Ist die NPD zu klein und unbedeutend, um verboten zu werden? Außerdem in der Presseschau: Superpersönlichkeitsrechtsverletzung Helmut Kohls, Supreme Court zu Abtreibungskliniken und zweideutiger Straßenname in Köln.
Thema des Tages
BVerfG – NPD-Verbot: Am dritten Verhandlungstag des NPD-Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht äußerten sich Vertreter der Partei zu besonders fragwürdigen Bestandteilen des Programms der NPD und ihrer Ziele. Daneben gaben Vertreter des Bundesrats ihre Einschätzung zur Gefährlichkeit der Partei ab. Es berichten u.a. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski) und taz (Christian Rath). Die Berichte stimmen überein, dass der von der NPD vertretene, biologistisch zu verstehende Begriff von der Volksgemeinschaft offensichtlich im Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Nachfragen des Gerichts zur tatsächlichen Wirkungsmacht der Partei ließen jedoch zweifeln, ob die Richter tatsächlich annehmen, dass sie darauf "ausgehe", diese freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, wie von Artikel 21 Grundgesetz formuliert. Diese Einschätzung teilt spiegel.de (Christina Hebel) in einer Zwischenbilanz des Verfahrens. tagesschau.de (Gigi Deppe) sieht dagegen in einer Analyse "gute Gründe" für ein Verbot und hofft gleichzeitig, dass vom Gericht strenge Maßstäbe gesetzt werden, die verhindern, dass "Parteiverbote nicht Mode werden".
Heribert Prantl (SZ) kommentiert, dass es "gut, wichtig und richtig" wäre, die NPD zu verbieten. Denn beinhalte das grundgesetzliche Parteienverbot ein "präventive Komponente", nach der nicht zugewartet werden müsse, ehe eine verfassungswidrige Partei "in fünf oder zehn Landtagen sitzt oder im Bundestag". Heinrich Wefing (zeit.de) sieht dagegen für jedes Parteiverbot "nur schlechte Gründe". Die Verhandlungstage in Karlsruhe hätten eine Begründung dafür, dass "der demokratische Rechtsstaat ausnahmsweise gegen seine fundamentalen Prinzipien verstoßen soll", nicht erbracht. Orientiere man sich zur Begründung eines Verbots einzig auf die rassistische Programmatik der Partei, dann drohe das Instrument des Parteiverbots "zu einer höchstrichterlichen Programmkontrolle, zu einer Gewissensprüfung für Parteien" zu werden.
Rechtspolitik
Sozialdumping: EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen will in der kommenden Woche eine Reform der Entsenderichtlinie vorstellen. Kernpunkt des der FAZ (Hendrick Kafsack) vorliegenden Entwurfs ist eine Regelung, nach der vorwiegend aus Osteuropa entsandte Arbeitnehmer nach zwei Jahren einheimischen Arbeitskräften gleichgestellt werden müssen. Die Reform bezwecke die Bekämpfung des vor allem von Gewerkschaften kritisierten sogenannten Sozialdumpings.
Ausweisungsrecht: Die nach den Silvesterübergriffen von Köln diskutierten Verschärfungen des Ausweisungsrechts unterziehen die Rechtswissenschaftler Carsten Hörich und Marcus Bergmann auf verfassungsblog.de einer ausführlichen kritischen Würdigung. Im Ergebnis werten die Autoren die Reform als "gesetzgeberischen Schnellschuss", durch den "das Strafrecht in die Rolle eines Steuerungsinstruments im Rahmen des Migrationsrechts gedrängt" werde.
Justiz
EuGH zu Onlinewerbung: Ein Löschungsverlangen wegen markenverletzender Inhalte eines Online-Auftritts ist regelmäßig ausreichend für die Haftungsfreizeichnung gegenüber dem Markeninhaber. Zu diesem Urteil gelangte der Europäische Gerichtshof in einer in Ungarn angesiedelten komplexen Fallgestaltung zu Markenrechtsverletzungen im Internet. Rechtsanwältin Julia Dönch stellt auf lto.de Fall und Entscheidung vor und erläutert mögliche präventive Maßnahmen. Die Entscheidung wird auch von der FAZ (Joachim Jahn) gemeldet.
OLG München – NSU: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München wurde mit der Vernehmung von Zeugen zu Banküberfällen fortgesetzt. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet.
OLG München – Spionage: Im Spionage-Prozess gegen einen früheren BND-Mitarbeiter vor dem Oberlandesgericht München wird ein Urteil Mitte März erwartet. In ihrem nun gehaltenen Plädoyer beantragte die Anklage zehn Jahre Haft für den Angeklagten. Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet.
OLG Saarbrücken zu Abstinenzanweisung: lawblog.de (Udo Vetter) weist auf einen "interessanten" Beschluss des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom vergangenen Juli hin. Nach diesem sei die einem entlassenen Häftling auferlegte Führungsaufsicht, auch Abstinenzanweisung genannt, jedenfalls dann unwirksam, wenn die Drogensucht des Betroffenen bislang nicht erfolgreich therapiert wurde.
LG Köln – Kohl-Protokolle: Zum Auftakt des Hauptsacheverfahrens zur Klage Helmut Kohls gegen seinen früheren Ghostwriter Heribert Schwan vor dem Landgericht Köln habe der Vorsitzende Richter nicht erkennen lassen, ob er die klägerische Forderung für gerechtfertigt hält, schreibt die FAZ (Reiner Burger). Der Beitrag fasst weiter die Ereignisse um die Veröffentlichung des Buches "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" zusammen. Am 2. Juni solle über die Schadenersatzforderung entschieden werden, bereits am 21. April solle entschieden werden, ob der beklagte Journalist auch seine Kopien der Gesprächsmitschnitte an Kohl aushändigen muss. Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält die von Kohls Anwälten verwendeten Begriffe wie "Superklage" oder "Superpersönlichkeitsrechtsverletzung" für verräterisch: "wenn Anwälte sich solcher Rhetorik bedienen, fehlen ihnen meist die Argumente". Der beklagte Schwan habe sich zwar "einigermaßen schäbig verhalten", dagegen seinen Vertrag mit dem Verlag des Altkanzlers erfüllt. Kohl selbst habe es unterlassen, Vorsorge zu tragen, dass seine Äußerungen, die gerade nicht privat, sondern politisch waren, nicht in die Öffentlichkeit gelangten. "Verträge schützen Vertrauen, jedoch keine Naivität."
LG Essen – Profiboxer: Weil er den Profiboxer Manuel Charr in einer Imbissbude anschoss, muss sich ein 25-Jähriger vor dem Landgericht Essen wegen versuchten Mordes verantworten. Er habe nun angegeben, durch Beleidigungen und Drohungen zur Tat provoziert worden zu sein, schreibt die FAZ (Reiner Burger). Charr selber habe erst durch die Androhung von Beugehaft zu einer Aussage bewegt werden können.
LG Braunschweig – VW: Vor dem Landgericht Braunschweig klagen zahlreiche VW-Aktionäre gegen den Autobauer, weil der Konzern zu spät über die später als Abgas-Affäre bekanntgewordene Probleme mit Dieselmotoren informiert haben soll. Die FAZ (Carsten Germis) berichtet zur Mitteilung des Konzerns über die nun erfolgte Klageerwiderung. So sei angegeben worden, dass dem früheren VW-Chef Winterkorn eine Notiz über mögliche Probleme bereits im Mai 2014 vorgelegt wurde. Ob der Manager hiervon Kenntnis genommen habe, sei nicht dokumentiert.
LG Ulm – Strafvereitelung durch Anwalt: Ab Juli muss sich ein Stuttgarter Rechtsanwalt vor dem Landgericht Ulm gegen den Vorwurf der versuchten Strafvereitelung verteidigen. Die Hintergründe des Falls um vermeintliche, vom Anwalt in einem von ihm betreuten Verfahren vorgebrachte Beweismittel und mutmaßliche Absprachen zu Falschaussagen erläutert swr.de (Holger Schmidt).
VG Hamburg zu Klarnamenpflicht: Nach Stattgabe eines beim Verwaltungsgericht Hamburg eingelegten Eilantrags darf Facebook bis auf Weiteres von seinen Nutzern verlangen, sich mit echtem Namen anzumelden. Eine entsprechende Anordnung des Hamburger Datenschutzbeauftragten braucht damit nicht vollzogen werden, meldet spiegel.de.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Nachdem ein Zwischenbericht zu einem Gutachtens des Europarats über die Reform des polnischen Verfassungsgerichts bekannt wurde, fordert die polnische Regierung eine Verschiebung des für die kommende Woche geplanten Abschlussberichts um drei Monate. Die sogenannte Venedig-Kommission habe festgestellt, das die Parlamentsmehrheit durch ein neues Gesetz das Gericht blockiere und damit die Demokratie bedrohe, schreibt die FAZ (Konrad Schuller).
Spanien – Cristina: Die wegen Beihilfe zum Steuerbetrug ihres Ehemanns angeklagte Infantin Cristina, Schwester des spanischen Königs Felipe VI., hat in einem Vernehmung jegliche Kenntnis von den fraglichen Geschäften bestritten. spiegel.de berichtet.
USA – Abtreibung: Vor dem US-amerikanischen Supreme Court wird gegenwärtig über die Verfassungsmäßigkeit eines texanischen Gesetzes, das Abtreibungskliniken strengen Regularien unterwirft, gestritten. Nach dem Bericht der SZ (Sacha Batthyany) steht die für den Sommer erwartete Entscheidung unter dem Druck erbitterter Gegnerschaft zwischen Abtreibungsbefürwortern und -gegnern im Land.
USA – Madonna: Über den Sorgerechtsstreit zwischen der Popsängerin Madonna und ihrem Ex-Ehemann Guy Ritchie berichten SZ (Claus Hulverscheidt) und Welt (Michael Remke). Vor einem New Yorker Gericht scheiterte die Sängerin mit ihrem Antrag, die Rückkehr des gemeinsamen Sohnes Rocco erzwingen zu lassen.
USA – Debra Milke: Die Welt (Christine Kensche) interviewt Debra Milke. Die US-Amerikanerin deutscher Herkunft saß wegen angeblicher Beauftragung der Tötung ihres Sohne mehr als 20 Jahre in einem Todestrakt und kam 2013 frei.
Südafrika – Oscar Pistorius: Das südafrikanische Verfassungsgericht hat die Verurteilung Oscar Pistorius' wegen Mordes bestätigt, meldet die FAZ (Claudia Bröll). Über sein Strafmaß müsse nun ein erstinstanzliches Gericht entscheiden.
Sonstiges
Künstlersozialabgabe: Bei der Beauftragung kreativer Leistungen wird die Künstlersozialabgabe fällig. Dementsprechend müssen also auch Anwaltskanzleien zahlen, wenn sie etwa den eigenen Netzauftritt extern produzieren lassen. Rechtsanwalt Florian Sperling erklärt auf lto.de das Procedere sowie mögliche Ausnahmen und Sanktionen.
DFB: Am heutigen Freitag stellt die vom DFB beauftragte Kanzlei Freshfields ihre Ermittlungsergebnisse zu möglichen Schmiergeldzahlungen anlässlich der Vergabe der WM 2006 vor. Ob dabei "Kardinalfragen beantwortet" werden, ist nach dem Bericht der FAZ (Michael Ashelm/Anno Hecker) fraglich. Auch zeit.de (Oliver Fritsch) berichtet ausführlich und fasst offene Fragen zusammen.
Das Letzte zum Schluss
Nomen est omen: Können Straßenbenennungen die Rechte von Anwohnern verletzen? Eine Kölnerin, die in einer 2013 "Am Lusthaus" benannten Straße wohnt, sah das wegen möglicher anstößiger Zusammenhänge so und versuchte, vor dem örtlichen Verwaltungsgericht eine Umbenennung zu erwirken. Erfolglos, wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet. Denn stehe der Stadtverwaltung bei der Suche nach Straßennamen ein weiter Spielraum offen und beziehe sich die gewählte Bezeichnung auch auf eine konkrete Örtlichkeit, ein in früheren Zeiten angrenzenden adeligen Herrensitz.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. März 2016: NPD verbieten? / Superpersönlichkeitsrechtsverletzung / Supreme Court zu Abtreibung . In: Legal Tribune Online, 04.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18694/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag