Bremen verstößt gegen die Schuldenbremse, nun drohen Sanktionen. Außerdem in der Presseschau: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Anti-Terror-Paket der Regierung, Reker-Attentäter trennt sich von Anwalt und Pläne zur BND-Reform.
Thema des Tages
Schuldenbremse/Bremen: Die im Zuge der Föderalismusreform 2009 eingeführte sogenannte Schuldenbremse steht vor ihrer ersten großen Bewährungsprobe. Nach Bericht des Hbl (Donata Riedel) hat der Prüfausschuss des Stabilitätsrats, einem Gremium der Finanzminister der Länder und des Bundes, im aktuellen Haushaltsplan der Freien Hansestadt Bremen eine mehr als doppelt so hoch wie erlaubte Nettokreditaufnahme festgestellt. Sollten sich die Minister in einer Sitzung am morgigen Mittwoch dem Votum des Ausschusses anschließen, drohen Bremen "zusätzliche Maßnahmen". Diese könnten die Kürzung oder Streichung von Konsolidierungshilfen bedeuten. Bremen selbst hatte bereits Anfang Mai einen Verstoß gegen die Schuldenbremse angekündigt und dies mit außergewöhnlichen Belastungen durch die Versorgung von Flüchtlingen begründet.
In einem separaten Kommentar betont Donata Riedel (Hbl), dass die nun in Frage stehenden Hilfen keine Kredite seien. Wer derartige "Gaben annimmt, darf nicht einfach ohne Rücksprache verkünden, dass er seinen Teil der Vereinbarung, das Sparen, nun ... nicht mehr zu erfüllen gedenkt." Diese "Chuzpe der Bremer" verdiene eine "harte Reaktion".
Rechtspolitik
Anti-Terror-Paket: In einem Gastkommentar für das Hbl kritisiert die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Entwurf eines neuen Anti-Terror-Pakets, der in dieser Woche vom Bundestag beraten wird. Obwohl etliche nach den Anschlägen vom 11. September erlassene Regelungen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurden, setze "die Bundesregierung erneut auf Gesetze". Hierbei sollten in rechtsstaatlich fragwürdiger Weise verdeckte Ermittler auch zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden dürfen. "Am kritischsten" seien jedoch die im Entwurf vorgesehenen Regelungen zum internationalen Informationsaustausch. Dessen Voraussetzung, die Beachtung "grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien", werde von den Kooperationspartnern unterschiedlich gehandhabt. Deutschland brauche "eine Renovierung der Sicherheitsarchitektur", zu der etwa eine Regierungskommission 2013 "umfangreiche Vorschläge" gemacht habe, die jedoch "ignoriert werden".
Sexualstrafrecht: Die auf dem Deutschen Anwaltstag in Berlin kontrovers geführte Debatte über Sinn und Notwendigkeit einer Verschärfung des Sexualstrafrechts zeichnet lto.de (Pia Lorenz) nach. Besondere Beachtung finden hierbei die von Bundesrichter Thomas Fischer und der Bundestagsabgeordneten Renate Künast (Grüne) vertretenen Positionen.
Whistleblowing: Eine ab Juli geltende Neufassung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz bietet Whistleblowern in zahlreichen Geschäftsbereichen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung. Mitarbeiter von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zählen nach einer Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags jedoch nicht zu den durch die Regelung Privilegierten, schreibt die SZ (Markus Zydra). Somit könnten auch weiterhin Enthüller wie die mutmaßliche Lux-Leaks-Quelle angeklagt werden.
BND-Reform: netzpolitik.org (Andre Meister) veröffentlicht den der Plattform zugespielten "Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes". Der Entwurf baue auf dem existierenden BND-Gesetz auf und erweitere es.
AfD: Die taz (Sabine am Orde) befragt Rechtsprofessor Joachim Wieland zur möglichen Verfassungswidrigkeit bestimmter Punkte des jüngst beschlossenen Grundsatzprogramms der AfD.
Teilhabegesetz: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ fasst Rechtsanwalt Oliver Tolmein die vor allem von Betroffenenverbänden formulierte Kritik an dem von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgestellten Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes zusammen. Ein zentraler Punkt betreffe die im Entwurf vorgesehene Einkommens- und Vermögensanrechnung von Behinderten, die auch Sozialleistungen beziehen. Daneben bestehe ein grundsätzlicher Dissens darüber, "was Inklusion und Teilhabe sein und wie sie wirken sollen." Nach dem Kommentar von Barbara Dribbusch (taz) muss es bei der Lösung dieser Fragen "Zugeständnisse geben, von allen Seiten". Entscheidend und sozialstaatlich geboten sei eine "Ermöglichungspolitik für Menschen mit schweren Einschränkungen".
Immobilienkredite: Seit Ende März gilt auch in Deutschland die EU-Wohnmobilienkreditrichtlinie. Nach Darstellung der FAZ (Judith Lembke/Michael Psotta) im Finanzen-Teil des Blattes erschweren die neuen Bestimmungen und die durch sie erhöhte Wahrscheinlichkeit für Banken, wegen Falschberatung in Regress genommen zu werden, den Hauskauf für zahlreiche Verbraucher. Der Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne) plant derweil nach Bericht des Hbl (Ruth Berschens) eine Beschwerde bei der EU-Kommission wegen "nicht korrekter" Umsetzung der Richtlinie. So sei im deutschen Recht die verpflichtende Offenlegung der Berechnungsgrundlagen sogenannter Vorfälligkeitsentschädigungen unterblieben.
Justiz
EuGH – Kopftuchverbot: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kommentiert den Schlussantrag der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, Juliane Kokott, zu einem grundsätzlich zulässigen Kopftuchverbot in einem privatwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnis aus der letzten Woche. Zwar sei zu begrüßen, dass Kokott der Justiz der Mitgliedsstaaten die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit derartiger Verbote belassen will, denn auch in Deutschland könne eine Diskussion über Firmen-Neutralitätskonzepte "nie" schaden. Gleichwohl irritiere die von der Generalanwältin offenbar vertretene Vorstellung, religiöse Identitäten ließen sich "an der Garderobe abgeben."
OLG Düsseldorf – Reker-Attentat: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat einen der beiden Verteidiger des wegen des Attentats auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker angeklagten Frank S. aus dem Verfahren entlassen. Nach Anträgen sowohl des Angeklagten als auch das Anwalts habe das Gericht eine tiefe Erschütterung des Vertrauensverhältnisses festgestellt, meldet spiegel.de. Anlass hierfür sei ein E-Mail-Wechsel des Anwalts mit einer Freundin des Angeklagten gewesen.
VG Cottbus zu Wahlbeeinflussung: Ein Bürgermeisterkandidat im brandenburgischen Guben hat vor dem Verwaltungsgericht Cottbus eine einstweilige Verfügung gegen einen Landrat erwirkt. Nach dem jetzt bekannt gegebenen Beschluss darf der Antragsgegner bis zum Abschluss der Wahl gegenüber Medienvertretern nicht mehr die Ankündigung wiederholen, er werde den wegen Bestechlichkeit verurteilten Kandidaten bei einem Wahlerfolg wieder vom Dienst suspendieren, meldet lto.de.
VG Berlin – Luftverschmutzung: Nach einer Meldung von spiegel.de hat die Deutsche Umwelthilfe das Land Berlin wegen zu hoher Straßenverkehrsemissionen verklagt. Beim Verwaltungsgericht Berlin seien hierzu geeignete Maßnahmen zur Einhaltung der europarechtlich maximal zulässigen Emissionswerte beantragt worden.
AG München zu Uber: Die SZ (Ekkehard Müller-Jentsch) berichtet zu einem nun rechtskräftig gewordenen Urteil des Amtsgerichts München von Ende März, nach dem sowohl das Fahrdienstunternehmen Uber als auch dessen beide Geschäftsführer eine Geldbuße wegen vorsätzlicher Personenbeförderung ohne Genehmigung zu zahlen haben.
StA Düsseldorf – Germanwings-Unglück: Bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat ein Angehöriger von Opfern des Germanwings-Absturzes eine Anzeige gegen die Hausärztin des Piloten erstattet. Der Anzeigenerstatter behaupte, dass die Ärztin in Kenntnis des Berufs ihres Patienten dessen Arbeitgeber oder das Luftfahrtbundesamt von den diagnostizierten psychischen Problemen hätte informieren müssen, schreibt die Welt (Dirk Banse/Michael Behrendt).
DRK ./. DFG: In der vergangenen Woche hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) wegen deren Kritik an der Kooperation des DRK mit der Bundeswehr zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert, schreibt die taz (Felix Hackenbruch). Eine von der DFG-VK hierzu eingerichtete Webseite sei inzwischen aus dem Netz genommen, die geforderte Erklärung aber nicht abgegeben worden.
DRB-Vorsitzender Gnisa: Das Hbl (Heike Anger/Anja Stehle) interviewt den neuen Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa. Der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld spricht über die öffentliche Wahrnehmung von Recht und die öffentliche Darstellung von Richtern, seine Wünsche und Forderungen an die Politik und den Bundesjustizminister sowie die Position des DRB zur Frage von Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen und einem Schiedsgericht im Rahmen des Freihandelsabkommens TTIP.
Recht in der Welt
USA – SolarWorld: Nach Bericht des Hbl (Franz Hubik) ist dem deutschen Unternehmen SolarWorld in den USA eine weitere Frist von zwei Wochen zur außergerichtlichen Einigung mit einem US-amerikanischen Zulieferer gewährt worden. Das im US-Staat Michigan klagende Unternehmen fordert von SolarWorld 770 Millionen Dollar.
Sonstiges
Safe Harbor-Bußgelder: Drei Unternehmen müssen an ihrem deutschen Firmensitz in Hamburg nach Aufforderung der Datenschutzbehörde der Hansestadt Bußgelder bezahlen, weil sie Datenübermittlungen in die USA ohne hinreichende Rechtsgrundlage vornahmen. Weil die Firmen ihre Übermittlungsgrundlagen während des laufenden Bußgeldverfahrens umstellten, wurden statt möglicher 300.000 Euro nur mehr Geldbußen um 10.000 Euro verhängt, schreibt spiegel.de (Angela Gruber).
Bundespräsident Gauck: Heribert Prantl (SZ) kommentiert die Ankündigung des Bundespräsidenten Joachim Gauck, für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung zu stehen. Gauck habe "nach dem Fall seines Vorgängers" dem Amt seine Würde wiedergegeben. Hierzu gehöre auch seine Weigerung, zumindest einen Teil einer weiteren Amtsperiode zu übernehmen. "Das höchste Staatsamt ist kein Amt auf Abruf."
Geschwindigkeitsmessung: Die sogenannte Section Control-Technik soll Geschwindigkeitsübertretungen zuverlässiger messen können, Kritiker dagegen behaupten datenschutzrechtliche Probleme durch ihren Einsatz. Die niedersächsische Datenschutzbehörde hat nun eine Ausnahmegenehmigung für einen 18-monatigen Probebetrieb erteilt, berichtet die taz (Antonia Stille).
Das Letzte zum Schluss
Finderlohn: Dass die Polizei nach Eigentümern gefundener Sachen sucht, mag nicht überraschen. Welchen Erfolg sich die Mainzer Polizei allerdings von der durch lawblog.de (Udo Vetter) aufgegriffenen Pressemitteilung versprach, wird ihr Geheimnis bleiben. In einem Lokal sei "eine Plastiktüte mit Betäubungsmitteln" gefunden worden. "Das Tütchen mit der weißen pulvrigen Substanz" war auf einer Terrasse "seinem Besitzer … aus der Tasche gefallen". "Der Verlierer" werde nun gebeten, sich bei der Kriminalpolizei "gegen Vorlage seines Personalausweises" zu melden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Juni 2016: Bremen ignoriert Schuldenbremse / SLS zu Anti-Terror-Paket / Entwurf für BND-Reform . In: Legal Tribune Online, 07.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19503/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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