Das VG Köln bestätigte die Einstufung der AfD-Jugendorganisation als "gesichert rechtsextremistisch". Kronzeuge Oliver Bellenhaus kam im Wirecard-Prozess aus der U-Haft frei. US-Berufungsgericht lehnte Immunität für Donald Trump ab.
Thema des Tages
VG Köln zu JA-Einstufung: Die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative darf bis auf weiteres vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht Köln in einem Eilverfahren. Es billigte damit die Einstufung des Bundesamts für Verfassungsschutz vom April 2023 und lehnte Eilanträge der JA und der AfD ab. Im März 2022 hatte das VG Köln bereits die Einstufung der JA als Verdachtsfall im Hauptsacheverfahren gebilligt. Seither hätten sich die tatsächlichen Anhaltspunkte zur Gewissheit verdichtet, so das VG. Für die Verfassungsfeindlichkeit der JA spreche ihr völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff, ihre ausländer- und islamfeindliche Hetze, die Gleichsetzung der BRD mit einer Diktatur und die engen Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen wie der Identitären Bewegung. Es berichten FAZ (Friederike Haupt), spiegel.de (Stefan Schulz/Wolf Wiedmann-Schmidt) und LTO. tagesschau.de (Kolja Schwartz) erläutert zudem, dass die JA als Verein von der Bundesinnenministerin verboten werden könnte, während ein Verbot der AfD als Partei nur vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden könnte.
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Überwachung der JA durch den Verfassungsschutz und warnt zugleich konservative Parteien, nun alle Positionen zu räumen, die auch von der JA vertreten werden. Viele JA-Positionen, etwa zum Schutz des eigenen Landes, seien nicht verfassungsfeindlich, sondern verfassungsrechtlich geboten. "Das nationale Dasein und Handeln einer vielfältigen Demokratie sollte man sich weder von Rassisten kaputtmachen lassen noch von denen, die alles Konservative für extremistisch halten. (...) Gegen Extremisten muss man aufstehen, nicht gegen Patrioten."
Rechtspolitik
Vergewaltigung: Sexuelle und häusliche Gewalt sollen EU-weit einheitlich schärfer geahndet werden. Darauf einigten sich EU-Ministerrat und EU-Parlament. Es fehlt jedoch die ursprünglich geplante einheitliche Definition der Vergewaltigung im Sinne des Prinzips "nur ja heißt ja". Staaten wie Deutschland und Frankreich sahen hierfür keine EU-Kompetenz. Es berichten spiegel.de und zeit.de.
Kindesmissbrauch: Die EU-Kommission will eine Richtlinie von 2011 gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern verschärfen. U.a. soll es EU-weit als Anstiftung zum Kindesmissbrauch strafbar sein, wenn Täter:innen auf Dritte (z.B. auf den Philippinen) einwirken, damit diese dort im Livestream ein Kind missbrauchen. Die FAZ (Thomas Gutschker) berichtet.
Lieferketten und Menschenrechte: Nachdem die FDP alle Kompromissvorschläge abgelehnt hat, wird sich Deutschland bei der Abstimmung über die geplante EU-Lieferketten-Richtlinie am Freitag im EU-Ausschuss der Ständigen Vertreter enthalten. Damit droht das Projekt endgültig zu scheitern. Es berichtet sz.de (Michael Bauchmüller/Georg Ismar).
Umwelt- und Menschenrechtsverbände wie WWF und Germanwatch kritisierten laut spiegel.de die Entwicklung. Wirtschaftsverbände lobten die FDP.
In einem offenen Brief auf dem Verfassungsblog forderten 53 Wissenschaftler:innen diverser Fachrichtungen, darunter die Rechtsprofessor:innen Anne Sanders und Markus Krajewski, die Bundesregierung zur Zustimmung zur EU-Lieferketten-Richtlinie auf. Hannes Koch (taz) weist darauf hin, dass die FDP einen Standortnachteil der deutschen Wirtschaft verursache. "Kommt die EU-Richtlinie nicht, stehen deutsche Firmen mit dem bereits bestehenden hiesigen Lieferkettengesetz alleine da. Sie müssen die nationalen Regeln erfüllen, während ihre Konkurrenten in vielen Ländern nicht dazu verpflichtet sind." Auf beck-aktuell fordert Astrid Gamisch, Anwältin und BRAK-Geschäftsführerin, in der Richtlinie müsse unbedingt klargestellt werden, dass sie die Beziehung von Anwält:innen zu ihren Mandant:innen nicht beeinträchtigen darf. Anwält:innen dürften nicht zur Überwachung instrumentalisiert werden.
Fahrverbot: Ein Entzug der Fahrerlaubnis in einem EU-Staat soll künftig EU-weit gelten. Einem entsprechenden Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission stimmte jetzt das Europäische Parlament zu. Der Ministerrat hat seinen Standpunkt noch nicht festgelegt. Bisher galt ein Führerschein-Entzug, der im Urlaubsland ausgesprochen wurde, nur dort, nicht aber im Heimatland. Dies soll geändert werden. spiegel.de berichtet.
Medikamente: Um den aktuellen Engpass bei der Versorgung mit Medikamenten zu beenden, sprechen sich die Anwälte Michael Nieder und Felix Letzelter in der FAZ für einen Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission aus, der die Anordung von Zwangslizenzen für den Verkauf in EU-Staaten vorsieht. Die Autoren schlagen aber einen höheren Lizenzsatz als 4 Prozent vor, um Innovationsanreize nicht abzuwürgen.
Streik: Nun berichtet auch die SZ (Benedikt Peters) über die Diskussion zur Einführung begrenzender Regelungen für Streiks in Branchen der Infrastruktur.
Bürokratieabbau / Vergaberecht: Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich laut LTO in einem Brief an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erkundigt, welche Informationspflichten für die Wirtschaft Habeck abschaffen will, um Bürokratie abzubauen. Außerdem will Buschmann wissen, wann Habeck den angekündigten Gesetzentwurf zum Vergaberecht vorlegen will, mit dem Vergabeverfahren künftig schneller und mit weniger Bürokratieaufwand durchgeführt werden können.
Resilienz des BVerfG: Nun befasst sich auch der SWR-RadioReportRecht (Klaus Hempel) mit den Vorschlägen zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Zu Wort kommen dabei DAV-Vizepräsident Ulrich Karpenstein und Ex-Verfassungsrichter Michael Eichberger.
Beförderungen im BMJ: Der Personalrat des Bundesjustizministeriums hat in einem Schreiben an alle Mitarbeiter:innen den Verdacht geäußert, dass die Beurteilungsregeln bei der jüngsten Beförderung von 13 BMJ-Beamt:innen nicht eingehalten wurden. Darüber berichtet table (Helene Bubrowski). Es sollen insbesondere FDP-nahe Personen profitiert haben.
Justiz
LG München I - Ex-Wirecard-Chef Braun: Unmittelbar vor dem hundertsten Verhandlungstag wurde der mitangeklagte Kronzeuge Oliver Bellenhaus nach dreieinhalb Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Landgericht München I kam "unter Berücksichtigung der bisherigen Haftdauer, der geständigen Einlassung des Angeklagten und seinen Schadenswiedergutmachungsbemühungen" zum Schluss, dass sich die Flucht- und Verdunkelungsgefahr soweit verringert hat, dass eine Haftentlassung unter Auflagen vertretbar ist. Nun sitzt nur noch der Hauptangeklagte Markus Braun in U-Haft. Es berichten SZ (Stephan Radomsky), HBl (Rene Bender), spiegel.de (Martin Hesse) und LTO.
BAG - Massenentlassungen: Nachdem der EuGH im Juni 2023 auf Vorlage des 6. BAG-Senats entschied, dass die EU-Vorgaben für die Anzeige von Massenentlassungen bei der Arbeitsagentur keine drittschützende Wirkung haben, hat Anfang Februar 2024 der 2. BAG-Senat eine neue EuGH-Vorlage zu diesem Thema beschlossen. Er will wissen, ob die Entlassungssperre nur bei ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige abläuft und ob der Arbeitgeber, der anzeigepflichtige Kündigungen ohne (ordnungsgemäße) Massenentlassungsanzeige ausgesprochen hat, eine solche nachholen kann. Rechtsprofessorin Lena Rudkowski informiert in der FAZ über die Vorlage.
OLG Köln zu Kohl-Zitaten: Der Ghostwriter Heribert Schwan darf zahlreiche Passagen seines Enthüllungsbuchs "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" nicht mehr verbreiten. Dies entschied das Oberlandesgericht Köln, das eine "stillschweigend begründete auftragsähnliche Rechtsbeziehung" zwischen Kohl und seinem Memoirenschreiber Schwan annahm und aus dieser eine "umfassende Verschwiegenheitspflicht" Schwans ableitete. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), beck-aktuell und LTO.
LG Berlin I zu Abou-Chaker/Bushido: Nach dem weitgehenden Freispruch für Arafat Abou-Chaker portraitiert die SZ (Verena Mayer) Oberstaatsanwältin Petra Leister, die die Anklage vertreten hatte. Die Leiterin der OK-Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft habe sich auf die kriminellen Mitglieder von Großfamilien und ihre Vermögensverhältnisse spezialisiert. Sie überlege jetzt, Rechtsmittel einzulegen.
LG Bonn – Cum-Ex/Varengold Bank: Vor dem Landgericht Bonn hat der Strafprozess gegen Yasin Sebastian Qureshi, den Mitgründer der Hamburger Varengold Bank, wegen Cum-Ex-Manipulationen begonnen. Zunächst wurde die Anklage verlesen. In der nächsten Woche will sich Qureshi erstmals zu den Vorwürfen äußern. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und Hbl (Volker Votsmeier ua.).
VG Gießen zu Corona-Quarantäne: Die während der Corona-Pandemie erfolgte Quarantäne-Anordnung gegen einen Friedberger Schüler war laut Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen rechtswidrig. Der Schüler hatte sich zwar in einem Klassenraum mit einer infizierten Mitschülerin befunden. Allerdings seien durchgängig die Fenster geöffnet gewesen und der Schüler habe großen Abstand zu den Mitschüler:innen eingehalten sowie eine FFP1-Maske getragen. spiegel.de berichtet.
Suizidversuch am LG Flensburg: Nachdem das Landgericht Flensburg einen Somalier wegen Totschlags an einem Landsmann zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilte, schluckte dieser im Gerichtssaal eine Rasierklinge und musste mit starken Blutungen ins Krankenhaus gebracht werden. Das Gericht setzte die Urteilsbegründung ohne den Angeklagten fort. bild.de (Anja Wieberneit) berichtet.
BSG-Jahres-PK: Bei der Jahrespressekonferenz des Bundessozialgerichts warnte BSG-Präsident Reiner Schlegel davor, Video-Verhandlungen verbindlich vorzuschreiben. Oft ergäben sich in der mündlichen Verhandlung im Saal überraschende Erkenntnisse. Es war Schlegels letzte Jahres-PK, er geht in wenigen Wochen in den Ruhestand. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO (Tanja Podolski).
Recht in der Welt
USA - Trump/Immunität: Im Washingtoner Verfahren wegen des Vorwurfs der Verschwörung zum Wahlbetrug steht Ex-US-Präsident Donald Trump keine Immunität zu. Dies entschied ein Berufungsgericht, das die erstinstanzliche Entscheidung bestätigte und Trumps Rechtsmittel ablehnte. Es wird vermutet, dass Trump diese zentrale Frage aller Prozesse gegen ihn nun zum US-Supreme Court bringen wird. Es berichten spiegel.de und beck-aktuell.
Schweden - Anschlag auf Gas-Pipeline: Die Stockholmer Staatsanwaltschaft wird in den kommenden Tagen das Ermittlungsverfahren wegen grober Sabotage im Zusammenhang mit dem 2022 erfolgten Anschlag auf die Nord Stream-Gaspipeline einstellen. Dies soll keine negativen Auswirkungen auf das parallele Ermittlungsverfahren beim deutschen Generalbundesanwalt haben. Die SZ (Florian Flade u.a.) berichtet.
Juristische Ausbildung
elektronisches Staatsexamen: Das erste Staatsexamen kann nun auch in Nordrhein-Westfalen und in Thüringen in elektronischer Form geschrieben werden, berichtet LTO-Karriere.
BVerwG zu Täuschungsversuch im Staatsexamen: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte ein Urteil des OVG Köln, wonach ein Jura-Student die erste Staatsprüfung trotz eines eventuellen Täuschungsversuchs bestanden hat. Dem Student war vorgeworfen worden, dass sein Zwillingsbruder die Klausuren geschrieben habe. Ein Schriftgutachten ergab jedoch, dass weder der Prüfling noch der Bruder die Klausuren verfasst hatten. Dies hielt das OVG für nicht plausibel, weshalb ein Täuschungsversuch als nicht bewiesen galt. berichtet.
Sonstiges
Grundrechtsverwirkung von Björn Höcke: Rechtsprofessor Mathias Hong beschäftigt sich auf dem Verfassungsblog im ersten von drei Teilen einer Serie zur wehrhaften Demokratie sehr ausführlich mit möglichen Grundrechtsverwirkungen von AfD-Politiker:innen wie Björn Höcke. Er kommt zum Schluss: "Beim Bundesverfassungsgericht sollte so rasch wie möglich eine Grundrechtsverwirkung mit Ausschluss von Wählbarkeit und Amtsfähigkeit für verfassungsfeindliche Führungspersonen der AfD beantragt werden."
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 7. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53821 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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