Schuldig, aber straflos: Ein französisches Sondergericht urteilt gegen Christine Lagarde. Außerdem in der Presseschau: das BVerwG verhandelt erneut zur Elbvertiefung, Frauke Petry obsiegt zum Teil und ein bisschen Frieden in Brandenburg.
Thema des Tages
Christine Lagarde: Wegen "Fahrlässigkeit im Amt" hat der Gerichtshof der Republik Frankreich (Cour de justice de la République) Christine Lagarde verurteilt, gleichzeitig aber auf die Verhängung einer Strafe verzichtet. Als Finanzministerin des Landes hätte die heutige Chefin des IWF 2008 Einspruch gegen die Entscheidung eines Schiedsgerichts, durch die dem Geschäftsmann Bernard Tapie eine Entschädigung von mehreren Hundert Millionen Euro zugesprochen wurde, einlegen müssen, fasst die SZ (Claus Hulverscheidt/Christian Wernicke) die Argumentation des Gerichts zusammen. Eine Prüfung der Schiedsentscheidung hätte Manipulationen offengelegt. Ihr gegenwärtiges Amt wolle Lagarde nach den Worten ihrer Anwälte weiterführen. Weitere Berichte zur Entscheidung bringen taz (Rudolf Balmer), Hbl (Thomas Hanke) und zeit.de (Annika Joeres). Ein Porträt der Verurteilten bringt die taz (Rudolf Balmer).
Michaela Wiegel (FAZ) fragt in einem Kommentar, ob sich der IWF angesichts seiner "immensen Herausforderungen" eine Generaldirektorin leisten könne, die der Fahrlässigkeit "für schuldig gesprochen wurde" und die auch vor Gericht "eine schwache Figur" gemacht habe. Dagegen meint Cerstin Gammelin (SZ), dass Europa "gut beraten" sei, "Lagarde zu stützen". In einem durch die Präsidentenwahl in den USA verstärkt konservativen Polit-Milieu sei sie schließlich "die einzige liberale Europäerin", die in Washington "westliche Werte" verteidigen könne.
Rechtspolitik
Fake News: Helene Bubrowski (FAZ) bezeichnet im Leitartikel ihrer Zeitung Forderungen zur Schaffung eines neuen Straftatbestandes gegen die Verbreitung sogenannter Fake News als "wenig weitsichtig". Einerseits sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit "derart großzügig", dass der Gedanke komme, persönliche Ehre sei "ein überkommendes Konzept". Andererseits verbiete das Grundgesetz eine Zensur "aus guten Gründen". Dennoch müssten soziale Netzwerke stärker in die Pflicht genommen werden, um gegen auch nach geltendem Recht strafbare Inhalte vorzugehen. Ähnlich argumentiert Jost Müller-Neuhof (Tsp) in einem Kommentar. In "der Millionenwelt der sozialen Netzwerke" mangele es an der durchaus möglichen strafrechtlichen Sanktionierung von Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung oder der Durchsetzung zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche. Hier sei rechtspolitisch anzusetzen.
Musterklagen: Das Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage befindet sich gegenwärtig in der Referentenentwurfsphase. Den Entwurf unterzieht Richter Benedikt Windau auf lto.de einer kritischen Analyse. Nach dem bisherigen Planungsstand soll das Gesetz wegen noch zu erbringender technischer Vorarbeiten erst zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten. VW-Käufer dürften damit von der Neuregelung nicht profitieren.
Mindeststeuersatz für Unternehmen: Nach Informationen der SZ (Cerstin Gammelin) sind mehrere Bundesländer nun bereit, die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen zu vereinheitlichen. Ein derartiger Vorstoß solle den Weg für einen EU-weiten Mindeststeuersatz ebnen.
Arzneimittel: Das Hbl (Peter Thelen) berichtet über anhaltende Kritik an dem von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgelegten Gesetzentwurf zum Verbot eines Versandhandels mit Arzneimitteln. Diese werde nicht nur vom Koalitionspartner geäußert, auch innerhalb des Ministeriums bestünden rechtliche Bedenken.
Justizsenator: Die taz-Berlin (Plutonia Plarre/Bert Schulz) interviewt Dirk Behrendt (Grüne), den neuen Berliner Justizsenator. Der frühere Richter stellt Vorhaben in den von ihm betreuten Bereichen Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung vor.
Justiz
BVerfG zu Armenien-Resolution: Nach Meldung der SZ hat das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss die Verfassungsbeschwerden mehrerer türkischer Staatsbürger gegen die im vergangenen Juni verabschiedete Armenien-Resolution des Bundestags nicht zur Entscheidung angenommen. Die zum Teil in Deutschland lebenden Beschwerdeführer hätten eine Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt. Eine solche Verletzung sei zudem auch nicht ersichtlich.
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: community.beck (Christian Rolfs) meldet zur Terminplanung des Bundesverfassungsgerichts, dass die mündliche Verhandlung im Verfahren zu Verfassungsbeschwerden mehrerer Gewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz für den 24. und 25. Januar 2017 angesetzt wurde.
BVerwG – Elbvertiefung: Am Bundesverwaltungsgericht hat die mündliche Verhandlung zur Zulässigkeit der geplanten Elbvertiefung begonnen. Für den morgigen Mittwoch werde die Bestimmung eines Verkündungstermins erwartet, schreibt die FAZ (Carsten Germis). Dieser dürfte im Januar oder Februar liegen. Christoph Kapalschinski (Hbl) kommentiert, dass die klagenden Umweltverbände bereits "etliche Nachbesserungen im Detail erreicht" hätten. Eine grundsätzliche Entscheidung gegen die Maßnahme würde jedoch "Investitionsentscheidungen weit über die Hafenwirtschaft hinaus" negativ beeinflussen und sowohl den Standort Hamburg als "das gesamte Exportland Deutschland" nachhaltig beschädigen.
KG Berlin – Immobilienfonds: Das Kammergericht hat in der vergangenen Woche eine Berliner Kanzlei als Vertretung in einem Kapitalanlegermusterverfahren gegen die Deutsche Bank und die Commerzbank ausgewählt. In dem Verfahren sollen mögliche Ersatzansprüche für Anleger einer mit Verlust verkauften Fondsimmobilie in London geprüft werden, erläutert das Hbl (Reiner Reichel).
OVG Rheinland-Pfalz zu Syrern: Am vergangenen Freitag entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, dass allein die Flucht aus Syrien, ohne besondere individuelle Umstände, keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter begründe. Hiermit wurde die Auffassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bestätigt, schreibt lto.de in einem Beitrag, der auch die weitere Rechtsprechung zum Thema referiert.
OLG Köln zu Faktencheck: Das von Journalistenschülern betriebene Projekt "Faktenzoom" darf die AfD-Chefin Frauke Petry nicht mehr als Spitzenreiterin einer "Pinocchio-Liste" darstellen. Einzelne Aussagen, die der Politikerin zugeschrieben wurden, seien von ihr überhaupt nicht getroffen worden, das erstellte Ranking damit hinfällig, fasst lto.de die in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln zusammen. Die fraglichen Äußerungen gibt der Medien-Blog uebermedien.de (Stefan Niggemeier) wieder. Ob die zum Teil unterlegene Journalisten-Schule ein Hauptsacheverfahren anstrengen wolle, werde bislang noch geprüft.
LG Bochum – Werner Mauss: Im Steuerstrafverfahren gegen Werner Mauss hat der Angeklagte nach Bericht der SZ (Ralf Wiegand) dem Landgericht Bochum mitgeteilt, gut acht Millionen Euro bei einem Finanzamt zur Sicherheit hinterlegt zu haben. Daneben habe er unter von ihm geführten Tarnidentitäten auch zwei E-Mails an den Vorsitzenden Richter geschickt. Auf belastbare Belege der von Mauss vorgebrachten Erklärungen für das ihm zugeschriebene unversteuerte Vermögen warteten die Prozessbeteiligten, einschließlich seiner Verteidigung, indes vergeblich.
LG Köln – Madeleine Schickedanz: Nach Meldung der FAZ (Christine Scharrenbroich) hat das Landgericht Köln seinen für den heutigen Dienstag terminierten Verkündungstermin im Schadensersatzverfahren von Madeleine Schickedanz unter anderem gegen ihre frühere Hausbank Sal. Oppenheim auf den 17. Januar verlegt. Es werde erwartet, dass die verbleibende Zeit für eine vergleichsweise Einigung genutzt wird, nach der sich die Klägerin mit einem "mittleren zweistelligen Millionenbetrag zufriedengeben" werde.
LG Aachen zu Porno-Unternehmer: Wegen Hinterziehung von knapp 700.000 Euro Steuern hat das Landgericht Aachen einen als "Porno-König" bekannt gewordenen ehemaligen Sexseitenbetreiber zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Welt (Florian Flade/Lars-Marten Nagel) geht vertieft auf die früheren Geschäftsaktivitäten des Verurteilten ein und erwähnt auch Berichte, nach denen er durch Zahlung einer Auflage in Millionenhöhe Ermittlungen in einem weiteren Steuerstrafverfahren entgangen sein soll.
LG Hamburg im Fall Tayler: Wegen der Tötung seines damals 13 Monate alten Stiefsohns Tayler hat das Landgericht Hamburg einen Mann zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilte hatte bis zuletzt bestritten, das Kleinkind zu Tode geschüttelt zu haben. Gutachterliche Feststellungen hätten für das Gericht jedoch das Gegenteil belegt. Es berichten unter anderem zeit.de (Elke Spanner) und SZ (Thomas Hahn).
ArbG Berlin zu Polizist: Im Vergleichswege hat das Arbeitsgericht Berlin eine Auseinandersetzung zwischen einem LKA-Beamten und dessen Dienstherren beendet. Die vom Kläger beantragte Löschung einer Abmahnung wegen eines Redebeitrags auf einer Pegida-Veranstaltung finde nach der Einigung nicht sofort, sondern in anderthalb Jahren statt, berichtet die taz-Berlin (Erik Peter).
Recht in der Welt
EuGH – Steuerbeihilfen: Im beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren zu mutmaßlich rechtswidrigen Steuerbeihilfen zugunsten des Apple-Konzerns hat die beklagte irische Regierung beantragt, die Entscheidung von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu Steuernachzahlungen aufzuheben. Begründet wurde dies mit der Behauptung, die Kommission habe nationale Bestimmungen "missverstanden", schreibt das Hbl (Till Hoppe/Kerstin Leitel). In einem Statement habe die Kommission den Vorwurf zurückgewiesen. Auch die FAZ (Werner Mussler) stellt die steuerrechtliche Problematik sowie die Ankündigung Apples, selbst gegen die Nachzahlung vorgehen zu wollen, dar.
Polen – Verfassungsgericht: Ein Beitrag der SZ (Florian Hassel) befasst sich mit der Tätigkeit des polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Entgegen der Ankündigung bei seinem Amtsantritt, überparteilich agieren zu wollen, habe er sich bislang als "getreuer Parteigänger" der Regierungspartei PiS erwiesen und auch den Gesetzen zur Einschränkung der Vollmacht des Verfassungsgerichts seine Unterschrift nicht verweigert. Am morgigen Mittwoch werde sich die EU-Kommission mit der Situation in Polen beschäftigen, hierbei sei auch der Entzug des Stimmrechts denkbar. Eine ausführliche Analyse der Krise des Verfassungsgerichts im Nachbarland liefert Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz auf verfassungsblog.de in englischer Sprache.
Sonstiges
Deutsche Umwelthilfe: Die SZ (Stefan Mayr) porträtiert Jürgen Resch, den Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Der "Detektiv des Verbraucherschutzes" schrecke zur Durchsetzung der Anliegen des von ihm geleiteten Vereins, auch nicht vor "skandalisierender" Öffentlichkeitsarbeit zurück. Kritik zu möglichen Interessenkonflikten durch Entgegennahme von Unternehmensspenden kann Resch nichts abgewinnen.
Stephan Holthoff-Pförtner: Die FAZ (Jan Hauser, Zusammenfassung auf faz.net) interviewt Rechtsanwalt Stephan Holthoff-Pförtner in seiner Eigenschaft als neuer Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger zu Skandalberichterstattung, möglichen Interessenkonflikten durch sein parallel ausgeübtes Amt als Schatzmeister der nordrhein-westfälischen CDU und Bedrohungen für die Pressefreiheit.
Das Letzte zum Schluss
Steuerfrieden: Besinnliches zur Weihnachtszeit gibt das Brandenburgische Finanzministerium nach Meldung der taz-Berlin bekannt: Vom heutigen Dienstag bis zum 30. Dezember würden Finanzämter des Landes auf Vollstreckungsmaßnahmen verzichten. Gearbeitet würde aber trotzdem, beispielsweise durch Zustellung von Mahnbescheiden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2016: Lagarde veruteilt / Elbvertiefung am BVerwG / Frauke Petry und Fakten . In: Legal Tribune Online, 20.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21520/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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