Der Anwaltstag diskutiert über die ultima ratio-Funktion des Strafrechts. Außerdem in der Presseschau: Bundestag lockert WLAN-Störerhaftung und BVerfG verwirft Vorlage zu Hartz IV.
Thema des Tages
DAT zum Strafrecht: Der diesjährige Deutsche Anwaltstag widmet sich dem Strafrecht. Laut lto.de (Pia Lorenz) beschrieb Bundesjustizminister Maas in seiner Eröffnungsrede die Kriminalpolitik als "Gemütsmesser für die Gemütsverfassung der Nation". In Zeiten von Angst stehe die Freiheit nicht hoch im Kurs. Der Minister antwortete auch auf einen Vorwurf des Vorsitzenden des Anwaltsvereins Ulrich Schellenberg zum Strafrecht als Steuerungsmittel in der Wirtschaftspolitik. Dieser hatte gemahnt, dass das Strafrecht kein Allheilmittel sein dürfe. Maas verteidigte dagegen das Wirtschaftsstrafrecht, so die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und HBl (Heike Anger). Dass das Wirtschaftsstrafrecht wachse, sei "Kehrseite einer verhängnisvollen ökonomischen Ideologie, die sich in den letzten Jahrzehnten Bahn gebrochen hat", sagte der Minister.
Reinhard Müller (FAZ) stellt fest, dass das Strafrecht seine Funktion als ultima ratio längst verloren hat. Die Politiker seien "Getriebene"; über Wahlerfolge entscheide auch die Griffigkeit von Parolen. Als Justizminister müsse man dann eben neue Gesetze vorweisen, so Müller. Anders als Justizminister Maas sieht Müller jedoch, auch wenn das Strafrecht nicht mehr das letzte Mittel ist, nicht die Gefahr des Abgleitens in autoritäre Strukturen. Polizei und Justiz müssten sich dann allerdings mit allen möglichen Dingen beschäftigen, und nicht mit den wesentlichen.
Rechtspolitik
Störerhaftung: Der Bundestag hat das Zweite Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes verabschiedet, das unter anderem die Verbreitung frei zugänglicher WLAN-Netze fördern soll. Dazu soll die so genannte Störerhaftung, die die Betreiber eines WLAN-Netzes bisher für die widerrechtliche Nutzung durch Andere haften lässt, gelockert werden. Den Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen und Die Linke ging der Gesetzentwurf nicht weit genug, sie forderten eine deutlichere Abschaffung der Haftung, berichtet spiegel.de. Die Bundestagsdebatte hat netzpolitik. org (Ingo Dachwitz) verfolgt. Er fasst auch die Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums und die Debatte im Netz zum jetzt verabschiedeten Gesetz zusammen. tagesschau.de fasst die wichtigsten Fragen und Antworten zur Neuregelung zusammen.
Markus Beckedahl (netzpolitik org) befürchtet, dass die Situation für Hotspot-Betreiber auch mit dem neuen Gesetz unsicher bleibt und wirft dem Gesetzgeber vor, die wesentliche Änderung lediglich in die Gesetzesbegründung, nicht aber in den Gesetzestext geschrieben zu haben.
Ersatzfreiheitsstrafe: Die Justizminister befassen sich auf ihrer Frühjahrstagung mit der Frage der Ersatzfreiheitsstrafe. zeit.de (Frida Thurm) zitiert aus einem Beschlusspapier, nach dem "eine etwaige Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe einer eingehenden und vertieften Prüfung bedarf". Die Bundesländer wollen, so heißt es in dem Beitrag weiter, deshalb eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einrichten, die unter anderem "weitere Verbesserungen des bestehenden Instrumentariums zur Haftvermeidung" prüfen soll, darunter "auch neue Vorschläge sowohl zur Anordnung als auch zur Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen".
Erbschaftsteuer: Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes müsste eigentlich bis Ende Juni ein neues Gesetz zur Erbschaftsteuer verabschiedet sein. Bisher aber können sich die Koalitionsfraktionen hier nicht einigen, berichtet die taz (Tanja Tricarico). Es geht um die Frage, wie Firmenerben besteuert werden, ohne dass damit Arbeitsplätze beziehungsweise der Fortbestand der Firma gefährdet wird. Um zu einer Einigung zu kommen, soll jetzt laut SZ (Cerstin Gammelin) Finanzminister Wolfgang Schäuble als Schlichter fungieren.
Prostituierendenschutzgesetz: Parallel zur Ersten Lesung des Gesetzentwurfes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tatigen Personen im Bundestag haben sich verschiedene Verbände erneut gegen die geplante Neuregelung ausgesprochen, so die taz (Simone Schmollack).
Justiz
BVerfG zu Hartz IV: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Vorlage zur Frage, ob Leistungen nach Hartz IV gekürzt werden dürfen, als unzulässig zurückgewiesen. Die taz (Christian Rath) fasst den Fall zusammen. lto.de (Constantin von Lijnden) weist darauf hin, dass die Begründung des Ablehnungsbeschlusses, in dem das Gericht davon spricht, dass die Vorlage des Sozialgerichtes Gotha "gewichtige verfassungsrechtliche Fragen" aufwerfe, als Fingerzeig gedeutet werden kann. Eine erneute Vorlage unter Beachtung der Zulässigkeitshürden würde möglicherweise Aussicht auf Erfolg haben.
EGMR zur Sicherungsverwahrung: spiegel.de berichtet, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die deutschen Regelungen zur Sicherungsverwahrung bestätigt hat. Der Kläger hatte sich dagegen gewandt, dass er nach verbüßter Strafe noch 24 Jahre in Sicherungsverwahrung verbringen musste, obwohl zur Zeit seiner Verurteilung eine Höchstdauer von 10 Jahren galt.
EuGH zum Namensrecht: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Weigerung eines Standesamtes, die nach britischem Recht anerkannten Vor- und Nachnamen ebenfalls anzuerkennen, eine Beschränkung der Freizügigkeit darstellen kann. Diese kann aber unter Umständen mit Erwägungen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden. Rechtsanwältin Katrin Bünger erläutert auf lto.de die Entscheidung. Auf spiegel.de wird der zugrundeliegende Sachverhalt ausführlich dargelegt.
OLG München - NSU-Verfahren: blog.zeit.de (Thomas Sundermann) berichtet über den Verhandlungstag beim NSU-Verfahren. Die anwaltlichen Vertreter der Opfer sind danach mit der Verhandlungsführung durch das Gericht nicht einverstanden und haben angekündigt, nach dem NSU-Verfahren den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen zu wollen. Dabei geht es um die Forderung, den früheren Geheimdienst-V-Mann "Primus" zu vernehmen. Außerdem wird die Aufklärung über die Vernichtung von Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz verlangt. Nach spiegel.de machen die Nebenkläger geltend, ihre Mandanten - Hinterbliebene und Angehörige der NSU-Opfer - hätten einen Rechtsanspruch auf "Klärung der staatlichen Mitverantwortung".
EuGH - Online-Kaufverträge: Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zwischen dem österreichischem Verband für Konsumenteninformation und Amazon hat der Generalanwalt seine Schlussanträge vorgelegt. Darauf weist lto.de hin. Es geht um die Frage, welche Rechtsordnung auf Online-Kaufverträge mit Verbrauchern Anwendung findet und an welchen Datenschutzbestimmungen Amazon sich messen lassen muss. Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass in Anwendung der Rom-II-Verordnung das Recht das Landes gilt, in dem der Verbraucher ansässig ist.
OVG Brandenburg - Richterbesoldung: Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg hat dem Bundesverfassungsgericht einen Fall zur Richterbesoldung vorgelegt. Die Richter sind der Auffassung, dass die seinerzeit geltenden Regelungen verfassungswidrig seien, vermeldet lto.de. Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Tariflöhne und des Verbraucherindexes sei die Besoldungsentwicklung für die Richter des Bundeslandes insgesamt gesehen zu niedrig ausgefallen.
LG Aachen zum Gladbeck-Film: Wie die SZ mitteilt, hat das Landgericht Aachen den Prozesskostenhilfeantrag des Geiselnehmers von Gladbeck Hans-Jürgen Rösner abgelehnt. Rösner wollte mit einer einstweiligen Verfügung verhindern, dass ein Film über das Geiseldrama gedreht wird. In der Begründung führt das Gericht aus, dass die angestrebte einstweilige Verfügung keine Erfolgsaussichten habe. Durch den Film würden zwar seine Persönlichkeitsrechte berührt, doch diese hätten hinter der Meinungs- und Rundfunkfreiheit zurückzustehen.
LG München - Ottfried Fischer: Das Landgericht München hat das Verfahren zwischen Ottfried Fischer und einem Redakteur der Bild eingestellt. Fischer hatte dem Redakteur vorgeworfen, seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt zu haben. Überdie Umstände des Falls und den bisherigen Verlauf berichtet spiegel.de.
Recht in der Welt
Malaysia - Flugzeugabsturz: spiegel.de teilt mit, dass die Angehörigen der Opfer des Flugzeugabsturzes Malaysian Airlines verklagen wollen. Die Maschine war vor knapp zwei Jahren auf dem Weg von Amsterdam nach Malaysia abgeschossen worden. Die Kläger werfen der Fluglinie vor, den Flug fahrlässig über ein Gebiet durchgeführt zu haben, in dem bekannterweise ein bewaffneter Konflikt herrschte.
Sonstiges
Bürgerwehr: spiegel.de (Vanessa Steinmetz) erläutert anlässlich der Vorfälle in Arnsdorf, auf welchen rechtlichen Grundlagen eine sogenannte Bürgerwehr handelt. Die Mitglieder der dortigen Bürgerwehr hatten im Mai einen Asylbewerber, dem vorgeworfen wurde, einen Ladendiebstahl begehen zu wollen, mit Kabelbinder an einen Baum gefesselt und geschlagen.
Völkermord: Anlässlich der Verabschiedung der Resolution im Bundestag zum Genozid an den Armeniern befasst sich die SZ (Ronen Steinke) mit der Frage, wann rechtlich gesehen ein Völkermord vorliegt.
Pre-Böhmermann: Die SZ (Ronen Steinke) weist darauf hin, dass 29 Jahren vor der Böhmermann-Affäre der Showmaster Rudi Carell den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Chomeini aufs Korn genommen hat. Das iranische Regime habe damals "erdoganesk" reagiert und das Goethe-Institut aus dem Land geworfen.
Dublin-II: Vom diesjährigen Verwaltungsgerichtstag und der dortigen Diskussion um die Zukunft der Dublin-II-Verordnung berichtet die FAZ (Marlene Grunert). Dublin-Recht und Dublin-Realität wiesen erhebliche Differenzen auf.
Das Letzte zum Schluss
Brian nicht am Karfreitag: Nach Meldung der SZ hat das OLG Hamm bestätigt, dass der Film "Das Leben des Brian" in Nordrhein-Westfalen nicht am Karfreitag öffentlich gezeigt werden darf. Die Aufführung verstoße gegen das Feiertagsgesetz. Die Gruppe "Religionsfrei im Revier" hatte den Film wiederholt an diesem Tag vorgeführt und damit, so dass Gericht, vorsätzlich gegen das Feiertagsgesetz verstoßen. Der Gruppe wurde ein Bußgeld von 100 Euro auferlegt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Juni 2016: Strafrecht als ultima ratio / WLAN für Alle / BVerfG zu Hartz IV . In: Legal Tribune Online, 03.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19541/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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