Unter Reichsbürgern finden sich Verschwörungstheoretiker, Populisten und Rechtsextreme. Sie werden zunehmend zum Ärgernis für Behörden und Gerichte. Ihre Thesen sind ausnahmslos falsch, doch die Bewegung ist gefährlich.
Dass dies kein gewöhnlicher Fall war, erkannte Susanne Kuschmann schon früh. Die Richterin am Amtsgericht (AG) Siegen wollte den Mann, dessen Schreiben sie nun in Händen hielt, anhören. Es war keine große Sache, eher eine Lappalie, wie täglich mehrere auf ihrem Schreibtisch landen. Doch nun dämmerte ihr, womit sie es zu tun hatte. "Viel Text auf vielen Seiten" beschreibt sie den Schriftsatz, teilweise kryptisch formuliert, mit aufgedrucktem Wappen und "Allgemeinen Geschäftsbedingungen".
Kurzum, der Mann wollte gefordertes Geld nicht bezahlen. Doch seine Begründung nahm sich merkwürdig aus. Unter anderem zweifelte er darin Kuschmanns Legitimation als gesetzliche Richterin an und bezichtigte sie der "Anwendung von Nazi-Recht". Später flatterten der Richterin weitere Schreiben ins Haus, auch in ihren privaten Briefkasten. Ihr Name findet sich zudem in einem "Schuldnerverzeichnis", welches der Mann im Internet veröffentlichte. Mehrere Millionen verlangt er von Kuschmann, zahlbar bitte in Silberunzen. Zwar verwendete er selbst nicht diese Bezeichnung, doch sie ist sich sicher: Bei ihm handelt es sich um einen "Reichsbürger".
Ein Angehöriger jener Personengruppe also, die seit wenigen Jahren zunehmend in den Medien auftaucht und durch krude Theorien über ein Besatzungsregime und eine "Deutschland-GmbH" bei vielen für Belustigung sorgt. Sie sind der Ansicht, die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, weshalb man behördlichen Anweisungen nicht folgen müsse. Dass Begegnungen mit ihnen nicht immer lustig enden, zeigte im Oktober auf tragische Weise der Fall eines erschossenen Polizisten in Mittelfranken. Seitdem fragen sich viele: Wer sind diese Leute, die den Staat in Frage stellen und dabei oftmals aggressiv gegen Verwaltung und Justiz vorgehen?
Ideologen, Selbstverwalter und Populisten
"Den Reichsbürger gibt es nicht" erklärt dazu Jan Rathje im Gespräch mit LTO. Rathje ist Politikwissenschaftler und arbeitet für die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. 2014 hat er für die Stiftung eine Broschüre mit dem Titel "Wir sind wieder da - Die 'Reichsbürger': Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien" verfasst. Das Milieu der sogenannten Reichsbürger sei "sehr heterogen", sagt Rathje. "Der Begriff hat sich leider inzwischen etabliert, dabei führt er in die Irre." Er zieht es vor, sie in drei Gruppen zu unterteilen.
Im Kern seien alle Verschwörungsideologen: "Sie glauben, dass eine Weltverschwörung gegen die Deutschen im Gange sei. Zu ihren Grundannahmen zählt, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat sei und das Deutsche Reich in seinen Grenzen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg weiterbestehe". In der ersten Gruppe finden sich nach seiner Meinung die eigentlichen "Reichsbürger": Jene, die davon überzeugt seien, dass ein Deutsches Reich weiterbestehe.
Die zweite Gruppe nennt Rathje die "Selbstverwalter". Sie glauben, aus dem deutschen Staat austreten zu können und betrachten Aufforderungen zur Steuerzahlung als bloßes Vertragsangebot. In ihrem Weltbild tritt ihnen die Bundesrepublik als Firma auf der Ebene des Privatrechts gegenüber. Als Konsequenz gründen sie ihre eigenen Staaten, beispielsweise das "Königreich Deutschland" des bekannten Reichsbürgers Peter Fitzek in Wittenberg. Auf der Internetseite des Königreichs bezeichnet er sich als "obersten Souverän". "Im Königreich Deutschland wurden bereits viele Institutionen geschaffen, die für einen funktionierenden Staat unabdingbar sind" wird dort geworben. Gerichte, Behörden, Ministerien, all das will Fitzek bereits errichtet haben. Als "Vision" wird das Königreich dort beschrieben, doch für ihn scheint sie bereits wahr geworden.
Die dritte Gruppe, die Rathje benennt, sind diejenigen, die lediglich eine fehlende Souveränität Deutschlands behaupten und implizieren, dass eine Fremdherrschaft über die Deutschen existiere. Oft wird dieses Weltbild auch für rechtspopulistische Zwecke verwendet. "Ein Beispiel ist das Compact-Magazin, das sich als 'Magazin für Souveränität' beschreibt", erzählt er. In dem Magazin werden rechte Thesen und Verschwörungstheorien bedient, gegen die "Lügenpresse" gewettert und nicht zuletzt die Alternative für Deutschland (AfD) und Donald Trump unterstützt. Auf Facebook zählt es fast 90.000 Likes.
Scheitern und Identität
Ganz harmlos mutet dagegen das Facebook-Profil von Holger Meinhardt (Anm.: Name von der Red. geändert) an. Auf seiner Seite präsentiert er Fotos von Familie und Hund, oft aber auch Schreiben von Behörden, von Meinhardt höhnisch kommentiert. "Wenn die Polizei, Gerichtsvollzieher an Deiner Haustüre erscheinen, dann brauchst Du gar nichts zu machen, Du brauchst sie nicht in das Haus zu lassen" schreibt er in einem öffentlichen Post. Es klingt wie ein Ratschlag, ist aber wohl gleichzeitig eine Aufforderung. "Die Zeit zum Kampf ist gekommen!" schreibt er wenige Tage später. Zum Kampf gegen "Behördenwillkür", "Lügen" und "Betrug". "Lasst Euch das nicht gefallen KÄMPFT!!!!"
Was aber bringt Menschen wie Holger Meinhardt überhaupt dazu, unseren Staat derart in Frage zu stellen? Für Jan Rathje sind es vor allem individualpsychologische und gesellschaftliche Gründe: "Sie glauben, der Staat sei ein Unterdrückungsregime, das sie für persönliche Niederlagen und Kränkungen verantwortlich machen. Daraus leitet sich auch die Suche nach Sündenböcken ab". Was auch passiert, schuld ist immer die kleine Gruppe der Verschwörer: "So werden strukturelle Probleme personifiziert".
Zudem würden sie dadurch mit einer Identität ausgestattet. Menschen, die sich in einer globalisierten Umgebung verloren fühlten, fänden eine Heimstätte, die all das ablehne, was sie verunsichere.
2/3: Die BRD als besetztes Gebiet
Diese Heimstätte ist vor allem das Internet. Recherchiert man auf einschlägigen Seiten, so finden sich dort zahlreiche selbsternannte Experten, die mit scheinbar juristisch fundierten Argumenten das Staatsgebilde BRD auseinandernehmen und für illegitim erklären. Darunter gibt es ein Füllhorn an Absurditäten, doch lassen sich einige Kernüberzeugungen herausfiltern.
Vielfach ist zu lesen, das Deutsche Reich bestehe nach wie vor in seinen alten Grenzen wahlweise von 1871 oder 1937. Es sei mit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht untergegangen, sondern bestehe fort, was sogar das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt habe (Urt. v. 31.07.1973, Az. 2 BvF 1/73). Somit besitze die BRD keine Staatsgewalt und ihre Gesetze und Amtshandlungen seien illegitim.
Ein Teil dessen trifft in der Tat zu, wie Bernd Grzeszick, Professor für Staatsrecht an der Uni Heidelberg feststellt: "Die Reichsbürger zitieren hier zutreffend das Bundesverfassungsgericht". Die Bundesrepublik Deutschland ist danach "nicht 'Rechtsnachfolger' des Deutschen Reiches". Tatsächlich unterschlügen sie dabei jedoch einen wesentlichen Teil: Im Weiteren führte das Gericht aus, die BRD sei "als Staat identisch mit dem Staat 'Deutsches Reich', – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings 'teilidentisch'". Diese Ansicht hat das Gericht auch im "Teso"-Beschluss (Urt. v. 21.10.1987, Az.2 BvR 373/83) bestätigt.
Die Bundesrepublik Deutschland sei damit nur ein anderer Name für ein und dasselbe Staatsgebilde, wenngleich in neuen Grenzen, sagt Grzeszick. Zudem sei die BRD auf völkerrechtlicher Ebene als Rechtssubjekt anerkannt. "Demnach lassen sich für die fehlende Staatsgewalt auch unter Zugrundelegung der Identitätsthese schlicht keine greifbaren Argumente finden."
Grundgesetz = Verfassung?
Weiterhin ist die Bundesrepublik nach Meinung der "Selbstverwalter" nicht souverän. Es gebe keinen Friedensvertrag mit den Siegermächten, welcher dem besetzten Deutschland seine Souveränität zurückgegeben hätte. Auch dies ist nur ein Teil der Wahrheit, wie Grzeszick erklärt. Einen formalen Friedensvertrag gebe es in der Tat nicht, wohl aber einen materiellen, nämlich den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geschlossen wurde: "Er regelt umfassend die politisch geforderte und rechtlich notwendige Friedensregelung mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, markierte damit das Ende der Nachkriegszeit und befreite Deutschland endgültig von besatzungsrechtlichen Beschränkungen". So besagt auch Art. 7 Abs. 2 des Vertrages: "Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten".
Aber für die Reichsbürger gibt es noch weitere Gründe, am Staat zu zweifeln. Den könne es nämlich ohne eine echte Verfassung gar nicht geben und eine solche sei das Grundgesetz (GG) schon dem Namen nach nicht. Dafür wird auch Art. 146 GG angeführt: "Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Diese Vorschrift, widerspricht Grzeszick, treffe aber keineswegs die Aussage, dass das Grundgesetz keine Verfassung sei: "Art. 146 besagt nur, dass es nicht die letzte Verfassung für Deutschland bleiben muss". Eine Verfassung im Sinne eines grundlegenden Kanons der Rechte und Befugnisse der Bürger und der Staatsgewalt könne man zwar durchaus als Voraussetzung für einen funktionierenden Staat betrachten, das Grundgesetz erfülle diesbezüglich aber alle Anforderungen.
Eine weitere Behauptung, die durch das Reichsbürger-Milieu irrlichtert, ist, dass es sich bei der BRD um eine Firma handele, die sogar am Amtsgericht in Frankfurt am Main eingetragen sei. Tatsächlich handelt es sich bei der "Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH" nur um ein vom Bund gegründetes Unternehmen. "Als zentraler Dienstleister für die Kreditaufnahme und das Schuldenmanagement des Bundes kümmert sie sich um die Platzierung von Staatsanleihen auf dem Finanzmarkt und ist deshalb privatwirtschaftlich organisiert" erläutert Grzeszick.
3/3: Aggressives Vorgehen gegen Justiz und Verwaltung
Aber diese Halbwahrheiten nähren den Mythos vom Unterdrückungsregime BRD. Natürlich muss niemand den Staat anerkennen, solange er sich an seine bürgerlichen Pflichten hält. Doch in jüngerer Vergangenheit häuften sich Fälle, in denen Reichsbürger Verwaltungen mit überdimensionierten Schriftsätzen praktisch lahmlegten und Gerichtsverhandlungen störten. Vereinzelt kam es sogar zu tätlichen Übergriffen auf Justizbedienstete.
Inzwischen haben einige Bundesländer, vornehmlich im Osten, sie als echtes Problem ausgemacht. So hat ihnen das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung ein ganzes Handbuch gewidmet, das Oberlandesgericht (OLG) Thüringen eine eigene Arbeitsgruppe unter der Leitung von Richterin Kati Resch eingerichtet. Gegenüber LTO berichtet sie von Reichsbürgern, die bei Gericht herein platzten und dort "eine Drohkulisse aufbauen". Nun will man Handlungskonzepte für die betroffenen Mitarbeiter entwickeln.
In einer Kleinen Anfrage brachte die Bundestagsfraktion der Linken das Thema schon im Jahr 2012 auf die Tagesordnung. Damals beschrieb die Regierung die Reichsbürger als eine uneinheitliche Bewegung, die zahlenmäßig nicht zu beziffern sei und deren Mitglieder kaum strafrechtlich in Erscheinung träten. Gleichwohl fänden sich auch rechtsextremistische Organisationen unter ihnen. Im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 2015 tauchen die Reichsbürger nicht auf. Auch die Landesämter beobachten sie nicht, informieren aber in Broschüren über die Bewegung. Laut Deutscher Presse Agentur (dpa) gehen Sicherheitsbehörden inzwischen von rund 1.100 Personen im Milieu aus.
Verschwörungstheorien aus dem Antisemitismus
Gesellschaftsforscher wie Jan Rathje betrachten die Reichsbürger mit Sorge, nicht zuletzt wegen ihres ideologischen Fundaments. Ihre Verschwörungstheorien speisen sich aus der Vermutung, dass eine kleine Gruppe im Geheimen die Welt regiere, analog zum antisemitischen Pamphlet "Protokolle der Weisen von Zion", erklärt Rathje. "Das ist eine Blaupause für die großen Weltverschwörungserzählungen". Somit seien Teile der Bewegung im Kern antisemitisch, was sie mit dem Rechtsextremismus verbinde.
Der Ursprung ihrer Thesen liege lange zurück: "Die Idee, das Deutsche Reich wieder herzustellen, existiert seit Ende des Zweiten Weltkriegs". Sie sei immer im Rechtsextremismus verankert gewesen und habe seit Mitte der 70-er Jahre eine Erweckung erfahren, zunächst durch den Juristen, Holocaust-Leugner und verurteilten Terroristen Manfred Roeder und später in den 80er Jahren durch Wolfgang Ebel, dem die Idee einer kommissarischen Reichsregierung zugeschrieben wird. Sie gilt als Urform der Fantasiereiche und findet noch heute großen Anklang. Weitere argumentative Unterfütterung lieferte auch der Rechtsextremist Horst Mahler.
Wohin sich die Bewegung entwickelt, vermag derzeit niemand zu sagen. Zu wenig erforscht sind diese Parallelgesellschaften, zu heterogen ihre Variationen. Sie sind aber Teil einer größeren gesellschaftlichen Entwicklung, die noch nicht am Ende ist, ist sich Rathje sicher: "Was sich zeigt, ist, dass Verschwörungserzählungen international auf dem Vormarsch sind". Auch die Weltpolitik steht unter ihrem Einfluss: Die Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps gründete in Teilen auf der Erzählung von einer anti-amerikanischen Verschwörung und die russische Regierung sieht sich ebenfalls von Feinden umgeben. "Die Menschen werden in Stellung gebracht", sagt Rathje, ganz besonders gegen alles Fremde.
Maximilian Amos, Reichsbürger und ihre Ideologie: Die Staatsleugner . In: Legal Tribune Online, 22.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21215/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
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