Libyen geht in rechtlich fragwürdiger Weise gegen Seenotrettungs-Organisationen vor. Außerdem in der Presseschau: Jugendlicher zu Lektüre verurteilt und die AfD will im römischen Recht die Grundlage des Rechtsstaats erkennen.
Thema des Tages
Mittelmeer – Seenotrettung: Nachdem die libysche Regierung internationale Gewässer zur "Search and Rescue"-Zone erklärt und Hilfsorganisationen aufgefordert hat, diese nicht mehr anzusteuern, haben inzwischen drei Organisationen ihren Rückzug von der Seenotrettung angekündigt. Laut dem Seerechtsexperten Alexander Proelß, mit dem spiegel.de (Peter Maxwill) gesprochen hat, verstößt die libysche Führung damit gegen Völkerrecht. Außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone gelte prinzipiell die Freiheit der Schifffahrt. Die Verdrängung von Rettungsschiffen aus internationalen Gewässern habe mit "Search and Rescue" nichts zu tun.
Jasper von Altenbockum (FAZ) wirft den Hilfsorganisationen vor, das Geschäft der Schlepper zu betreiben, die noch mehr Geld eintreiben könnten, weil sie wüssten, dass auf hoher See "geliefert" werde. Um glaubwürdiger als die Nichtregierungsorganisationen zu sein, müssten die europäischen Regierungen einen Verteilungsmechanismus in der EU und menschenwürdige Zustände in libyschen Auffanglagern erreichen. Christian Jakob (taz) vermutet hinter dem Vorgehen der libyschen Regierung europäisches Kalkül. Da die Führung Libyens keiner Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig sei, könne sie machen, was der EU bislang schwerfiel.
Rechtspolitik
Datenaustausch mit USA: Laut einem Bericht von netzpolitik.org (Matthias Monroy) wollen sich europäische Polizeibehörden an der Operation "Gallant Phoenix" unter Führung des US-Militärs beteiligen und dabei Informationen zu "ausländischen Kämpfern" in Syrien erhalten. Auch die Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes sei im Gespräch, obwohl das Bundeskriminalamt sich aus einem Vorläuferprojekt wegen rechtlicher Bedenken zurückgezogen habe.
Arbeitnehmermitbestimmung: Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer vertritt in einem Gastbeitrag für das Hbl die Ansicht, dass es in Deutschland eher zu viel als zu wenig Mitbestimmung gebe. Kritische Stimmen seien aus Vorstandskreisen kaum zu vernehmen, weil sie vom paritätisch besetzten Aufsichtsrat abhängig seien. Daher sollten Entscheidungen über Bezüge, Bestellung und Abberufung von Vorständen von der Mitbestimmung ausgenommen sein. Die von der SPD geforderte Ausweitung der Mitbestimmung auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform mit Sitz in Deutschland verstoße gegen EU-Recht.
Migrationspolitik: Das Hbl (Frank Specht) vergleicht die Positionen der verschiedenen Parteien zur Migrationspolitik. Während sich die Aussagen von SPD und Union in vielen Fragen ähnelten, bestünden große Differenzen zwischen den Oppositionsparteien. Die AfD wolle das Asylrecht abschaffen und sehe Deutschland nicht als Einwanderungsland; die Linke wolle hingegen die Grenzen für alle Zuwanderer öffnen. Erwähnt wird auch ein Plädoyer der Rechtsprofessoren Jürgen Bast und Thomas Groß, die sich dafür aussprechen, Einwanderung nicht nur als Frage des Zugangs, sondern auch des dauerhaften "Dazu-Gehörens" zu begreifen.
Justiz
OLG Dresden zu Anti-Nazi-Demo: Das Oberlandesgericht Dresden hat den Freispruch für Tim H. bestätigt, dem vorgeworfen worden war, bei einer Anti-Nazi-Demonstration in Dresden 2011 zum Durchbrechen einer Polizeiabsperrung aufgerufen und Beamte beleidigt zu haben. In einem ersten Verfahren war der Mitarbeiter der Linkspartei wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Die taz (Michael Bartsch) und spiegel.de berichten über den Ausgang des Verfahrens.
LG Krefeld zu Colonia-Dignidad-Arzt: Das Urteil gegen den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, kann in Deutschland vollstreckt werden. Das hat das Landgericht Krefeld laut spiegel.de (Martin Knobbe) entschieden. Hopp war 2004 in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung in mehreren Fällen zu fünf Jahren und einem Tag Gefängnis verurteilt worden und anschließend nach Deutschland geflohen. Laut dem Landgericht entsprach das Verfahren in Chile rechtsstaatlichen Standards.
AG München zu Lesen als Strafe: Das Amtsgericht München hat einen 19-Jährigen zu 20 Stunden Lesen verurteilt. Der Heranwachsende hatte sein Nummernschild wiederholt in einem zu flachen Winkel am Motorrad angebracht, so dass es schlecht zu erkennen war. Die "Leseweisung" und wie sie umgesetzt wird, beschreiben lawblog.de (Udo Vetter) und lto.de.
EuGH zu Fristen im Dublin-Verfahren: Der Rechtswissenschaftler Paul McDonough analysiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu den Fristen im Dublin-Verfahren von Juli diesen Jahres. Der Gerichtshof habe zwei wichtige Regeln aufgestellt: Erstens könnten sich Asylbewerber vor Gericht auf den Ablauf der Fristen berufen, zweitens beginne die erste dreimonatige Frist zu laufen, wenn die zuständige Behörde ein Dokument zur Kenntnis nimmt, aus dem hervorgeht, dass der Asylbewerber um internationalen Schutz nachsucht.
BFH zu Männerverein: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) befasst sich jetzt auch mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs, in dem festgestellt wurde, dass eine Freimaurerloge nicht gemeinnützig ist, weil sie keine Frauen aufnimmt. Dies hat Fragen nach der künftigen Behandlung von anderen Organisationen, wie Burschenschaften und Schützenbruderschaften, aufgeworfen. In dem Beitrag kommt auch Rechtsanwalt Stefan Winheller zu Wort, der die Aufregung für aufgebauscht hält. Wenn es einen sachlichen Grund für den Ausschluss eines Geschlechts gebe oder der Verein nach außen wirke, sei nicht mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit zu rechnen.
Asylklagen vor Verwaltungsgerichten: Die Verwaltungsgerichte erleben derzeit einen erheblichen Anstieg der Klagen gegen Asylbescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Anzahl der Klagen werde sich in diesem Jahr voraussichtlich auf 200.000 verdoppeln. lto.de lässt den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, zu Wort kommen, der eine Änderung des Rechtsmittelrechts vorschlägt, um umstrittene Fragen schneller vom Bundesverwaltungsgericht klären zu lassen. Die FAZ (Reiner Burger) hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf besucht, an dem insbesondere die Zahl der Klagen von Syrern, die eine Flüchtlingsanerkennung begehren, zugenommen hat. Dessen Präsident Andreas Heusch bemängelt auch eine mangelhafte Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen, wie zuletzt im Fall der Familie Bivsi, die nach einer Abschiebung wieder einreisen durfte.
Recht in der Welt
USA – Rechter Terror: Nach dem rechtsextremen Gewaltausbruch in Charlottesville und Kritik an Donald Trumps zurückhaltenden Äußerungen hat US-Vizepräsident Mike Pence die Vorfälle mit deutlichen Worten verurteilt. "Wir haben keine Toleranz für Hass und Gewalt von Vertretern der weißen Vorherrschaft, von Neonazis oder dem Ku-Klux-Klan", sagte Pence laut zeit.de. Heiko Maas (SPD), Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, warf Donald Trump "halbherziges Lavieren" vor. Wer nicht klare Haltung zeige, müsse sich vorhalten lassen, Neonazis zu ermutigen, wird Maas von lto.de zitiert.
Reinhard Müller (FAZ) meint, dass nach den bisherigen Informationen die amerikanische Definition von "heimischem" Terror nicht besonders fern liege. Im liberalen Ausland wundere man sich, warum gewalttätige rechtsextreme Gruppen noch nicht verboten seien.
USA – Sanctuary Cities: Die Stadt San Francisco wehrt sich gegen die restriktive Einwanderungspolitik der Bundesregierung. Weil die Stadt sich dazu bekennt, alle Einwohner unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu schützen, und Kooperation mit Einwanderungsbehörden ablehnt, will die Bundesregierung ihr Bundesgelder verweigern. Die Stadt hält dieses Vorgehen für verfassungswidrig und verklagt nun das Justizministerium, so spiegel.de.
Luxemburg – Weltraumgesetz: Ein neues luxemburgisches Gesetz regelt den Abbau von Rohstoffen im Weltraum. Experten und Unternehmen sehen im Bergbau im All ein enormes Potenzial, wie die taz (Tanya Falenczyk) schreibt. Martha Mejia-Kaiser, Mitglied im Aufsichtsrat des International Institute of Space Law (IISL), warnt hingegen vor Nebenwirkungen, um die sich einzelne Unternehmen und Staaten nicht kümmerten. Notwendig sei daher ihrer Ansicht nach eine internationale Koordination, etwa durch einen Verband vergleichbar mit der internationalen Fernmeldeunion. Der bisherige Weltraumvertrag regelt nicht den Abbau von Rohstoffen. Der Mondvertrag wurde nur von 17 Staaten ratifiziert.
Juristische Ausbildung
Reform der Juristenausbildung: Rechtsprofessor Georgios Gounalakis gibt auf lto.de in ironischem Tonfall Argumente wieder, mit denen an der derzeitigen Juristenausbildung festgehalten werde. Statt die Ausbildung zu straffen, die Einheit von Lehre und Prüfung herzustellen und die Internationalisierung des Rechts zu berücksichtigen, laute die Devise "weiter so": "Der Jurist von heute braucht auch künftig die Juristenausbildung von gestern für eine moderne, digitale und internationale Welt von morgen."
Sonstiges
Römisches Recht im Programm der AfD: Laut dem Wahlprogramm der Alternative für Deutschland speist sich die deutsche Leitkultur unter anderem aus dem "römischen Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt". Der wissenschaftliche Mitarbeiter Lars Iking legt in der FAZ dar, dass dem römischen Recht Prinzipien wie die Rechtsbindung staatlicher Gewalt, Grund- und Menschenrechte oder Gewaltenteilung in allen Phasen fremd waren. Dass es trotzdem Eingang in das AfD-Programm gefunden habe, könne entweder ein Flüchtigkeitsfehler gewesen sein oder auf einen Gegenentwurf zum modernen Rechtsstaat hindeuten.
Das Letzte zum Schluss
Knöllchen für Knöllchen-Jäger: Das ging nach hinten los: Statt Verkehrssünder einer Ordnungswidrigkeit zu überführen, muss ein als "Knöllchen-Horst" bekannt gewordener Mann jetzt selbst ein Bußgeld zahlen. Der Rentner, der in den vergangenen Jahren ca. 50.000 Verkehrsordnungswidrigkeiten zur Anzeige gebracht hat, hat gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen, indem er sein Fahrzeug Kameras ausgestattet und damit personenbezogene Daten ohne Einwilligung oder gesetzliche Grundlage erhoben hat. Dies bestätigte das Amtsgericht Hannover, worauf verkehrsrecht.gfu.com (Alexander Gratz) hinweist.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. August 2017: Libyen gegen Seenotretter / Lesen als Sanktion / Römisches Recht im AfD-Programm . In: Legal Tribune Online, 15.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23947/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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