ArbG Berlin hält Neutralitätsgesetz nicht für verfassungswidrig. Außerdem in der Presseschau: Unionsrechtswidrige Beschränkungen freien WLANs, gestopftes Schlupfloch für Erbschaftsteuer und elektronisches Anwaltspostfach kommt im September.
Thema des Tages
ArbG Berlin zu Kopftuch: Weil sie Kopftuch trägt, wurde eine Frau nicht als Grundschullehrerin eingestellt und klagte vor dem Arbeitsgericht Berlin auf Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Das Gericht wies die Klage ab, da die Nichteinstellung durch das Berliner Neutralitätsgesetz gedeckt gewesen sei. Das Gesetz sei nicht verfassungswidrig, trotz des letzten Kopftuchbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht bezog sich auf die Gesetzesbegründung, die von einem besonders hohen Konfliktpotential in Berlin aufgrund der Bevölkerungsstruktur ausgeht. Außerdem behandle das Berliner Gesetz alle Religionen gleich. Die Berufung ist noch möglich, berichte TSp (Jost Müller-Neuhof), FAZ (Helene Bubrowski), SZ (Wolfgang Janisch), lto.de, taz (Susanne Memarnia) und Welt (Sabine Menkens).
Heide Oestreich (taz) fragt, ob es denn religiöse Konflikte lösen könne, wenn man bestimmte Menschen aus der Schule verbanne, denn das Neutralitätsgesetz betreffe faktisch nur muslimische Frauen. Jost Müller-Neuhof (TSp) plädiert für Auseinandersetzung statt Ausschluss im Umgang mit religiösen Konflikten und fordert den vor allem von der Politik.
Rechtspolitik
WLAN-Betreiberhaftung: Nachdem der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof gesetzliche Verpflichtungen zur Beschränkung von WLAN-Zugängen durch die Betreiber als unionsrechtswidrig kritisiert hat, vertreten laut SZ (Guido Bohsem) nun auch Fachleuten aus Justiz-, Wirtschafts- und Innenministerium diese Ansicht. Auch Vorschaltseiten, wie sie der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, sind danach unzulässig.
DatenschutzgrundVO: Das EU-Parlament hat die Datenschutzsgrundverordnung zur Vereinheitlichung des europäischen Datenschutzes angenommen. Einen Überblick zu den Regelungen geben die Rechtsanwälte Tim Wybitul und Wolf-Tassilo Böhm auf lto.de, Welt (Christoph B. Schiltz) und netzpolitik.org (Simon Rebinger). Internetkonzerne dürfen danach etwa Daten nicht mehr ungefragt für andere Zwecke als die ihrer Erhebung verwenden, das Recht auf Vergessenwerden ist in Form eines Löschanspruchs aufgenommen und das Vorgehen gegen Datenschutzverstöße wird erleichtert.
Svenja Bergt (taz) sieht darin einen Schritt in Richtung eines Datenschutzes, der nicht nur als Bremse betrachtet wird.
Fluggastdaten: Das EU-Parlament hat der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten zugestimmt, berichten taz (Christian Rath), netzpolitik.org (Markus Reuter) und SZ (Daniel Brössler). Fluggastdaten werden für fünf Jahre zentral beim Staat gespeichert, um zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerer grenzüberschreitender Kriminalität eingesetzt zu werden. Flugwege von Straftätern sollen nachverfolgt werden und Personen, die sich ähnlich verhalten, markiert der Computer zur näheren Überprüfung.
RL-Geschäftsgeheimnisse: Das EU-Parlament hat der umstrittenen Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zugestimmt, melden netzpolitik.org (Markus Reuter) und taz (Eric Bonse). Rechtsanwalt David Ziegelmayer begründet auf lto.de, warum er die Kritik von Journalisten und Wistleblowern für übertrieben hält.
Marktmanipulation: Laut FAZ (Joachim Jahn) "wollte" der Bundestag am gestrigen Donnerstag ein Gesetzespaket gegen Marktmanipulation endgültig beschließen. Das vom Finanzausschuss bereits abgesegnete Paket zur Umsetzung europäischer Normen enthält unter anderem schärfere Strafen und höhere Unternehmensbußen für Manipulationen, Veröffentlichung von Verstößen im Internet und eine Ausweitung der als Manipulation erfassten Sachverhalte durch eine erweiterte Definition der Insiderinformation.
Integrationsgesetz: Die Bundesregierung hat sich auf Eckpunkte zu einem Integrationsgesetz geeinigt. Es soll eine Pflicht zu Sprachkursen, Beschäftigungs- und Bildungsprogrammen geben und bei Verstößen Sanktionen durch Sozialleistungskürzungen. Arbeitsmarktzugang soll erleichtert werden, durch Lockerung der Vorrangprüfung und des Zeitarbeitsverbots. Für Auszubildende soll es einen Abschiebungsstopp geben. Dazu schreiben FAZ (dc), taz (Daniel Bax/Ulrich Schulte) und HBl (D. Delhaes u.a.).
Heribert Prantl (SZ) kritisiert eine misstrauische Grundhaltung und die Konzentration auf den Arbeitsmarkt als Integrationsort. Daniel Bax (taz) fordert mehr Angebote und weniger Sanktionen.
Terrorismusbekämpfung: Die Koalition hat in einem Positionspapier zahlreiche Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf vereinbart, schreibt die taz (Sabine am Orde/Konrad Litschko). Dazu gehören gemeinsame Dateien von Verfassungsschutz, BND und ausländischen Geheimdiensten, die Suche in Bestandsdaten von Telekommunikationsunternehmen mit unvollständigen Namensteilen, die Registrierung von Prepaid-Handy-Erwerbern und Führungsaufsicht für Terror-Unterstützer.
Konzernhaftung: Den Vorschlag, die Konzernmutter für Kartellrechtsverstöße ihrer Töchter auch ohne eigenes Verschulden haften zu lassen, kritisiert der Bundesverband der Deutschen Industrie laut FAZ (Joachim Jahn). Das sei ein Verstoß gegen das Schuldprinzip und die Regelung sei verfassungswidrig.
Ärztekorruption: Der Bundestag hat das Gesetz gegen Bestechlichkeit im Gesundheitswesen beschlossen, schreibt die SZ (Guido Bohsem). Die als Offizialdelikt ausgestaltete Korruption durch Gefährdung des lauteren Wettbewerbs wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Ein besonderer Schutz von Hinweisgebern wurde nicht aufgenommen.
Sexistische Werbung: lto.de (Constantin van Lijnden) spricht im Interview mit Berit Völzmann, die über Verbotsmöglichkeiten sexistischer Werbung promovierte und das Justizministerium bei dem Entwurf eines entsprechenden Gesetzes beriet.
§ 103 StGB: Die FAZ (Reinhard Müller) befasst sich vor dem Hintergrund von Abschaffungsforderungen mit dem Verbots der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Es stamme aus einer Zeit, als die Beleidigung von Monarchen Kriege entfachen konnte und diene in Fortsetzung dieses Gedankens dem Schutz des zwischenstaatlichen Verkehrs.
Justiz
EuGH zu Steuerschlupfloch: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass das österreichische Bankgeheimnis nicht für dort ansässige deutsche Bankfilialen gegenüber dem deutschen Fiskus gilt. Die Banken müssen daher den deutschen Finanzämtern auch für die Zeit vor Abschluss des Abkommens zum Datenaustausch mit Österreich Auskunft erteilen, wenn ein deutscher Kunde verstirbt. Auf Vorlage des Bundesfinanzhofs ist damit ein Erbschaftsteuerschlupfloch rückwirkend geschlossen, meldet die Welt.
BGH zu D&O-Versicherungen: Nimmt ein Unternehmen einen Manager auf Schadensersatz in Anspruch und tritt der Manager zum Ausgleich seinen Anspruch gegen die D&O-Versicherung an das Unternehmen ab, kann diese die Leistung nicht mit dem Argument verweigern, der Manager habe gar nicht ernstlich in Anspruch genommen werden sollen. Die Ernstlichkeit der Inanspruchnahme sei nicht Tatbestandsmerkmal des Versicherungsfalls bei D&O-Versicherungen, entschied der Bundesgerichtshof, wie lto.de meldet.
OLG Düsseldorf – Reker-Attentat: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf beginnt an diesem Freitag der Prozess gegen Frank S. Die FAZ (Reiner Burger) befasst sich mit dem Angeklagten, den mutmaßlichen Hintergründen der Tat und dem Tathergang, wie ihn die Anklage darstellt.
OLG Celle zu Frederike: Das Oberlandesgericht Celle hat die Berufung des Vaters der 1981 vergewaltigten und getöteten Frederike zurückgewiesen, schreiben lto.de und spiegel.de. Ein eigener Schmerzensgeldanspruch sei nicht hinreichend dargelegt, jedenfalls aber verjährt.
SG Münster – Hartz IV und Haft: Die Pflicht sich in Haft zu begeben, steht einem Anspruch auf SGB II-Leistungen entgegen, entschied das Sozialgericht Münster laut lawblog.de (Udo Vetter). Der Kläger wurde per Haftbefehl gesucht, weil er nicht zum Strafantritt erschienen war, und hatte Hartz IV beantragt. Die Bewilligung ermögliche jedoch, sich der Haft jedenfalls vorübergehend weiterhin zu entziehen und der Mann habe Anspruch auf Verpflegung in Haft, weshalb er nicht bedürftig sei.
LG München I – Deutsche-Bank-Prozess: Die Staatsanwaltschaft hat nach ihrem Plädoyer am Dienstag noch Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf erneute Durchsuchung der Bank eingelegt, meldet das HBl. Unklar sei, ob das Gericht dennoch schon jetzt das Urteil fällen werde.
LG Berlin zu Sicherungsverwahrtem: Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass der 59-jährige Dieter W. nicht in Sicherungsverwahrung verbleiben muss. Die taz (Plutonia Plarre) schreibt über die unerwartete Entlassung, die Sicherungsverwahrung und Dieter W., den seinerzeit "notorischen Bankräuber" genannten, der mit Anfang 50 in der Haft seinen Realschulabschluss nachholte und eine Ausbildung machte.
AG Köln zu Silvesternacht: Das Amtsgericht Köln hat die erste Haftstrafe für eine Tat aus der Silvesternacht verhängt, ein Jahr ohne Bewährung wegen räuberischen Diebstahls, schreiben FAZ und spiegel.de.
StA Stuttgart – Schlecker: Auch lto.de, SZ (Max Hägler) und FAZ (Susanne Preuß) berichten nun zur Anklageerhebung gegen Anton Schlecker, seine Familie und zwei Wirtschaftsprüfer. Vergleichsweise wenig Wirtschaftsexpertise aber Entschlossenheit bescheinigt das HBl (Martin Buchenau) der Chefermittlerin, Oberstaatsanwältin Weik, in einem Kurzportrait. Im Aktuellen Lexikon erklärt die SZ den Unterschied zwischen einer Insolvenz und der Straftat des Bankrott. Die Welt (Michael Gassmann) schreibt über die Millionen-Kosten der Schlecker-Pleite, auf denen der Steuerzahler sitzen bleibt.
Eine Aufarbeitung von Schleckers Geschäftsgebaren hat eine reinigende Wirkung auf die Wirtschaft, meint Marc Beise (SZ) und Susanne Preuß (FAZ) sieht in der Anklage eine Genugtuung für die, die "unter seiner rüden Herrschaft leiden mussten".
beA-Start: bea-abc.de (Ilona Cosack) weist darauf hin, dass die Bundesrechtsanwaltskammer den Start des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs für den 29. September 2016 angekündigt hat. Ab dann ist der Zugriff mit beA-Karte möglich, deren Ausgabe durch die Bundesnotarkammer nun wieder aufgenommen werden solle.
Recht in der Welt
USA – VW: Der US-Anwalt Hausfeld, der auch in Europa Schadensersatz für VW-Kunden erreichen will, ist bei VW mit der Bitte um Akten abgeblitzt. Nun hat er in den USA Akteneinsicht für die europäischen Kunden beantragt, ein Antrag, der nach US-Recht zur Unterstützung ausländischer Rechtsstreitigkeiten möglich ist, berichtet die SZ (Markus Balser/Klaus Ott).
Sonstiges
Böhmermann: Jan Böhmermann hat keine Unterlassungserklärung abgegeben, meldet u.a. spiegel.de. lhr-law.de (Niklas Haberkamm) betrachtet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Frage, ob die Heftigkeit der Schmähungen in Böhmermanns Gedicht bereits Argument genug sein können, um es aus dem Schutz für Satire herausfallen zu lassen.
Für Stefan Kornelius (SZ) ist der Fall Böhmermann eine Lektion in Gewaltenteilung, die Bundesregierung könne die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht berechtigt verweigern.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. April 2016: Kein Kopftuch in Berlin / Freies WLAN für Alle? / beA im September . In: Legal Tribune Online, 15.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19085/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag