Heute vor 20 Jahren verkündete das Bundesverfassungsgericht sein zweites Abtreibungsurteil. Außerdem in der Presseschau: ein Gesetzesvorschlag zur Migrantenförderung, Ermittlungen wegen Untreue im Verteidigungsministerium, die Probleme von Jurastudierenden mit der deutschen Sprache und weshalb die Diebe von zwölf Leichen nun wegen Autodiebstahls verurteilt wurden.
20 Jahre Abtreibungsurteil: Zum zwanzigsten Jahrestag des Abtreibungsurteils des Bundesverfassungsgerichts führt die SZ (Ulrike Heidenreich, Wolfgang Janisch) ein Interview mit dem Rechtsprofessor und ehemaligen Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, der damals dem Zweiten Senat angehörte. Der Senat hatte entschieden, Abtreibungen seien aufgrund der Menschenwürde des ungeborenen Kindes nach wie vor "rechtswidrig", nach Beratung aber "straffrei". Laut Böckenförde habe das Urteil von 1993 den Schwerpunkt weg von der zumeist wirkungslosen Repression auf die Beratung und Orientierung am Lebensschutz verlagert. Dieses Konzept hänge gerade auch von Vorkehrungen zugunsten von Familien ab. Entsprechende Themen wie familienfreundliche Arbeitszeiten kämen jetzt in Bewegung, wenn auch nicht primär unter Lebensschutzgesichtspunkten, sondern wegen des demografischen Faktors.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Migranten-Fördergesetz: Um zu erreichen, dass türkische Zuwanderer und Migranten aus anderen Ländern künftig mehr Stellen im öffentlichen Dienst besetzen, hat der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, einen Gesetzesvorschlag zur Förderung von Migranten angekündigt. Nach einem Bericht der FAZ (Peter Carstens) sagte Kolat, es gehe nicht um eine starre Zuwandererquote, sondern um selbstbestimmte Ziele. Es müsse zudem überlegt werden, den Beamtenstatus auch für Bewerber ohne deutsche Staatsbürgerschaft leichter erreichbar zu machen.
Reinhard Müller (FAZ) hält den Vorschlag, mit dem das Beamtenrecht weiter aufgeweicht werde, für falsch: "Warum sollte man von einem ohnehin schon lange hier lebenden "Menschen mit Migrationshintergrund" nicht verlangen, dass er Deutscher wird, wenn er denn in den Staatsdienst will?"
Fracking: Nach Meldung von lto.de hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen Vorschlag vorgelegt, um das sogenannte Fracking, also die Gewinnung von unkonventionellem Erdgas mit Hilfe giftiger Chemikalien, zu verbieten. Hierzu solle zur das Bundesberggesetz geändert werden.
Trennbankengesetz: Rechtsanwalt Tim Oliver Brandi stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard den kürzlich vom Bundestag verabschiedeten Entwurf eines Trennbankengesetzes vor. Unter anderem verbietet das Gesetz Einlagenkreditinstituten, deren Handelsaktivitäten bestimmte Schwellenwerte überschreiten, verschiedene spekulative Geschäftstätigkeiten bzw. erlaubt sie nur dann, wenn die betreffenden Geschäftsbereiche vom Einlagengeschäft getrennt und auf selbstständige Finanzhandelsinstitute übertragen werden. Als wichtigste Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf sollen das Verbot spekulativer Geschäfte und die entsprechenden Ausnahmeregelungen erst ab dem 1. Juli 2015 gelten.
Rechtsstaatlichkeit in China: Zum Fall des deutschen Kunstspediteurs Nils Jennrich, der sich monatelang in China in Untersuchungshaft befand, führt das Handelsblatt (Frank Sieren) ein Interview mit Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Nachdem lange unsicher war, welche Vorwürfe gegen Jennrich überhaupt erhoben wurden, habe sie diesen Missstand in China deutlich angesprochen. Im Rahmen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs werbe man bei der chinesischen Seite zudem stets für mehr Unabhängigkeit der Justiz, für eine selbstständige Anwaltschaft und für die Rechte von Betroffenen in Verfahren.
Medizinprodukterecht: Im Zuge der Prozesse um mangelhafte Silikon-Brustimplantate hat nach der EU-Kommission auch die Berichterstatterin im EU-Parlament, Dagmar Roth-Behrendt, Reformvorschläge für das Medizinprodukterecht vorgelegt. Diese Vorschläge seien dazu geeignet, einem bewährten Zulassungssystem endgültig den Todesstoß zu versetzen, meint Rechtsprofessor Ulrich M. Gassner auf lto.de. Die Anlehnung des Regelungsvorschlags an das EU-Zulassungsverfahren für Arzneimittel negiere die elementaren Unterschiede zwischen beiden Produktwelten.
Haftung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern: Rechtsprofessor Klaus J. Hopt befasst sich im Handelsblatt mit der Haftung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, über die der Deutsche Juristentag 2014 diskutieren wird. Die gerichtlich eingeklagten Schadensersatzsummen seien mittlerweile astronomisch hoch; bei Banken habe der Bundestag jüngst die Anforderungen für Geschäftsleitung und Aufsichtsorgan im Kreditwesengesetz drastisch verschärft. Wünschenswert seien vor diesem Hintergrund Reformen mit Augenmaß.
Filmen beim Polizeieinsatz: Hessen stattet im Rahmen eines Pilotprojekts Polizisten mit einer so genannten "Bodycam" aus. Damit ist es den Beamten zukünftig in bestimmten Fällen gestattet, Personenüberprüfungen mitzufilmen. Auf diese Weise sollen Gewalttäter abgeschreckt, Beamte geschützt und die Beweissicherung für Gerichtsverfahren verbessert werden. focus.de berichtet.
Weitere Themen - Justiz
BGH zu Fristwahrung: Nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs dürfen Gerichte aufgrund des Grundsatzes des fairen Verfahrens die Anforderungen, die es an den fristgemäßen Eingang eines Schriftstücks stellen, nicht übertreiben. Im zu entscheidenden Fall hatte ein Rechtsanwalt einen Schriftsatz wenige Minuten vor Fristablauf um 24 Uhr an das Landgericht Frankfurt gefaxt – richtiger Empfänger wäre aber das Oberlandesgericht gewesen. Da es bei den Frankfurter Gerichten aber eine "Gemeinsame Eingangsstelle" gibt, an der alle Sendungen auflaufen, auch wenn die einzelnen Behörden und Gerichte verschiedene Faxnummern haben, kam es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gerade nicht darauf an, ob das Fax auch an die richtige Durchwahlnummer gesendet wurde. lawblog.de (Udo Vetter) bespricht die Entscheidung.
ArbG Frankfurt zu Mobbing bei der Deutschen Bank: Die Klage eines indischen Mitarbeiters gegen die Deutsche Bank wegen Mobbings ist vor dem Frankfurter Arbeitsgericht abgewiesen worden. Der Mann warf der Bank systematische Benachteiligungen und die Duldung rassistischer Äußerungen vor. Der Kläger sei laut FAZ (Corinna Budras) mit seinen Vorwürfen wohl schlicht zu spät gekommen, da er schon im Jahr 2001 von Stelle zu Stelle geschoben worden sei, und er sich nur bei seinem Vorgesetzten beschwert habe, nicht aber den Betriebsrat oder die Antidiskriminierungsstelle informiert habe.
SG Heilbronn zu betrieblicher Tätigkeit: Nach einem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn, gemeldet bei lto.de, können Unfälle, die nach der eigentlichen Arbeitszeit in einem zugleich privat und beruflich genutzten Gebäude geschehen, auch als Arbeitsunfälle zu qualifizieren sein. Im konkreten Fall war der Kläger auf der Treppe eines Gebäudes gestürzt, in dem im Erdgeschoss seine Werkstatt und im Obergeschoss sein Büro sowie seine Privatwohnung untergebracht waren. Weil er beim Sturz auf dem Weg ins Büro war, habe er die Treppe nach Argumentation des Gerichts aus betrieblichen Gründen genutzt.
Ermittlungen wegen Untreue im Verteidigungsministerium: Nach Meldung der taz hat die Staatsanwaltschaft Koblenz Ermittlungsverfahren wegen Untreueverdachts bei der Beschaffung von Waffen für die Bundeswehr eingeleitet. Die Ermittlungen beträfen einen General im Bundesverteidigungsministerium, einen Mitarbeiter des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr sowie Verantwortliche eines deutschen Rüstungsunternehmens. Der Vorwurf lautet, dass Gewehre für die Bundeswehr gekauft worden seien, obwohl bei wehrtechnischen Untersuchungen der Waffen schwerwiegende Mängel festgestellt wurden. Auch spiegel.de (Matthias Gebauer) berichtet.
LG Berlin – Johnny K.: Am Montag fand vor dem Landgericht Berlin der dritte Verhandlungstag im Prozess um die tödliche Prügelattacke auf Jonny K. auf dem Berliner Alexanderplatz statt. Nach Schilderung der taz Berlin (Plutonia Plarre) und spiegel.de (Julia Jüttner) belastete ein Freund Johnny K.‘s, der ebenfalls attackiert worden war, in seiner Vernehmung als Zeuge insbesondere den 19-jährigen Angeklagten Onur U., der den ersten Schlag geführt habe.
Verfahrenseinstellung im Fall Maschmeyer: Nach einem Bericht des Handelsblatts (Ozan Dermican, Carsten Herz) hat der Gründer des Finanzvertriebs AWD, Carsten Maschmeyer, eine Geldauflage von 2,9 Mio. Euro zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gezahlt. Bei dem Fall ging es um Maschmeyers umstrittene Aktienbeteiligung am Konkurrenten MLP, bei der er die gesetzlichen Meldepflichten nicht eingehalten haben soll. Trotz hoher Geldsummen käme die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage vielen Managern zupass, insbesondere um einen möglichen Reputationsschaden zu vermeiden.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Frankreich – Kunstexperte schadensersatzpflichtig: Ein französisches Gericht hat laut spiegel.de (Sven Röbel) den bekannten Kunsthistoriker Werner Spies und einen französischen Galeristen zur Zahlung von über 600.000 Euro Schadensersatz verurteilt. Geklagt hatte ein Kunstsammler, der das vermeintliche Gemälde "Tremblement de terre" von Max-Ernst erworben hatte, nachdem sich Spies, der weltweit führende Experte für das Werk von Max Ernst, von der Echtheit des Werks überzeugt gezeigt hatte. Tatsächlich stammte das Bild jedoch von dem inzwischen verurteilten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi.
Guatemala – Rios Montt: Die taz (Cecibel Romero, Toni Keppeler) befasst sich mit der Verurteilung des ehemaligen guatemalischen Gewaltherrschers Efraín Ríos Montt wegen Völkermords zu achtzig Jahren Haft. Auch wenn der Prozess nun neu aufgerollt werden muss, handele es sich um ein historisches Urteil, denn zum ersten Mal wurde ein Gewaltherrscher in seinem Land von einem heimischen Gericht wegen Völkermord verurteilt.
Afrikanische Union – IStGH: Nach Meldung der FAZ hat die Afrikanische Union gefordert, den Prozess gegen Kenias Staatspräsidenten Uhuru Kenyatta und seinen Stellvertreter William Ruto wegen der gewaltsamen Unruhen nach den Wahlen 2007 vor dem Internationalen Strafgerichtshof zurück an die Justiz in Kenia zu verweisen. Begründet wurde die Forderung damit, dass Kenia mittlerweile sein Justizwesen komplett reformiert habe, und deshalb selbst derartige Fälle behandeln solle. Laut spiegel.de wurde der Internationale Strafgerichtshof zudem scharf kritisiert: Bisher habe Den Haag nur gegen Afrikaner ermittelt, die Verfolgung von Verbrechern sei "zu einer Art Rassenhetze" verkommen.
Weitere Themen – Juristische Ausbildung
Juristendeutsch: spiegel.de (Julia Jung) führt ein Interview mit der Rechtsprofessorin Jantina Nord, die mit ihren Studierenden einen Sprachkompetenztest durchgeführt hat. Das Ergebnis sei teils verheerend gewesen, besonders bei der Verwendung des Konjunktivs. Zudem versuchten viele Jurastudierende aus Unsicherheit, möglichst professionell zu klingen, und verwendeten dabei dann falsche Formulierungen.
Sonstiges
Online-Unterricht auf Youtube: Rechtsanwalt Marc-Oliver Srocke befasst sich auf lto.de mit der urheberrechtlichen Zulässigkeit von Online-Klavierunterricht auf Youtube. Anlass ist der Fall eines niederländischen Klavierlehrers, der in der vergangenen Woche seine erfolgreichen Tutorials von der Online-Plattform entfernte. Unklar sei, ob er dazu von Youtube abgemahnt wurde oder ein anderer Online-Klavierlehrer ihn dazu aufgefordert hat. Während der konkurrierende Klavierlehrer nach der deutschen Rechtslage keine Chance habe, sei die Rechtslage im Falle einer eventuellen Abmahnung durch Youtube eindeutig, da auch Coverversionen oder Bearbeitungen die Urheberrechte der Komponisten verletzten. Den zugrundeliegenden Fall schildert auch netzpolitik.org (Andrea Jonjic).
Kartellrecht und mittelständische Unternehmen: Nach einem Bericht des Handelsblatts (Christoph Kapalschinski) sind immer mehr mittelständische Unternehmen verunsichert, da zuletzt auch mittelständisch geprägte Branchen ins Visier des Bundeskartellamts gerieten. So wurde etwa gegen Kartoffel-Betriebe, die jahrelang preis abgesprochen haben sollen, sowie Kölsch-Brauer und Süßwarenhändler ermittelt. Zur Vermeidung von Bußgeldern empfehle Rechtsanwältin Stephanie Birmanns Unternehmen, grundsätzlich nicht solche Informationen auszutauschen, über die sie im Normalfall nicht offen reden würden.
Das Letzte zum Schluss
Haft nach Leichendiebstahl: Die Diebe von zwölf Leichen müssen nach einem Urteil eines polnischen Gerichts für bis zu vier Jahre in Haft – jedoch nicht wegen Störung der Totenruhe, sondern wegen Autodiebstahls. Wie spiegel.de berichtet, hatten die mutmaßlichen Täter im vergangenen Jahr vom Parkplatz eines Bestattungsunternehmens bei Berlin einen Sprinter gestohlen, offenbar ohne zu wissen, dass der Wagen zwölf Särge für den Transport zum Krematorium geladen hatte. Die Särge wurden später unversehrt in einem polnischen Waldgebiet bei Posen gefunden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Mai 2013: 20 Jahre Abtreibungsurteil – Fördergesetz für Migranten – schlechtes Juristendeutsch . In: Legal Tribune Online, 28.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8809/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag