Wegen Völkermordes an 450 Tutsi hat das OLG Frankfurt einen ruandischen Bürgermeister verurteilt. Außerdem in der Presseschau: Nahles will Sozialhilfe für EU-Ausländer neu regeln, Unionspolitiker wollen die Bundeswehr im Inneren einsetzen.
Thema des Tages
OLG Frankfurt verurteilt Onesphore R. wegen Völkermordes: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat Onesphore R. wegen Mittäterschaft am Völkermord an mindestens 450 Tutsi zu lebenslanger Haft bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt. Zuvor entschied der Bundesgerichtshof in der Revision, dass der Tatvorwurf eine Verurteilung wegen Mittäterschaft am Völkermord deckt – sie setzt die Absicht voraus, eine Volksgruppe "als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Das OLG hatte den damaligen Bürgermeister einer ruandischen Gemeinde 2014 zunächst lediglich wegen Beihilfe zum Völkermord verurteilt. R. hatte das Massaker mit befohlen. Er war der deutschen Justiz zugeführt worden, nachdem er in Deutschland 2002 Asyl beantragt hatte. Es informieren die taz (Dominic Johnson), lto.de und die FAZ.
In einem gesonderten Kommentar begrüßt Dominic Johnson (taz) das Urteil: "Gerade jetzt, wo das UN-Völkermordtribunal zu Ruanda nach zwanzig Jahren seine Tore schließt und deswegen flüchtige Völkermordverdächtige nur noch vor nationalen Gerichtsbarkeiten angeklagt werden können, ist es wichtig, dass auch in einem fernen Land wie Deutschland die mörderische Logik des ruandischen Genozids anerkannt wird."
Rechtspolitik
Sozialhilfeleistungen für EU-Ausländer: Die Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will es EU-Ausländern schwerer machen, Sozialhilfeleistungen zu erhalten. Damit reagiert sie auf Grundsatzurteile des Bundessozialgerichtes von Anfang Dezember, die EU-Ausländern den Zugang zur Sozialhilfe eröffneten. Nahles will mit ihrem Vorstoß vor allem Zusatzbelastungen von Kommunen verhindern. Man wolle aber zunächst die Urteilsgründe abwarten, so die FAZ (Andreas Mihm). Die BadZ (Christian Rath) mutmaßt, Nahles werde vorschlagen, die für Hartz IV geltende Ausschlussklausel in der Sozialhilfe zu übernehmen.
Bundeswehr im Innern: Unionspolitiker fordern laut der Rheinischen Post eine Grundgesetzänderung zur Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren. Danach sei nichts dagegen einzuwenden, die Bundeswehr zum Schutz von Flüchtlingsheimen oder Gebäuden in Innenstädten einzusetzen.
Urheberrecht und E-Books-AGB: Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) will über eine Bundesratsinitiative einen kundenfreundlicheren gesetzlichen Rahmen für den E-Book-Handel anstoßen. Das meldet lto.de. Der Handel soll das Verschenken oder Weiterverkaufen per AGB nicht mehr verbieten können.
Awacs-Einsatz: Die SZ (Heribert Prantl) widmet sich auch heute dem Awacs-Einsatz der Bundeswehr über der Türkei – und beklagt, die Große Koalition missachte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Beitrag stellt auch das BVerfG-Urteil von 1994 zu Auslandseinsätzen als Grundlage des Parlamentsbeteiligungsgesetzes von 2005 vor. Auch der Tsp (Jost Müller-Neuhof) fasst die Rechtslage zusammen.
Justiz
BVerfG – NPD-Verbot: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will, dass sich Bundesregierung und Bundestag dem vor dem Bundesverfassungsgericht 2013 vom Bundesrat gestellten NPD-Verbotsantrag anschließen. Die Mehrheit des Parlaments und der Regierung sei aber dagegen – unter anderem, weil sich das Verfahren verzögern könnte, berichtet die SZ (Stefan Braun/Daniela Kuhr).
Beim gescheiterten Verbotsverfahren 2003 habe der Großauftritt auch nicht geholfen, meint Heribert Prantl (SZ). Schlösse sich die Regierung jetzt an, sei dies von rein symbolischer Bedeutung. Schlecht sei nur, wenn die Regierung eigene Anträge vorlegt, weil sich das Verfahren dann verzögern würde.
OLG Frankfurt – zweiter Staatsschutzsenat: Mit drei zusätzlichen Richtern und einem zweiten Staatsschutzsenat reagiert das Oberlandesgericht Frankfurt auf die steigende Zahl der Verfahren gegen Extremisten, berichtet lto.de.
OLG München – NSU-Prozess: Die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm bestreiten, Druck auf Beate Zschäpe ausgeübt zu haben, um zu verhindern, dass sie im Prozess aussagt. Das geht laut lto.de aus einem Schreiben der drei Anwälte an das Oberlandesgericht München hervor.
Strafanzeige gegen Pegida: Der Grünen-Politiker Volker Beck hat nach einem Mordaufruf gegen ihn auf einer Facebook-Seite Strafanzeige gegen "Pegida" und ihre Sympathisanten gestellt, wie unter anderem zeit.de meldet. Unter einem Beitrag über ihn hätten sich in Kommentaren 35 Morddrohungen befunden.
Strafanzeige gegen Höcke: Die Justiz prüft eine Anzeige gegen den AfD-Politiker Björn Höcke wegen Volksverhetzung nach seiner Rede zu Geburtenraten von Afrikanern und Europäern. Christian Rath (taz.de) sieht darin eher "dummdreiste Theorien" als volksverhetzende Inhalte. Jedoch: Eine implizite Gewaltdrohung und damit rechtlich strafrelevante Äußerung könne durchaus darin liegen, dass Höcke die AfD als "letzte friedliche Chance" für Deutschland bezeichnet.
StA Braunschweig – VW-Skandal: Die Rechtswissenschaftler Christian Brand und Dominik Hotz stellen in der FAZ die rechtlichen Hürden einer möglichen Betrugsanklage in der VW-Abgasaffäre dar: Mitarbeiter müssten den merkmalsreichen Straftatbestand verwirklicht haben, denn eine Strafbarkeit juristischer Personen ist nicht denkbar; ein Vermögensschaden ließe sich womöglich nur schwer konkret beziffern.
AG Berlin-Spandau zu Fernabsatzverträgen: Wer gegenüber dem Wohnungsvermieter einer Mieterhöhung zustimmt, kann diese Erklärung nicht mit dem Argument widerrufen, es handele sich um einen Fernabsatzvertrag. Das hat das Amtsgericht Berlin-Spandau im Oktober entschieden; lawblog.de weist auf das Urteil hin.
StA Bochum – Leistungen für Flüchtlinge: Ein Mitarbeiter der Stadt Bochum soll Flüchtlingen gegen Geld oder Sachleistungen Wohnungen vermittelt haben. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit bzw. Vorteilsannahme, meldet welt.de.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Reinhard Veser (FAZ) reiht die Neuordnung des polnischen Verfassungsgerichts in eine Geschichte von Demontagen rechtsstaatlicher Grundsätze bei osteuropäischen EU-Mitgliedern ein, und benennt in diesem Zusammenhang Ungarn und Rumänien. Schließlich: "Vor allem war Polen in den vergangenen Jahren eine der Stützen der von einer Krise in die andere taumelnden EU – und hat deshalb nun ein umso größeres Potential, sie in Schwierigkeiten zu stürzen."
Israel – Olmert muss ins Gefängnis: Israels Ex-Premier Ehud Olmert muss wegen Korruptionsvorwürfen für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Das meldet spiegel.de.
Türkei – Gezi-Proteste: Ein Istanbuler Gericht hat 35 türkische Fußballfans vom Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten 2013 mangels Beweisen freigesprochen, informiert die taz. Den "Ultras" des Vereins Carsi hatte die Anklage vorgeworfen, ihre Demonstration zur Stürzung der Regierung zu nutzen.
Amsterdam – Anne Frank-Tagebücher: Texte aus den Tagebüchern von Anne Frank dürfen nach einem Amsterdamer Gerichtsurteil für wissenschaftliche Zwecke kopiert und veröffentlicht werden. Die Freiheit der Wissenschaft habe Vorrang vor dem Urheberrecht, so das Urteil. Der Schweizer Anne Frank-Fonds scheiterte damit, ein Verbot einer wissenschaftlichen Gesamtausgabe zu erwirken. Das meldet die taz.
Frankreich – Verfassungsänderung: Die taz (Rudolf Balmer) schildert einige Polizeiaktionen seit der Verhängung des Notstandes in Frankreich. Angesichts einer "fragwürdigen Bilanz" wirft sie einen kritischen Blick auf die französischen Pläne, den Notstand in die Verfassung aufzunehmen.
USA – Erschossener Junge: Der amerikanische Polizist, der in Ohio im November 2014 einen zwölf Jahre alten schwarzen Jungen erschoss, muss keine strafrechtlichen Folgen befürchten. Eine Grand Jury aus Laienrichtern in Cleveland hat sich gegen eine Anklage entschieden. Der Junge hatte mit einer Spielzeugpistole hantiert, der Polizist sei von einer echten Waffe ausgegangen. Das berichtet die FAZ.
Saudi-Arabien – Ashraf Fayadh: Ilija Trojanow (taz) plädiert dafür, dem in Saudi-Arabien wegen Apostasie (Abfall vom Islam) zum Tode verurteilten Dichter Ashraf Fayadh mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Juristische Ausbildung
Gekaufte Klausuren in Niedersachsen: lto.de berichtet über zwei Klagen von Referendaren am Verwaltungsgericht Lüneburg, die im Skandal um gekaufte Jura-Klausuren in Niedersachsen gegen ihre eigene Bewertung vorgehen wollen. Sie wollen ihre Klausuren wiederholen, weil sie im Gegensatz zu anderen Prüflingen die Ergebnisse auf ehrliche Weise erlangt hätten und sich so in ihrer Chancengleichheit verletzt sehen. Ein Eilantrag auf Wiederholung der Prüfung sei bereits erfolgreich gewesen.
Sonstiges
Twitter: Über die rechtlichen Fallstricke beim Tweeten, Retweeten und Favorisieren klärt Rechtsanwalt Georg Lecheler bei lto.de auf. Mit dem Äußerungsrecht seien dort Strafrecht, Persönlichkeitsrecht und Urheberrecht einschlägig; auch internationale Sachverhalte sind denkbar.
Das Letzte zum Schluss
Schnapspralinen: Oma schenkt ihrem elfjährigen Enkel Pralinen zu Weihnachten, aus Versehen mit Schnaps. Mama geht zur Polizei und zeigt Oma an – statt den Sachverhalt familienintern zu klären, wie es die Polizei Niederbayern (Pressemitteilung) meldet. Der Junge konnte die Pralinen noch ausspucken, und: "Die Oma hatte das Unrecht ihres Verhaltens eingesehen und zeigte nach den mahnenden Worten des Polizisten die nötige Reue."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. Dezember 2015: Urteil wegen Völkermordes in Ruanda – Sozialhilfeleistungen für EU-Ausländer – Gemeinsamer NPD-Verbotsantrag . In: Legal Tribune Online, 30.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18002/ (abgerufen am: 20.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag