Was dürfen Journalisten über mögliche Justizirrtümer schreiben? Ist die Pressefreiheit in Gefahr? Außerdem in der Presseschau: IT-Sicherheitsgesetz, Asylrecht, Diätenerhöhung, ein falscher Arzt, Ermittlungen gegen Waffenhersteller, Gutachten zum Prism-Spähprogramm und Müllabfuhr bei schlechtem Wetter.
Thema des Tages
LG Hamburg zu Justizirrtümern in der Presse: Mit den möglichen Folgen eines presserechtlichen Urteils des Landgerichts (LG) Hamburg befasst sich Alina Fichter (Die Zeit). Das LG entschied am vergangenen Freitag, dass ein Text über mögliche Justizirrtümer nicht mehr öffentlich zugänglich gemacht werden darf. Darin hatte sich der SZ-Autor Rainer Stadler mit einem Sorgerechtsstreit auseinandergesetzt. Im Raum stand sexueller Missbrauch seitens der Mutter. Gutachter, Jugendamt und Richter schenkten der Mutter keinen Glauben – offenbar trotz veritabler Widersprüchlichkeiten im Verfahren. Über diese Widersprüchlichkeiten hatte die SZ berichtet. In den streitigen Texten habe der Sachverhalt "sorgfältig aufgearbeitet und plausibel argumentiert" gewirkt, so Fichter. Dennoch: Nach dem Urteil des LG darf der streitige Text trotz Anonymisierung der Beteiligten nicht mehr veröffentlicht werden. Die Anonymisierung sei nicht ausreichend gewesen; das Kindeswohl sei gefährdet. Weiter hatte das LG vorgeschlagen, den Fall in einem anderen Bundesland spielen zu lassen. Weil Kritik sich dann nicht mehr an die tatsächlich handelnden Behörden gerichtet hätte, steht für Fichter fest: Das Urteil bedroht die Pressefreiheit. Denn falls sich die Linie des LG durchsetzt "und Akteure von Justizirrtümern deutlich stärker unkenntlich gemacht werden müssten als bisher, würde die Presse ihre wesentliche Funktion als Korrektiv in der Gesellschaft schlechter oder gar nicht mehr erfüllen können", so Fichter.
Rechtspolitik
Asylrecht: Die Zeit (Miriam Lau) beschäftigt sich mit der Diskussion um das Asylrecht in Deutschland und bewertet die deutsche Asylpolitik als "noch nie so reflektiert und akzeptiert wie heute". Der Bericht zeichnet zugleich einen immer radikaler werdenden Kurs von Unterstützern – der eine vernünftige Lösung gefährde. Berichtet wird außerdem von einem Gesetzentwurf von Bundesinnenminister de Maizière, der im Kern mehr Kriegsopfern aus Syrien das Asylrecht einräumt, dafür aber weniger Armutsflüchtlingen wie etwa aus Serbien. Lau spricht von einem Novum des Vorschlags aus Unionsseite, mehr Menschen aufnehmen zu können, "die uns wirklich brauchen".
Mindestlohn: Das anstehende Mindestlohngesetz kommentiert Thomas Öchsner (SZ). Er bezeichnet es als "eine der größten Sozialreformen der Nachkriegsgeschichte", spricht aber zugleich von einer "Notlösung, die das Land irgendwann in Zukunft nicht mehr brauchen sollte". Anders als von der Opposition vorgeworfen, enthalte das Gesetz gerade keinen Flickenteppich. Denn der Mindestlohn gelte bundesweit, ab 2017 für alle Branchen, die vorgesehenen Ausnahmen seien "zumindest teilweise ganz vernünftig". Als "schweren Geburtsfehler" erachtet es Öchsner, dass die Höhe des Mindestlohns (8,50 Euro) von der Regierung festgesetzt wurde.
IT-Sicherheitsgesetz: Bundesinnenminister de Maizière (CDU) will in Kürze das IT-Sicherheitsgesetz vorstellen. Danach soll für "Betreiber kritischer Infrastrukturen" (etwa aus den Bereichen Energie und Luftfahrt) eine Meldepflicht für Cyberangriffe eingeführt werden. Laut Handelsblatt (Till Hoppe) befürchtet die Industrie Milliardenkosten, sollte das IT-Sicherheitsgesetz in der bisher geplanten Form kommen. Eine vom Bundesverband der Deutschen Industrie in Auftrag gegebene Studie soll das belegen.
Diätenerhöhung und ihre Ausfertigung: Mit den verfassungsrechtlichen Bedenken an der automatischen Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten setzt sich der Rechtsprofessor Hans Herbert von Arnim auf lto.de auseinander. Nach Ansicht Arnims ist die automatische Erhöhung der Diäten aus mehreren Gründen verfassungsrechtlich unzulässig – unter anderem, weil statt eines Automatismus jede einzelne Erhöhung im Plenum diskutiert werden muss. Offenbar hat Bundespräsident Gauck verfassungsrechtliche Bedenken, weshalb er das Gesetz derzeit nicht ausfertigen möchte. Arnim hält das für richtig. Denn dass die Diätenerhöhung jemals vors Bundesverfassungsgericht kommt, scheint für ihn unwahrscheinlich: Bürger seien nicht klagebefugt, und Abgeordnete würden vermutlich keinen Gebrauch von einer Klagemöglichkeit machen.
Justiz
NSU-Prozess und Medienbeute: Dass Beate Zschäpe an jedem neuen Prozesstag von Journalisten fotografiert werden darf, kritisiert Heiner Alwart in der Zeit. Der Strafrechtsprofessor wirft die Frage auf, ob ein von Sensationsbedürfnissen beherrschter Sitzungssaal "noch als Ort des Rechts verstanden werden" könne. Eine Gerichtspraxis, die von den kommerziellen Bedürfnissen der Medien überlagert sei, führe "nicht zu rationalen Debatten, sondern zu einer Emotionalisierung und Mythenbildung", so Alwart.
OVG Berlin zu Pressezutritt zu besetzter Schule: Die taz berichtet in eigener Sache, sie habe erfolglos versucht, per Eilantrag verwaltungsgerichtlich Pressezutritt zu der von Flüchtlingen besetzten Berliner Gerhart-Hauptmann-Schule zu erwirken. Die Polizei hatte das Gelände abgeriegelt. Eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin wurde am Mittwochabend zurück gewiesen: Die Schule sei kein öffentlicher Raum und sei dies durch die Duldung der Besetzung auch nicht geworden.
LSG Niedersachsen zu Hartz-IV-Leistungen: Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die von der Stadt Göttingen gezahlten Unterkunftskosten für Hartz-IV-Bezieher zu niedrig waren. Das meldet lto.de. Geklagt hatte eine Familie, die für ihre Göttinger Wohnung inklusive Nebenkosten 520 Euro Miete zahlte. Die Stadt Göttingen wollte hiervon nur 470 Euro übernehmen – auf Grundlage eines Gutachtens zum Wohnungsstandard, das der Landkreis in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten enthielt nach Ansicht des LSG aber keine taugliche Grundlage zur Festlegung der Mietobergrenzen.
LG Hannover zu falschem Arzt: Wie die SZ meldet, hat das Landgericht Hannover einen Mann unter anderem wegen Körperverletzung, Titelmissbrauchs, Verstößen gegen das Heilpraktikergesetz, Betrugs und Urkundenfälschung zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Der Mann hatte sich fälschlicherweise als Juniorprofessor und Facharzt für Palliativmedizin ausgegeben, einen Kinderhospizverein gegründet und todkranke Kinder betreut. Die Richterin sprach von einem "hohen Manipulationstalent" des Angeklagten.
StA Kiel prüft Waffenlieferungen nach Kolumbien: Die Staatsanwaltschaft Kiel prüft Vorwürfe, nach denen die Waffenfirma Sig Sauer aus Eckernförde Waffen über die USA nach Kolumbien ohne die dafür erforderliche Ausfuhrgenehmigung geliefert haben soll. Der Waffenhersteller soll deutsche Behörden getäuscht haben, um die Lieferungen zu ermöglichen: Auf den Exportdokumenten habe Sig Sauer behauptet, die Waffen würden in den USA verbleiben, so die SZ (Volkmar Kabisch/Georg Mascolo und andere). Tatsächlich gingen die Waffen offenbar nach Kolumbien – was strafbar ist, weil in Krisenländer nicht exportiert werden darf. Dem Rechercheteam von NDR, WDR und SZ liegen laut SZ nun aber zahlreiche Dokumente vor, "die klar belegen, wie Sig Sauer die geltenden Vorschriften umging – gegen Widerstand aus den eigenen Reihen und offenbar mit Wissen der obersten Führungsriege". Laut dem Bericht plant das Wirtschaftsministerium eine Gesetzesreform, nach der stichprobenartig der tatsächliche Verbleib der Waffen überprüft werden soll.
StA Limburg ermittelt nicht gegen Tebartz-van Elst: Die Staatsanwaltschaft Limburg sieht von Ermittlungen wegen Untreue gegen den umstrittenen früheren Limburger Bischof Tebartz-van Elst ab. Das meldet zeit.de. Es habe sich kein Anfangsverdacht ergeben; Verstöße gegen innerkirchliches Recht habe man zwar festgestellt, hierfür sei jedoch die Kirche zuständig, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Recht in der Welt
Frankreich – Ermittlungen gegen Sarkozy: Gegen Frankreichs Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy läuft ein Verfahren wegen Korruptionsverdachts. Konkret stehen Bestechung, unerlaubte Einflussnahme und die Verletzung von Amtsgeheimnissen im Raum, so die SZ (Stefan Ulrich). Nachdem er sich 15 Stunden in Polizeigewahrsam befand, hat sich Sarkozy am Abend in einem Fernsehinterview den Vorwürfen gestellt. Wie spiegel.de berichtet, weist Sarkozy darin die Vorwürfe zurück und wirft seinen politischen Gegnern vor, "ihn mithilfe der Justiz zerstören zu wollen" – und hält die Rückkehr in die Politik offen.
USA – Prism ist rechtmäßig: Eine US-amerikanische unabhängige Prüfungskommission hat das NSA-Spähprogramm "Prism" für rechtmäßig erklärt, wie zeit.de meldet. Die Kommission namens "Privacy and Civil Liberties Oversight Board" hält "Prism" für "eindeutig durch das Gesetz gedeckt". US-Kongress und Präsident Obama hatten den Bericht in Auftrag gegeben.
Britische Datenschützer gegen Facebook: Die britische Datenschutzbehörde will prüfen, ob Facebook im Jahr 2012 gegen geltende Datenschutzregeln verstieß. Die SZ beruft sich auf einen entsprechenden Bericht der britischen Financial Times. Facebook wollte damals prüfen, wie sich Emotionen auf sozialen Netzwerken auswirken. Dafür wurden Nutzern entweder mehr positive oder mehr negative Inhalte als gewöhnlich angezeigt – und sodann deren Verhalten analysiert. Facebook hätte die Nutzer um Erlaubnis fragen müssen, so Kritiker. Facebook betont hingegen, angemessenen Schutz gewährleistet zu haben und verweist zudem auf die Geschäftsbedingungen.
Sonstiges
Bewerberdiskriminierung: Zu klein? Zu dick? Zu männlich? Anhand drei gerichtlich entschiedener Fälle befasst sich Die Zeit (Kathrin Fromm) mit der Diskriminierung bei der Personalauswahl. Außerdem erklärt der Arbeitsrechtler Ingo Frieters im Interview, was sich Bewerber gefallen lassen müssen. Frieters spricht sich schließlich für anonymisierte Bewerbungen aus. Die führten nicht nur "zu einer diskriminierungsfreieren, sondern ebenso zu einer qualitätsfördernden Auswahl" – was schließlich auch im Sinne der Arbeitgeber liege.
Rüstungsexporte: Inwiefern die Bundesregierung derzeit Rüstungsexporte untersagen kann und wie sich Unternehmen gerichtlich dagegen wehren können, erklärt der Rechtsanwalt Viktor Winkler auf lto.de.
Das Letzte zum Schluss
VG Neustadt zu Müllabfuhr bei schlechtem Wetter: lawblog.de (Udo Vetter) berichtet von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt, nach dem der Kunde eines örtlichen Entsorgungsbetrieb die Müllgebühren nicht mindern kann, wenn der Müll wegen schlechten Wetters nicht rechtzeitig geleert wurde. Der Entsorgungsbetrieb hatte Altpapier, Rest- und Biomüll vier Mal verspätet abgeholt – und zwar jeweils dann, wenn das Wetter es zuließ. Der Kunde des Entsorgungsbetriebs wollte die Gebühren mindern. Ohne Erfolg: Nach Ansicht des VG rechtfertigt im öffentlichen Gebührenrecht die Schlechtleistung eine Minderung nur bei einem spürbaren Missverhältnis. Das lag hier nicht vor, denn für das schlechte Wetter könne der Entsorger nichts.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Juli 2014: Justizirrtümer in der Presse – Industrie gegen IT-Sicherheitsgesetz – US-Kommission pro Prism . In: Legal Tribune Online, 03.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12430/ (abgerufen am: 11.05.2024 )
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