Ist es einem Hersteller nach einem Wettbewerbsverstoß untersagt, seine Ware zu vertreiben, muss er sie in der Regel auch zurückrufen, stellte der BGH jetzt klar. Dirk Pauli erläutert, warum "was raus ist, ist raus" künftig nicht mehr gilt.
Enthalten Waren oder ihre Verpackungen rechtswidrige Angaben, droht dem Hersteller beziehungsweise dem Distributor eine gerichtliche Untersagung der Bewerbung sowie des Vertriebs der entsprechenden Produkte.
Damit aber nicht genug: Wie der Bundesgerichtshof (BGH) mit am Freitag veröffentlichten Beschluss (v. 29.09.2016, Az. I ZB 34/15) nun klargestellt hat, umfasst ein wettbewerbsrechtliches Unterlassungsgebot grundsätzlich auch die Pflicht, die entsprechenden Waren von den Abnehmern zurückzurufen.
Spirituosen sind keine "Rescue Tropfen"
Der Entscheidung des BGH lag eine wettbewerbsrechtliche Untersagung des Oberlandesgerichts (OLG) München aus dem Jahr 2013 zugrunde. Einem Vertriebsunternehmen war untersagt worden, als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung "Rescue Tropfen" zu vertreiben. Dieses auch als "Notfalltropfen" bekannte Mittel auf Pflanzenbasis soll beruhigend wirken – allerdings ohne Alkohol als Zutat.
Die entsprechenden Produkte hatte das beklagte Vertriebsunternehmen an Apotheken ausgeliefert, forderte diese im Folgenden jedoch nicht zur Rückgabe der bereits an sie ausgelieferten "Rescue Tropfen" auf. Darin sah die klagende Konkurrentin eine Zuwiderhandlung gegen das Urteil des OLG München und beantragte ein Ordnungsgeld, das das Gericht auch verhängte. Dagegen wehrte sich das beklagte Vertriebsunternehmen.
Bisher uneinheitliche OLG-Rechtsprechung
Der BGH hatte die Frage zu beantworten, ob ein Unterlassungsschuldner über die künftige Unterlassung des Vertriebs seiner Produkte hinaus auch verpflichtet war, die bereits ausgelieferten Produkte zurückzurufen. Ob eine Rückrufpflicht in so einem Fall besteht oder nicht, wurde von den OLG bisher uneinheitlich beurteilt. So vertraten etwa das OLG Hamburg und OLG Frankfurt a.M. die Auffassung, dass ein Rückruf vom Unterlassungsschuldner nicht gefordert werden könne. Getreu dem Motto: "Was raus ist, ist raus".
Dieser Haltung hat der BGH nun eine klare Absage erteilt. Ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produkts untersagt worden sei, müsse – so der BGH – grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden. Er habe zwar für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen, sei jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekomme, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen müsse und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten habe.
Nur wenn der Rückruf unzumutbar sei, könne davon abgesehen werden. Auf das Korrektiv Unzumutbarkeit sollte ein Schuldner aber nicht setzten, denn der BGH hat in der Entscheidung bereits angedeutet, dass eine Unzumutbarkeit nur in Ausnahmefällen vorliegen wird. Insbesondere führte der Umstand, dass der Händler nach Abwicklung der entsprechenden Kaufvorgänge keine rechtliche Handhabe gegen die Apotheken hatte, die Rückgabe der noch vorhandenen Produkte zu verlangen, nicht zur Unzumutbarkeit.
Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des BGH sorgt für mehr Klarheit, denn auch die Gerichte in Hamburg und Frankfurt werden sich zukünftig an diese Vorgaben halten. Die Marketingabteilungen in Unternehmen sollten deshalb aufhorchen und die neue Rechtsprechung unbedingt berücksichtigen. Die Angaben auf dem eigenen Produkt sowie der Verpackung sollten noch sorgsamer geprüft werden. Eine Untersagung bedeutet nunmehr nicht nur ein Vertriebsverbot, sondern erfordert grundsätzlich auch eine schnelle Rückrufaktion – und die können teuer sein und zu einem nachhaltigen Vertrauensschaden bei den Abnehmern führen.
Das Unterlassen von Rückrufaktionen kann ebenfalls ins Geld gehen, denn hierfür dürften künftig drastische Ordnungsgelder zu erwarten sein. Das OLG München hatte im konkreten Fall immerhin ein Ordnungsgeld in Höhe von 15.000,00 € verhängt.
Aber nicht nur der Schuldner eines Unterlassungstitels, sondern auch der Angreifer muss zukünftig noch sorgfältiger abwägen. Sollte nämlich der Unterlassungsschuldner unmittelbar nach Zustellung einer Beschlussverfügung einen Rückruf veranlassen und die Verfügung später erfolgreich mit Rechtsmitteln bekämpfen, drohen dem Angreifer drastische Schadensersatzansprüche: Die Kosten für den Rückruf zählen nämlich zum Vollziehungsschaden im Sinne von § 945 Zivilprozessordnung.
Der Autor Dirk Pauli, LL.M. (Chicago) ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und in der Kanzlei KLEINER Rechtsanwälte in Stuttgart tätig.
Dirk Pauli, LL.M. (Chicago), BGH bejaht Rückrufpflicht bei Unterlassungsgebot: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21929 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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