Heute legt die "Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus" bei der Innenministerkonferenz ihren Abschlussbericht vor. Zentraler Vorschlag ist, dem Generalbundesanwalt mehr Kompetenzen zu geben. Außerdem in der Presseschau: die "Charmeoffensive" des OLG München, Ermittlungen gegen mutmaßliche Linksextreme, der Verfassungsschutzpräsident im Interview und wie ein Anwalt besser nicht unterschreiben sollte.
Mehr Kompetenzen für GBA: Die "Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus" legt am Donnerstag auf der Innenministerkonferenz ihren 363 Seiten starken Abschlussbericht vor. Die Kommission war als Expertengremium in Ergänzung zu den NSU-Untersuchungsausschüssen eingesetzt worden. In ihrem Bericht schlägt sie nach Information der SZ (Tanjev Schultz) vor, dem Generalbundesanwalt mehr Zuständigkeiten zu geben. So solle er auch dann Ermittlungen an sich ziehen können, in denen zwar schwerste Straftaten vorliegen, ein terroristischer Hintergrund aber zunächst nicht offensichtlich ist. Zudem soll er zur Klärung seiner Zuständigkeit bestimmte Ermittlungen anstellen können. Die Ermittlungen zum NSU konnte der Generalbundesanwalt erst übernehmen, nachdem die Gruppe im November 2011 aufgeflogen war.
Tanjev Schultz (SZ) hält den Vorschlag für richtig. Bisher lägen die Hürden zur Übernahme von Ermittlungen zu hoch. Mehr Befugnisse für die Bundesanwaltschaft seien zwar keine Garantie für eine bessere und schnellere Aufklärung schwerster Straftaten, schlechter als beim NSU könne es aber nicht laufen.
Strafbarkeit von V-Leuten: Desweiteren fordert die Kommission laut SZ (Tanjev Schultz) Rechtssicherheit für V-Leute und die sie betreuenden Beamten. Hierzu werde vorgeschlagen, in der Strafprozessordnung einen speziellen Grund zur Einstellung des Verfahrens zu schaffen, der es der Staatsanwaltschaft ermögliche, in bestimmten Fällen von einer Strafverfolgung abzusehen.
Aufgrund dieses Vorschlags befasst sich die taz (Christian Rath) mit dem bisher kaum bekannten Fall des Türken Alaattin A., der mehrere Jahre lang als V-Mann für den Bundesnachrichtendienst (BND) aus einer linken türkischen Terrorgruppe berichtete, und im Jahr 2011 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. A.'s Anwälte hatten die Einstellung des Verfahrens gefordert, da er als V-Mann quasi mit amtlicher Befugnis gehandelt habe. Das OLG argumentierte demgegenüber in dem als "geheim" eingestuften Urteil, es fehle eine gesetzliche Grundlage, die V-Leuten das Begehen von Straftaten erlaube: Schwerwiegende Straftaten aus der Strafbarkeit auszunehmen, sei Sache des Gesetzgebers.
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Erfassung von V-Leuten: Auf der am Mittwochabend gestarteten Innenministerkonferenz wollen die Minister nach Bericht der FAZ (jbe., Thomas Holl) über die zentrale Erfassung von V-Leuten in einer Datei beraten. Laut Bundesinnenminister Friedrich soll die Datei dokumentieren, welches Amt welchen Informanten beschäftige. Einzelne Fragen seien noch strittig, etwa ob neben den Decknamen der Informanten auch ihre Klarnamen erfasst werden sollen.
Abschiebung von "Hasspredigern": Im Vorfeld der Innenministerkonferenz hat sich Bundesinnenminister Friedrich nach Bericht der Welt (Manuel Bewarder, Florian Flade, Martin Lutz) für eine erleichterte Abschiebung von "Hasspredigern" ausgesprochen. Hierzu solle § 53 des Aufenthaltsgesetzes geändert werden. Zudem soll in § 54 ein Regelausweisungsgrund geschaffen werden, um "Angehörige von Drittstaaten, die zum missbräuchlichen Bezug von Sozialleistungen einreisen, mit Wiedereinreiseverbot zu belegen". In der SPD und der FDP stießen die Pläne hauptsächlich auf Kritik.
Rolle des BVerfG: Unter der Trias "Letzte Zuflucht, einzig wirksame Opposition, Sündenbock" befasst sich Reinhard Müller (FAZ) in seinem Leitartikel mit der Rolle des Bundesverfassungsgerichts. So werde etwa bei der Verhandlung über den ESM-Vertrag und die Rolle der Europäischen Zentralbank im Juni wieder einmal die Frage im Raum stehen, ob es nicht Sache von Parlament und Regierung sei, sich mit Für und Wider der Haushalts- und Rettungspolitik zu befassen. Allerdings werde die Gefahr einer Integration (oder Nichtintegration) durch Richterhand und das damit verbundene Risiko eines innerdeutschen Demokratiedefizits auch in Karlsruhe erkannt; das Gericht bemühe sich zumindest verbal durchaus um Zurückhaltung gegenüber den Entscheidungsträgern. Jedoch habe sich das Gericht etwa im Wahlrecht und in seinen Entscheidungen über die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Kommunal- wie im Europawahlrecht auf eine "heikle Bahn begeben". Es sei problematisch, gezielt in ein gewachsenes und breit legitimiertes System einzugreifen, das in jüngster Zeit ganz ohne Karlsruher Hilfe so unterschiedliche Parteien wie die Piraten oder die Alternative für Deutschland hervorgebracht habe.
Elektronische Fußfessel: In Baden-Württemberg soll der Modellversuch der elektronischen Fußfessel für Freigänger und ausgewählte Straftäter nach Meldung von lto.de nicht weiterverfolgt werden. Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) begründete das Aus für das von der schwarz-gelben Vorgängerregierung initiierte Projekt damit, dass sich während des gesamten Zeitraums des Modellversuchs nur ein einziger Gefangener gefunden habe, der dafür geeignet gewesen sei.
Promillegrenzen für Radfahrer: In der Debatte um die Herabsetzung der Promillegrenze für alkoholisierte Radfahrer plädiert Rechtsprofessor Dieter Müller auf lto.de für eine gesetzlich fixierte Promillegrenze. Darüber hinaus solle der Gesetzgeber auch das Radfahren unter Drogeneinfluss, insbesondere aufgrund von Cannabiskonsum verbieten. Bislang habe die Polizei in solchen Fällen nur bei äußerlich erkennbaren Anzeichen die Möglichkeit, von Radfahrern eine Blutprobe zu nehmen.
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NSU-Verfahren – Arbeitsbedingungen der Presse: Das Oberlandesgericht München geht laut lto.de hinsichtlich der Arbeitsbedingungen von Journalisten bei der Prozessberichterstattung in die "Charmeoffensive". So soll eine Verstärkung der Lüftungsanlage Abhilfe für die warme und stickige Luft auf der Zuschauer- und Journalistenempore schaffen. Zudem sollen im "Sicherheitsbereich", in dem sich die Journalisten in den Sitzungspausen aufhalten, Tische, Stühle und ein Kaffeeautomat aufgestellt werden.
Durchsuchungen bei mutmaßlichen Linksextremen: Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwoch im Rahmen von Ermittlungen gegen die "Revolutionären Aktionszellen", die eine Nachfolgeorganisation der "militanten gruppe" sein sollen, 21 Objekte in Berlin, Magdeburg und Stuttgart durchsuchen lassen. Wie die taz (Sebastian Erb, Konrad Lischko) sowie die FR (Ursula Knapp) berichten, werden der Vereinigung im Zeitraum 2009 bis 2011 verschiedene Anschläge in Berlin, etwa auf ein Amtsgericht und ein Jobcenter vorgeworfen. Außerdem bekannten sich die Aktionszellen dazu, Pistolenpatronen an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und den ehemaligen Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum verschickt zu haben. Bereits 2010 hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen. lawblog.de (Udo Vetter) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ermittlungen im Fall der "militanten gruppe" meist an die örtlichen Staatsanwaltschaften zurückgegeben werden mussten, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hatte, dass die Gruppe keine kriminelle Vereinigung ist, welche die Existenz des Staates ernsthaft bedroht.
Christian Rath (taz) fragt sich angesichts des Zeitpunkts der Durchsuchungen einen Tag, bevor die "Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus" ihren Abschlussbericht vorlegt, ob damit etwa die Botschaft gesetzt werden soll: "Vergesst die Linken nicht!" Ob wirklich gegen Verdächtige ermittelt wurde oder ob nur relativ wahllos linke Wohnungen und Zentren ausgeforscht wurden, wie die Betroffenen kritisieren, werde wohl erst die spätere Überprüfung beim 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zeigen.
BVerwG zu Unterhaltsvorschuss: blog.beck.de (Hans-Otto Burschel) bespricht ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) im Fall einer anonymen Samenspende grundsätzlich nicht besteht. So liege dem UVG die Konzeption zugrunde, dass Unterhaltsleistungen als Vorschuss geleistet und von dem säumigen Unterhaltspflichtigen zurückgefordert werden. Die Gewährung von Unterhalt als Ausfallleistung, wenn ein Rückgriff auf den anderen Elternteil nicht möglich ist, soll die Ausnahme sein. Ein Anspruch auf Unterhalt bestehe daher nicht, wenn der alleinerziehende Elternteil bewusst von vornherein die Feststellung des unterhaltspflichtigen anderen Elternteils vereitelt. Dies sei bei einer anonymen Samenspende der Fall.
LG Stendal zu zähneziehendem Zahnarzt: Nach Berichten von lto.de und spiegel.de hat das Landgericht Stendal einen Zahnarzt wegen Körperverletzung zu 14 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und zugleich ein zweijähriges Berufsverbot verhängt. Der Mann hatte einer Patientin unter Vollnarkose elf Zähne gezogen, obwohl sie nur mit maximal vier entfernten Zähnen habe rechnen müssen.
AG Fritzlar zu Homeschooling: Das Amtsgericht Fritzlar hat ein strenggläubiges Elternpaar zu einer Geldstrafe von 700 Euro verurteilt, weil es sich weigert, seine Kinder in die Schule zu schicken und sie stattdessen zu Hause unterrichtet. Dies verstößt gegen das Schulgesetz des Landes Hessen. Das Paar war bereits zuvor zweimal zu Geldstrafen verurteilt worden. spiegel.de berichtet.
Anklage gegen Polizisten: Nachdem die Staatsanwaltschaft München I im Fall der 23-jährigen Teresa Z. Anklage gegen einen Polizeibeamten wegen Körperverletzung im Amt erhoben hat, kritisiert deren Anwalt nach Meldung der SZ (Susi Wimmer) nun die Staatsanwaltschaft. So basiere die Anklage nur "auf den überwiegend synchronen Einlassungen der Polizeibeamten"; die Aussage von Teresa Z. finde dagegen keine Erwähnung.
Datev-Studie zur Anwaltssituation: Rechtsanwalt Martin W. Huff fasst auf lto.de die wesentlichen Inhalte der Datev-Studie zur Situation der Anwaltschaft, ihren Erwartungen und Einschätzungen für das Jahr 2013 zusammen. Insgesamt sehe die Anwaltschaft im Vergleich zu den Vorjahren ihre wirtschaftliche Situation eher skeptisch. Auffallend sei ferner, dass zwar weiterhin die Spezialisierung als wichtigste Erfolgschance begriffen werde, der Titel des Fachanwalts dabei aber anscheinend an Bedeutung verloren habe. Ursache hierfür könne sein, dass viele Rechtsgebiete nicht mehr von Fachanwaltschaften abgedeckt seien.
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Frankreich – Christine Lagarde: Gegen die IWF-Chefin Christine Lagarde wird nach Meldung der FAZ (Christian Schubert) unter Umständen ein förmliches Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung öffentlicher Mittel eingeleitet. Ihr wird vorgeworfen, als Finanzministerin 2008 dem Unternehmer Bernard Tapie eine Entschädigung von 400 Millionen Euro zugeschustert zu haben. Das Handelsblatt (Thomas Hanke) schildert die Details des Falls.
Frankreich – "Rasse" im Recht: Die Rechtswissenschaftler Emilia Roig und Cengiz Barskanmaz befassen sich auf verfassungsblog.de mit einem Gesetzentwurf in Frankreich, der zum Ziel hat, das Wort "Rasse" aus den französischen Gesetzestexten zu tilgen. Der Gesetzentwurf ist letzte Woche von der Assemblée Nationale verabschiedet worden. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte hat sich bereits 2009 gegen die Verwendung des Begriffs in der Gesetzgebung ausgesprochen.
Guatemala – Ex-Diktator Rios Montt: Guatemalas Verfassungsgericht hat die Verurteilung des ehemaligen Diktators Efrain Rios Montt wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund von Verfahrensfehlern aufgehoben. Dennoch sei die Verurteilung Rios Montts ein historisches Ereignis in der Geschichte der Menschenrechte, findet die Politikwissenschaftlerin Sabine Kurtenbach in einen Gastbeitrag für die SZ: Zum ersten Mal hab ein nationales Gericht einen ehemaligen Regierungschef im eigenen Land wegen Völkermordes verurteilt.
Italien – Costa Concordia: Nach Meldung der FAZ (Jörg Bremer) beginnt am 9. Juli der Prozess gegen den Kapitän des im Januar 2012 verunglückten Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia, Francesco Schettino, wegen fahrlässiger Tötung am Gericht von Grosseto. Schettino wird vorgeworfen, das Schiff unverantwortlich nah an die Küste gesteuert zu haben, um der Insel Giglio einen traditionellen Seemannsgruß zu entrichten. Außerdem soll er das Schiff vor der Rettung aller Personen an Bord verlassen haben.
Kroatien – Verbot von Sexualkundeunterricht: Wie spiegel.de berichtet, hat das kroatische Verfassungsgericht Sexualkundeunterricht an Schulen verboten. Die Unterrichtsmaterialien missachteten das Grundrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder. Der Staat müsse die Inhalte überarbeiten. Das Fach war erst im Januar eingeführt worden, und hatte vor allem den Unmut der katholischen Kirche erregt.
Sonstiges
Interview mit Verfassungsschutzpräsident: Die Zeit (Mariam Lau, Yassin Musharbash, Zusammenfassung auf zeit.de) führt ein Interview mit Hans-Georg Maaßen, der seit 2012 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ist. Maaßen rechnet damit, dass aufgrund des kommenden Wahlkampfs Gewaltakte von Links- und Rechtsextremisten gegen die etablierten Parteien zunehmen. Auch Drohbotschaften von islamistischen Extremisten gegen die Bundesregierung und deutsche Politiker werde es dieses Jahr wieder geben.
Das Letzte zum Schluss
Unleserliche Anwaltsunterschrift: Eine Unterschrift aus zwei bogenförmigen Strichen reicht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht als anwaltliche Unterschrift unter einem Schriftsatz aus. Damit bestätigte der Gerichtshof eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg, das die Berufung einer Anwältin aus diesem Grund als unwirksam verworfen hatte. Allerdings konnte die Anwältin nachweisen, dass bisher noch kein Gericht ihre Unterschrift beanstandet hatte, auch die mit dem Fall befassten Richter am Oberlandesgericht Nürnberg nicht. Daher urteilte der Bundesgerichtshof, dass die Anwältin davon ausgehen konnte, dass ihre Unterschrift den gesetzlichen Anforderungen genügt; die Richter hätten erst einen entsprechenden Hinweis geben müssen. lawblog.de (Udo Vetter) schildert die Einzelheiten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Mai 2013: Mehr Macht für den Generalbundesanwalt – Kaffee für Journalisten - Bogenförmige Striche unterm Schriftsatz . In: Legal Tribune Online, 23.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8784/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag