher Co-Leiter der Corporate-Praxis von Beiten Burkhardt.
M&A- und Private-Equity-Partner auf dem Sprung
Für viel Aufsehen sorgte auch eine Nachricht von Latham & Watkins: Sie gewinnt die beiden bekannten Clifford-Chance-Partner Oliver Felsenstein und Burc Hesse. Felsenstein leitete die globale Private-Equity-Gruppe der Kanzlei und war seit 1. September zudem als Bereichsleiter Corporate Mitglied des Führungsgremiums bei Clifford Chance Deutschland. Latham begründet die Personalie damit, dass sich der Bereich Private Equity wieder erhole und man sich deshalb strategisch verstärken wolle.
Clifford Chance befindet sich unterdessen in einer Phase der Umstrukturierung sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene. Ende 2014 hatte das Branchenmagazin Juve berichtet, Clifford Chance werde ihre Partnerschaft in Deutschland verkleinern, um sich stärker auf Transaktionen und benachbarte Rechtsgebiete zu fokussieren. Ob die Weggänge von Felsenstein und Hesse damit im Zusammenhang stehen, ist nicht bekannt. Felsenstein berät bedeutende Private-Equity-Häuser wie Permira und HgCapital – Mandanten, die immer wieder für große Transaktionen sorgen.
2/2: Internationalisierung vorantreiben
Im Fokus der meisten Sozietäten, die LTO nach ihrem Ausblick für 2015 befragt hat, steht das grenzüberschreitende M&A-Geschäft: "Deutschland wird, da wirtschaftlich und politisch stabil, bevorzugtes Ziel von US-Investitionen sein", ist Dr. Ralf Thaeter, Managing Partner Deutschland von Herbert Smith Freehills (HSF), überzeugt. Auch Taylor Wessing setzt auf die USA: Die Kanzlei hat im Sommer 2014 zwei Repräsentationsbüros in Palo Alto und New York eröffnet. "Außerdem treiben wir unsere Markterschließung in Asien, vor allem Südostasien, massiv voran", sagt Managing Partner Dr. Andreas Meissner. Nach Asien zieht es auch King & Wood Mallesons, die Anfang Februar angekündigt hat, einen Standort in Singapur zu eröffnen.
GvW Graf von Westphalen sieht neben dem M&A auch Midcap-Corporate als Wachstumsbereich und hat sich für 2015 vorgenommen, ihre Länderexpertise vor allem in China und der Türkei zu stärken. Die Kanzlei ist sowohl in Shanghai als auch in Istanbul mit eigenen Büros präsent. Die Internationalisierung wird nach Ansicht der GvW-Managing Partner Dr. Robert Theissen und Christof Kleinmann aber nicht nur dem Corporate- und M&A-Geschäft helfen - auch der Zoll- und Außenhandelspraxis der Kanzlei soll es Auftrieb geben.
Compliance und Wirtschaftsstrafrecht im Fokus
Ein weiteres Wachstumsgebiet, das nach Einschätzung vieler Managing Partner zunehmend einen internationalen Anstrich bekommt, ist Compliance. In den letzten Monaten gab es quer durch die Kanzleilandschaft mehrere Partnerwechsel – ein Anzeichen dafür, dass der Bereich auf der Strategie-Agenda der Sozietäten weit oben steht.
So gewann Noerr zum Februar den bisherigen Leiter der steuer- und wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis von PwC Legal, Dentons verstärkte sich zum Jahresbeginn mit zwei Compliance-Experten von Mayer Brown, und Gleiss Lutz holte bereits im Herbst 2014 einen erfahrenen Staatsanwalt in ihre Compliance-Praxis. Deloitte Legal gewann einen Partner von Roxin Rechtsanwälte als neuen Leiter des Bereichs "White Collar Crime Prevention and Investigations".
Industrie 4.0 bringt neuen Beratungsbedarf
Einige Kanzleistrategen, mit denen LTO gesprochen hat, richten ihren Blick noch etwas weiter in die Zukunft. Unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" kommen auf die produzierenden Unternehmen einige Fragestellungen zu, mit denen sich diese Mandantengruppe bislang nur wenig befassen musste: Industrie 4.0 ist ein Zukunftsprojekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung, mit dem die Informatisierung der Fertigungstechnik vorangetrieben werden soll. Das Ziel ist eine "Smart Factory": Eine Fabrik, in der Maschinen über IT-Systeme und das Internet der Dinge untereinander kommunizieren.
Denkbar ist beispielsweise, dass Lagerbestände automatisch überprüft werden. Sobald der Materialvorrat zur Neige geht, bestellt das System direkt beim Lieferanten Nachschub, ohne dass ein Lagermitarbeiter eingreifen muss. Wenn Geschäftsbeziehungen derart automatisiert werden, stellen sich einige rechtliche Fragen, etwa nach Datenschutz und Haftung.
Ob Transaktionsgeschäft oder ganz neue Beratungsfelder - die Kanzleien versuchen, nah am Puls der Mandanten zu sein und deren Bedürfnisse möglichst frühzeitig zu erahnen. Sie stärken Bereiche, die besonders nachgefragt werden. Am schnellsten geht das natürlich, indem man erfahrene Partner oder ganze Teams von Wettbewerbern holt. Doch die interne Aufstellung muss mit der Expansion Schritt halten, und ein Partnerzugang zahlt sich erst dann voll aus, wenn er gut integriert ist.
Für Andreas Meissner, Managing Partner von Taylor Wessing, sind die "internen Erneuerungsprozesse" deshalb ebenso wichtig wie die Expansion nach Asien und die USA. Die Kanzlei will künftig eine aktivere Geschäftspolitik betreiben und sich stärker auf bestimmte Mandanten und Mandate fokussieren. Auch das deutsche Management von Clifford Chance hat einige interne Maßnahmen angekündigt, über die es in den kommenden Wochen offiziell sprechen will. Es bleibt also spannend – auch abseits von großen M&A-Transaktionen.
Anja Hall, Wo Wirtschaftskanzleien wachsen wollen: Die Nachfrage bestimmt das Angebot . In: Legal Tribune Online, 13.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14680/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
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