Ein Schmerzensgeldprozess soll das Strafrecht ersetzen. Außerdem in der Presseschau: Pflegefamilien bekommen nicht mehr Rechte, schlechte Gitarrenklänge begründen Urheberrechtsverstoß und der rechtsfreie Raum des Darknet.
Thema des Tages
Keine Wiederaufnahme im Strafverfahren: Kann ein Zivilprozess eine Lücke im Strafprozessrecht füllen oder wenigstens deutlich auf sie aufmerksam machen? Wenn ein Angeklagter einmal rechtskräftig freigesprochen ist und neue Beweise vorliegen, kann das Verfahren nach der Strafprozessordnung trotzdem nicht wieder ausgenommen werden. Der Fall einer seinerzeit 17-Jährigen, die Anfang der 80er Jahre vergewaltigt und ermordet wurde, gibt wieder Anlass für die Diskussion, ob nicht wenigstens bei neuen Beweisen durch neue technische Methoden etwas anderes gelten sollte. Es liegt mittlerweile eine DNA-Analyse zu dem Fall vor, die eine Übereinstimmung mit einem seinerzeit Freigesprochenen ergibt. Der Vater der Toten will nun zivilrechtlich Schmerzensgeld einklagen, um wenigstens eine Verurteilung zu erreichen. Am kommenden Mittwoch wird vor dem Landgericht Lüneburg verhandelt, aber der Schmerzensgeldanspruch könnte bereits an der Verjährung scheitern. Beginnt sie mit der Tat, ist die 30-jährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen. Der Kläger wird argumentieren, dass sie erst mit der Kenntnis von der übereinstimmenden DNA-Analyse zu laufen beginnt. Es berichten ausführlich WamS (Christine Kensche) und Montags-SZ (Hans Holzhaider).
Rechtspolitik
Pflegefamilien: Nach zweijähriger Prüfung hat Bundesjustizminister Maas entschieden, keine Änderungen der Rechte von Dauerpflegeeltern vorzunehmen, berichtet der Spiegel (Ann-Katrin Müller). Bundesfamilienministerin Schwesig wollte mit der Reform erreichen, dass Pflegefamilien die Vormundschaft übertragen bekommen solange ein Gericht nicht anders entscheidet. Verschiedene Verbände und Experten fordern eine Reform bis hin zu einem dauerhaften Bleiberecht der Kinder nach sechs Monaten oder einem Jahr.
Selbstfahrende Autos: Generalbundesanwalt a.D. und Präsident des Verkehrsgerichtstages Kay Nehm schreibt auf lto.de zu auto-mobilem Fahren, was das Recht diesbezüglich bereits erfassen kann und inwiefern es neuer Regeln bedarf. Die Frage nach der Entscheidung zwischen Unfällen mit mehr oder weniger Opfern, sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Flugzeug-Abschuss rechtlich nicht regelbar. Die offen bleibende ethische Konfliktlage sei jedoch kein Grund automatisiertes Fahren generell abzulehnen.
Begrenzte Kanzlerschaft: Wie spiegel.de (heb) meldet, hat sich Wolfgang Clement (ehemals SPD) für eine Begrenzung der Kanzlerschaft auf zwei Legislaturperioden ausgesprochen.
Asylbewerberleistungen: Vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils über Asylbewerberleistungen als menschenwürdiges Existenzminimum kritisieren unter anderem Christian Bommarius (BerlZ) und Daniel Bax (Montags-taz) den Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Leistungen an Asylbewerber zu senken oder Sachleistungen statt Geld auszugeben – dazu auch zeit.de und Montags-taz (Daniel Bax). Heribert Prantl (Montags-SZ) schreibt: "Die Würde des Menschen steht nicht unter dem Vorbehalt, 'es sei denn, es sind zu viele Menschen'."
Burka-Verbot: Aaron Rhodes (zeit.de) meint: "Ein Gesetz, das Frauen verbietet, Burkas zu tragen, ist mit den Menschenrechten genauso unvereinbar wie ein Gesetz, das sie zwingt, Burkas zu tragen." Fällen unfreiwilligen Tragens bestimmter Bekleidung müsse und könne mit bestehenden Regeln entgegengetreten werden. Das Burkatragen mit dem Argument des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte generell zu verbieten, weil es "unsozial" sei, schaffe einen Präzedenzfall für Grundrechtseingriffe, weil die Freiheitsausübung jemand anderem "nicht gefällt".
Justiz
BVerfG zu Zeugen Jehovas: Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, zur Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Zeugen Jehovas in Bremen, befasst sich in einem ausführlichen Artikel nun auch Rechtswissenschaftler Thomas Traub auf lto.de. Die FAS (Mona Jaeger) beschreibt die Geschichte der Anerkennung der Zeugen Jehovas in anderen Bundesländern und was eine Anerkennung im gesamten Bundesgebiet bedeutet.
BGH zu Widerruf bei Heizöl: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass auch bei Fernabsatzverträgen über Heizöl das 14-tägige Widerrufsrecht besteht. Die bisher von der Rechtsprechung angenommene Ausnahme, wegen des schwankenden Heizölpreises, auf den die Händler keinen Einfluss haben, verneinte der BGH. Der Erwerb von Heizöl durch Verbraucher weise keinen "spekulativen Kern" auf. Es berichten Spiegel (Dietmar Hipp - spiegel.de-Zusammenfassung) und lto.de. Im Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp) spricht Klaus Bergmann – Geschäftsführer von esyoil.com – über die sich nun ergebenden Möglichkeiten für Heizölkunden und Risiken für Händler.
OVG Bln-Bbg zu Notunterkunft: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat den Bezirk Schöneberg-Tempelhof in Berlin verpflichtet, einer obdachlosen Rumänin und ihren zwei Kindern eine Notunterkunft zuzuweisen. Die Frau sei als Unionsbürgerin rechtmäßig in Deutschland und können nicht zur Beseitigung der Obdachlosigkeit auf eine Heimreise nach Rumänien verwiesen werden. Es berichtet die Montags-taz (Peter Nowak).
OVG Bln-Bbg – Körperwelten: Das Eilverfahren gegen das Verbot der Berliner Ausstellung des Plastinators Gunther von Hagen war im März in zweiter Instanz zugunsten des Museums ausgegangen. Wie die Samstags-taz meldet, soll das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Dezember nun auch im Hauptsacheverfahren darüber entscheiden, ob die Ausstellung wegen Verstoßes gegen das Bestattungsgesetz verboten werden darf.
KG Berlin – Zugentführung: Im Fall der ICE-Entführung durch einen jungen Mann, ist das Verfahren an das Kammergericht abgegeben worden, meldet die Samstags-taz. Der Mann habe die Tat bei der Verhandlung vor dem Staatsschutzsenat am vergangenen Freitag verteidigt, berichtet die Samstags-FAZ. Er gab an, er habe mit der Entführung den Bundespräsidenten, die Kanzlerin und den Außenminister zur Verurteilung der Anerkennung Palästinas durch Großbritannien zwingen wollen, weil er sich Israel emotional eng verbunden fühle.
OLG Düsseldorf zu Rechtsschutzversicherung: Wie die Montags-Welt meldet, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, dass Rechtsschutzversicherer Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Glücksspiel vom Vertrag ausschließen können. Es liege weder eine unangemessene Benachteiligung noch eine überraschende Klausel vor.
OLG Hamburg zu Youtube und GEMA: Am 1. Juli hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg entschieden, dass jedes Video eine von Youtube zu unterbindende Urheberrechtsverletzung darstellt, das ein geschütztes Werk enthält – auch wenn es 14 Sekunden (schlecht) selbst gespielte Gitarrenklänge in einem halbstündigen Urlaubsvideo sind. Rechtsmittel sind bereits eingelegt. Es berichtet blog.beck.de (Thomas Hoeren).
LG Mannheim – Zuckerkartell: Wegen des Zuckerkartells hat Nestlé laut Samstags-Welt Klage beim Landgericht Mannheim eingereicht. Das Unternehmen fordere von Südzucker, Nordzucker und Pfeifer& Langen insgesamt 50 Millionen Euro Schadensersatz.
AG München zu Tritt gegen falsch geparktes Auto: Wer vorsätzlich gegen ein falsch geparktes Auto tritt, muss für den Schaden vollumfänglich haften, entschied das Amtsgericht München im Mai, wie lto.de berichtet. Wenn der Schaden nicht durch den Versuch, vorbei zu kommen, entstanden sei, liege trotz des verursachten Ärgers kein Mitverschulden des Falschparkers vor.
StA München – NSU-Zeugen: Wegen mutmaßlicher uneidlicher Falschaussage im NSU-Prozess hat die Staatsanwaltschaft München Vorermittlungen in fünf Fällen aufgenommen, meldet die Samstags-FAZ. Für die Bewertung der Aussagen wolle die Staatsanwaltschaft jedoch das Urteil des Oberlandesgerichts München im NSU-Prozess abwarten.
StA Stuttgart – Porsche-Verfahren: Zur Einstellung des Verfahrens wegen Marktmanipulation gegen den gesamten ehemaligen Aufsichtsrat hat sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart laut Samstags-Welt noch nicht geäußert. Für den heutigen Montag sei jedoch eine Pressemitteilung angekündigt. Gegen den ehemaligen Pressesprecher von Porsche sei jedoch Anklage erhoben worden, berichtet die Samstags-FAZ (Joachim Jahn). Ob diese noch im laufenden Porsche-Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt werde, sei noch nicht bekannt.
StA Aachen zu SEK Mobbing: Die Staatsanwaltschaft Aachen hat laut Focus (Frank Lehmkuhl/Axel Spilcker) hinsichtlich der Mobbing-Vorwürfe in einer SEK-Einheit kein strafrechtlich relevantes Verhalten feststellen können und das Verfahren eingestellt.
LG Ravensburg – bekömmliches Bier? Die am Donnerstag zu verhandelnde Frage, ob Bier als "bekömmlich" beworben werden darf, stellt die FAS (Thomas Klemm) nun ausführlicher in den Zusammenhang anderer Gerichtsentscheidungen, nach denen der Begriff nicht für alkoholhaltige Getränke verwendet werden durfte. Für Bier sei bisher kein derartiger Rechtsstreit bekannt.
Asylklagen: Eine steigende Zahl von Klagen gegen abgelehnte Asylanträge belastet laut spiegel.de und Montags-taz die Verwaltungsgerichte und verlängert die Verfahrensdauer.
Recht in der Welt
Saudi Arabien – Badawi: Wie die Samstags-FAZ meldet, wird das Oberste Gericht Saudi Arabiens den Fall Badawi überprüfen. Seine Familie sehe die Chance einer Strafmilderung.
Russland – Soldatentode in Friedenszeiten: Die Klage gegen den Kremlerlass, der die Geheimhaltung von Soldatentoden in Friedenszeiten sichert, hat der Oberste Gerichtshof in Russland am vergangenen Donnerstag abgewiesen. Das meldet die Samstags-FAZ.
USA – Libor-Skandal: Wie die Samstags-FAZ (Marcus Theurer/Markus Frühauf) berichtet, beteiligte sich die Deutsche Bank nicht an dem wegen Libor-Manipulationen in den USA geschlossenen Vergleich. Die Bank gehe davon aus, in einem Gerichtsverfahren weniger zahlen zu müssen.
Ägypten – Mursi: Muhammad Mursi hat beim Obersten Gerichtshof Ägyptens Rechtsmittel gegen sein Todesurteil eingelegt, melden spiegel.de und Montags-taz.
Sonstiges
Braunkohlereserve: Ab 2017 sollen schadstoffreiche Braunkohlekraftwerke abgeschaltet, aber für mögliche Zeiten des Strommangels in Reserve gehalten werden. Dafür sollen die Betreiber Gelder bekommen, die laut eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aber unionsrechtswidrige Subventionen an die Energieunternehmen darstellen könnten. Es berichtet die Samstags-taz (Hannes Koch).
Vermietung an Touristen: Die Juristin und Geschäftsführerin bei "Mieter helfen Mieter" Silvia Sonnemann legt in der Samstags-taz Nord kurz dar, welche engen Grenzen der Vermietung von Wohnungen an Touristen gesetzt sind.
Erasmus/Markenrecht: Die nach Erasmus von Rotterdam benannte Stiftung der AfD könnte Probleme mit der EU-Kommission bekommen. Wie der Spiegel (Ann-Katrin Müller) meldet, sieht Bildungskommissar Tibor Navracsics ein Vorgehen der Kommission gegen die Stiftung als möglich. Sollte die Stiftung wie geplant Stipendien an Studenten vergeben, bestehe Verwechslungsgefahr mit dem Erasmus-Programm der EU.
Erschossener Hund: Aufgrund der großen Welle der Empörung die der Erschießung eines nicht angeleinten Hundes durch einen Berliner Polizisten folgte, stellt lawblog.de (Udo Vetter) den rechtlichen Rahmen dar, in dem sich der Fall bewegt.
Darknet: Anknüpfend an "Silk Road" und den Internet-Handel mit Drogen, den ein Heranwachsender – "Shiny" – in Leipzig aufzog, beschäftigt sich der Spiegel (Manfred Dworschak/Steffen Winter) mit dem sogenannten Darknet. Ein Ort für kriminelle Machenschaften aber auch die Zuflucht von Dissidenten – anonym, rechtsfrei und doch mit eigenen Regeln.
Disziplinierung von Bundesanwälten: Laut Focus (Josef Hufelschulte) hat Bundesjustizminister Maas in vertraulicher Runde die Disziplinierung von Bundesanwälten erörtert. Insbesondere eine Personalversammlung der Bundesanwaltschaft, in der Range gelobt und die Weigerung des Bundeskriminalamtes, Informationen an die Bundesanwaltschaft weiterzugeben, kritisiert worden sei, habe Anlass dazu gegeben. Laut Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) – in einem Artikel zum Wissen des Kanzleramtschefs Altmeier um die Maaßen-Anzeige – dementierte ein Sprecher des Justizministers Pläne zu Disziplinarmaßnahmen.
"Netzpolitik.org"-Affäre: Die WamS (Thorsten Jungholt/Uwe Müller) schreibt über die Definition eines Staatsgeheimnisses und die Gutachten in der "Netzpolitik.org"-Affäre, von denen das einzige echte gestoppt wurde. Dazu äußert sich auch Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel), die Geheimhaltung der Gutachten sei ein "Witz". Auch Jörg Diehl (spiegel.de) meint, sie sei eines Rechtsstaates nicht würdig. Konstantin von Notz vertritt im Handelsblatt die Ansicht, Geheimnisse seien zwar nötig, zu viel geheim zu halten sei jedoch gefährlich für den Rechtsstaat.
Europäisches Erbrecht: Seit dem heutigen Montag gilt die EU-Erbrechtsverordnung, die regelt, welches Erbrecht gilt: das des gewöhnlichen Aufenthaltsorts. Probleme könnten sich zwar aus Sprachbarrieren ergeben, aber das anzuwendende Erbrechts kann im Testament unabhängig vom Aufenthaltsort festgelegt werden. Es berichtet das Handelsblatt (Katharina Schneider).
Menschenrechte und Weltrecht: Der emeritierte Philosophieprofessor Otfried Höffe begründet in der Montags-FAZ in einem ausführlichen Artikel, warum er den Einwand, die Einforderung von Menschenrechten weltweit sei westlicher Kulturimperialismus, für falsch hält und zeigt auf, dass es eine in allen großen Kulturen der Welt vorhandene gemeinsame Grundlage für ein Weltrecht gibt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. - 17. August 2015: Burka-Verbot menschenrechtswidrig – 14 Sekunden reichen der GEMA – Vermietung an Touristen . In: Legal Tribune Online, 17.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16620/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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