Betreiber offener WLANs sollen künftig seltener für Dritte haften. Außerdem in der Presseschau: Maas will Verurteilungen nach § 175 StGB a.F. aufheben, der NSU-Prozess könnte sich dem Ende neigen und VW will seine Vorstände entlasten.
Thema des Tages
Störerhaftung: Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs im Jahr 2010 gilt in Deutschland bislang die "Störerhaftung", aufgrund derer Anschlussinhaber für Rechtsverstöße Dritter verantwortlich gemacht werden können, die das Netz etwa zu illegalen Downloads nutzen. Die Bundesregierung hat sich nun darauf geeinigt, diese pauschale Haftung von Betreibern offener WLANs im privaten und nebengewerblichen Bereich abzuschaffen. Entgegen früherer Pläne soll der Haftungsausschluss auch nicht von der Nutzung eines Passworts oder einer "Vorschaltseite" abhängig sein. Dies berichten spiegel.de (Fabian Reinbold) und die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Guido Bohsem (SZ) begrüßt die Vorteile für den Verbraucher und hofft auf ein Ende der Abmahnindustrie. netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) warnt allerdings, es blieben möglicherweise weiterhin Rechtsunsicherheiten durch Abmahnungen. Reinhard Müller (FAZ) meint, das Grundrecht des (geistiges) Eigentums müsse auch weiterhin geschützt werden.
Die taz (Christian Rath) berichtet zudem von dem Verfahren vor dem Landgericht München I, in dem sich ein Ladenbesitzer und Betreiber eines offenen Kunden-WLANs gegen eine Abmahnung durch Sony wehrt. Das Gericht legte den Fall dem EuGH vor, dessen Gutachter im März zur klaren Ansicht kam, als "privilegierter Diensteanbieter" dürfe der Betreiber nicht haftbar gemacht werden. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Rechtspolitik
§ 175 StGB a.F.: Bundesjustizminister Maas hat angekündigt, die Verurteilungen von Männern aufzuheben, die aufgrund des bis 1994 geltenden § 175 Strafgesetzbuchs wegen sexueller Handlungen mit anderen Männern erfolgt sind, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte zuvor in einem Rechtsgutachten festgestellt, der Staat müsse die Betroffenen rehabilitieren.
Leiharbeit/Werkverträge: Eine Übersicht über die wesentlichen Punkte der Neuregelungen zur Leiharbeit und zu Werkverträgen, auf die sich die Große Koalition geeinigt hat, geben nun die SZ (Thomas Öchsner) und die taz (Gareth Joswig).
Strafbarkeit des Drogenkonsums: Der ehemalige Bundesgerichtshof-Richter Wolfgang Nešković spricht sich in einem Gastbeitrag in der SZ gegen die Kriminalisierung von Cannabis-Konsum aus. Die Prohibitionspolitik habe versagt, und das "Strafrecht als Mittel der Gesundheitspolitik" sei "nicht nur ineffektiv und kontraproduktiv, sondern schlicht inhuman".
Integration: Privatdozent Ulrich Jan Schröder bezweifelt in einem Gastbeitrag in der FAZ, dass die Integration von Ausländern durch gesetzgeberische Maßnahmen gelingt. Die "Integration in die Gesellschaft" sei "nicht Integration in den Staat". Und wenn letzterer auf eine Umerziehung der Ausländer zu den Werten der deutschen Mehrheitsgesellschaft abzielen sollte, wäre dies "verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig".
Gewährleistungsrecht: Mit einem Gesetzentwurf soll das Gewährleistungsrecht zugunsten weiterverarbeitender Handwerker geändert werden, damit die Kosten der Nacherfüllung künftig derjenige tragen soll, der das mangelhafte Material zu vertreten hat – also in der Regel die Hersteller. In einem Gastbeitrag im Hbl kritisiert der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks Holger Schwannecke den Vorstoß als unzureichend, weil die Produzenten ihre Haftung in den AGB ausschließen könnten.
Rundfunkgebühren: Im Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkgebühren kündigen mehrere Gegner, die im März mit ihrer Klage beim Bundesverwaltungsgericht gescheitert sind, eine Verfassungsbeschwerde an, meldet lto.de.
Justiz
BVerfG zu Oppositionsrechten: Juwiss.de (Paulina Starski) gibt nun eine detaillierte rechtliche Erläuterung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vergangenem Dienstag, wonach die Oppositionsparteien im Bundestag keine erweiterten Verfahrensrechte erhalten müssen.
BAG zu Elternzeit: Die Inanspruchnahme von Elternzeit muss dem Arbeitgeber schriftlich mitgeteilt werde – ein Fax reicht hierzu nicht aus, entschied das Bundesarbeitsgericht am Montag und wies die Kündigungsschutzklage einer Rechtsanwaltsfachangestellten ab. Es sei dem Arbeitgeber auch im Regelfall nicht verwehrt, sich auf die Formnichtigkeit zu berufen, so die Rechtsanwälte Alexander Bissels/Isabel Meyer-Michaelis auf dem Handelsblatt-Rechtsboard.
BGH zu Nürburgring-Ausbau: Der Bundesgerichtshof hat im November 2015 die Verurteilung des früheren rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) wegen Untreue im Zusammenhang mit dem Ausbau des Nürburgringes aufgehoben, wie nun bekannt wurde. Da das Landgericht Koblenz in einigen Fällen die Gefährdung von Landesvermögen nicht rechtsfehlerfrei begründet habe, verwies der BGH das Verfahren zur erneuten Verhandlung zurück, meldet lto.de.
OLG München – NSU: Im Prozess um die mutmaßlichen Terroristen des NSU hat das Gericht Urlaubsfotos eingesehen, die ein angebliches Entsetzen der Hauptangeklagten Zschäpe über einen Anschlag der mutmaßlichen Mittäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unwahrscheinlich machen sollen, so spiegel.de (Wiebke Ramm). Das Gericht hat derweil die Vernehmung mehrerer Zeugen abgelehnt, was laut SZ (Annette Ramelsberger/Rainer Stadler) als Hinweis auf den Willen gedeutet wird, den Prozess demnächst zu beenden. Die Zeit (Christian Fuchs/Stephan Lebert) spricht mit der Journalistin Astrid Ebenhoch, die einige Tage lang mit Zschäpe gemeinsam inhaftiert war und diese dort als beliebt sowie dominant wahrnahm.
FG Baden-Württemberg zu Entschädigungen ehrenamtlicher Richter: Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass ehrenamtliche Richter ihre Entschädigungszahlungen als selbstständige Tätigkeit versteuern müssen. Es handle sich dabei trotz "Ehrenamt" nicht um steuerbefreite Aufwandsentschädigungen, so lto.de.
OLG Hamm zur Tötung männlicher Küken: Nach dem Landgericht Münster ist nun auch das Oberlandesgericht Hamm der Ansicht, das routinemäßige Töten männlicher Eintagsküken erfülle derzeit keinen Straftatbestand. Es bestätigte laut lto.de, dass eine diesbezügliche Anklage nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen sei.
LG Köln – Natascha Kampusch: Im Streit zwischen der als Kind entführten Natascha Kampusch und dem Autor eines Buches über ihren Fall scheint das Landgericht Köln keinen Grund zu sehen, eine Veröffentlichung zu untersagen. Kampusch sieht sich durch die Beschreibung von Videoaufnahmen ihres Peinigers in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt, schreibt die FAZ (Reiner Burger).
LG Flensburg zu Kindesvernachlässigung: Das Landgericht Flensburg hat eine Mutter, die ihren damals vierjährigen Sohn drei Wochen lang allein in ihrer Wohnung gelassen hatte, wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sie hatte das Kind eingeschlossen, um zu einer Feier zu gehen, und war anschließend nicht zurückgekehrt, so spiegel.de.
AG Saarbrücken zu Polizeigewalt: Wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und Verfolgung Unschuldiger hat das Amtsgericht Saarbrücken einen Polizisten zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, berichtet lawblog.de (Udo Vetter). Dem Beamten werden mehrere Taten vorgeworfen.
BAW – Oktoberfestattentat: Die Bundesanwaltschaft hat einen erneuten Versuch gestartet, das Attentat auf der Theresienwiese im September 1980 aufzuklären, bei dem 13 Menschen getötet und über 200 schwer verletzt wurden. Es hat hierzu Anfragen an den BND und den Verfassungsschutz gestellt – letzterer habe innerhalb von 15 Monaten allerdings noch nichts geliefert, berichtet die SZ (Annette Ramelsberger).
Recht in der Welt
Bangladesch – Rana Plaza: Menschenrechtsanwälte haben bei der OECD eine Beschwerde gegen den TÜV Rheinland wegen des Einsturzes der Fabrik Rana Plaza eingelegt, bei dem 2013 1.100 Menschen ums Leben kamen. Der TÜV habe die schlechten Arbeitsbedingungen und den Gebäudezustand nicht dokumentiert, berichtet die taz (Hannes Koch).
Sonstiges
Sudetendeutsche in Tschechien: In einem Gastbeitrag in der FAZ schreibt Geographieprofessor Wilfried Heller über die Rechte der drei Millionen Sudetendeutschen, die 1945/46 aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden. Seit einem Jahr wird über die Änderung einer Satzung der Sudetischen Landsmannschaft gestritten, die statt auf eine Rückgewinnung der ehemaligen Heimat künftig schwammiger auf Ersatz für bestimmtes Unrecht gegen den tschechischen Staat abzielen solle, was einen Rechtsverlust bedeute.
Bausparkassen: Die SZ (Benedikt Müller) berichtet darüber, dass manche Bausparkassen versuchen, langjährige Kunden mit günstigen Zinsbedingungen zur Kündigung der Verträge zu drängen. Beim Landgericht Nürnberg-Fürth ist eine Unterlassungsklage gegen derartiges Vorgehen anhängig.
VW-Skandal: Trotz noch laufender Ermittlungen um manipulierte Abgaswerte empfiehlt der Volkswagen-Konzern den Aktionären, alle Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zu entlasten. Es stünden bislang "keine eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen" fest, meldet spiegel.de. Spätere Schadensersatzforderungen würden allerdings durch die Entlastung nicht ausgeschlossen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Mai 2016: Ende der Störerhaftung? / Verurteilungen Homosexueller aufheben? / VW-Vorstand entlasten? . In: Legal Tribune Online, 12.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19327/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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