Sondierungsgespräche für die Jamaika-Koalition sind gescheitert – wie es weitergehen könnte. Außerdem in der Presseschau: BVerwG bestätigt Entlassung von rechtsextremem Polizisten und kuwaitische Fluglinie weigert sich, Israeli zu befördern.
Thema des Tages
Sondierungsgespräche gescheitert: In der Nacht zum Montag sind die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen gescheitert. Maximilian Steinbeis hat sich auf verfassungsblog.de vorab schon Gedanken gemacht, wie es in diesem Fall weitergehen könnte: Nach Art. 63 Grundgesetz schlägt der Bundespräsident dem Bundestag jemanden – Angela Merkel – zur Wahl zur Bundeskanzlerin vor. Vermutlich würde die in den ersten beiden Wahlgängen erforderliche absolute Mehrheit nicht erreicht werden. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit, und es würde dann dem Bundespräsidenten obliegen zu entscheiden, was ihm für Deutschlands Wohl förderlicher erscheint: Angela Merkel zur Minderheitskanzlerin zu ernennen oder Neuwahlen auszurufen. Steinbeis meint, dass bei Neuwahlen wohl erst im nächsten Sommer mit einer neuen handlungsfähigen Regierung zu rechnen sei.
Rechtspolitik
Mehr Recht in die Politik: Reinhardt Müller (Montags-FAZ) beklagt im Leitartikel, dass in der vergangenen Legislaturperiode der Justizminister zwar sehr präsent war, Rechtspolitik aber keine große Rolle gespielt habe. Das meiste, was aus dem Ministerium nach draußen gedrungen sei, hätte zwar irgendwie auch mit Recht zu tun gehabt, sich aber um Verbraucherschutz im weiten Sinn gedreht, so der Autor. Auch der einst wichtige Rechtsausschuss habe öffentlich ein Mauerblümchendasein gepflegt. Eine neue Koalition werde daran zu messen sein, wie sie zu unserer Grundordnung stehe, meint Müller.
Europäisches Urheberrecht: Wie die Samstags-FAZ (Michael Hanfeld) im Feuilleton berichtet, appelliert die Allianz Deutscher Produzenten vor der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments am kommenden Mittwoch an die Abgeordneten, "sich für die Erhaltung territorialer Rechteverwertungschancen für Film- und Fernsehproduzenten in Europa einzusetzen". Das "Territorialprinzip" ermöglicht es Produzenten und Kreativen, ihre Werke in den verschiedenen EU-Ländern einzeln zu vermarkten und so für die Refinanzierung ihrer Filme und Serien zu sorgen. Dieses Prinzip soll nach dem Willen von ARD und ZDF fallen, um den Sendern die Möglichkeit zu eröffnen, die Online-Rechte an von ihnen mitfinanzierten Werken für ganz Europa zu erwerben. In einem weiteren Artikel im Wirtschaftsteil erläutert die Samstags-FAZ (Hendrik Kafsack) die Argumente der Filmproduzenten auf der einen und der Verbraucherschützer auf der anderen Seite.
Anti-Terror-Paket Baden-Württemberg: lto.de (Annelie Kaufmann) stellt das in Baden-Württemberg beschlossene Anti-Terror-Paket vor, das unter anderem die Befugnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung enthält und von Bürgerrechtsorganisationen kritisiert wird.
Vollzeitanspruch bei Teilzeitbeschäftigung: Rechtsanwältin Regina Steiner erläutert in "Beruf und Chance" der Samstags-FAZ, warum es einer Gesetzesänderung bedarf, um Teilzeitbeschäftigten einen Rückkehranspruch auf eine Vollzeitbeschäftigung zu geben. Dieses Vorhaben war bereits im Koalitionsvorhaben der vergangenen Legislaturperiode festgeschrieben, wurde allerdings nicht umgesetzt. Bisher sieht das Gesetz nur vor, dass Teilzeitbeschäftigte bei der Besetzung von Vollzeitstellen bevorzugt zu berücksichtigen sind.
Justiz
BVerwG zu Polizist mit rechtsextremer Gesinnung: Das Bundesverwaltungsgericht hat einen zehnjährigen Streit zwischen dem Land Berlin und einem dort beschäftigten Polizeibeamten beendet und die Entlassung des Beamten aus seinem Dienstverhältnis für rechtmäßig erklärt. Dem Kommissar wurde u.a. vorgeworfen, Tätowierungen mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu tragen und in der Öffentlichkeit den Hitlergruß gezeigt zu haben. Die Leipziger Richter meinten, so berichten es Sarah Nußbaum auf lto.de, Samstags-taz (Helke Ellersiek) und Samstags-SZ (Wolfgang Janisch), dass eine Tätowierung mehr als nur Dekoration sei, vielmehr werde der Körper bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt. Wer sich als Beamter derart mit einer verfassungswidrigen Organisation oder Ideologie identifiziere, "zieht außenwirksame Folgerungen aus seiner Überzeugung und bringt eine die verfassungsmäßige Ordnung ablehnende Einstellung zum Ausdruck".
Für Wolfgang Janisch (Samstags-SZ) hat das Bundesverwaltungsgericht ein erfreulich deutliches Urteil gesprochen, das aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfte, dass es bei der Verfassungstreue von Beamten auch künftig komplizierte Grenzfälle geben werde.
StA Koblenz – Ermittlungen wegen Postbetruges: Mit einem möglichen großen Fall des Betruges befasst sich laut einem Bericht der FAS (Georg Meck) die Staatsanwaltschaft Koblenz. Hunderte Millionen Briefe sollen lediglich erfunden, aber dennoch in Rechnung gestellt worden sein. Der Schaden soll sich nach Schätzungen in der Branche auf 50 bis 100 Millionen Euro belaufen.
LG Frankfurt zur Beförderung eines israelischen Staatsbürgers: Das Landgericht Frankfurt hat in der vergangenen Woche die Klage eines israelischen Staatsbürgers gegen die Fluglinie Kuwait Airways, die sich geweigert hatte, ihn zu befördern, abgewiesen. Laut Samstags-Faz (Alexander Haneke) hatte die Fluggesellschaft auf ein kuwaitisches Boykott-Gesetz verwiesen, das es unter Strafandrohung untersagte, mit israelischen Staatsbürgern Verträge zu schließen. Das Gericht entschied, dass es der Fluglinie damit aus rechtlichen Gründen unmöglich sei, den Beförderungsvertrag zu erfüllen.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) kritisiert die Entscheidung. Es sollte zum ordre public eines zivilisierten Staates gehören, dass keinem Ausländer nur wegen seiner Staatsangehörigkeit die Einreise verweigert werden könne.
OLG München – Audi-Verfahren: Samstags-SZ (Klaus Ott) und Samstags-FAZ (Marcus Jung) berichten, dass der Haftbefehl gegen den ehemaligen Motorenentwickler bei der Volkswagen-Tochter Audi, Giovanni P., aufgehoben wurde und er die Untersuchungshaftanstalt verlassen konnte. Das OLG München sei zu der Ansicht gelangt, der Beschuldigte habe durch umfangreiche Vernehmungen seine Kooperationsbereitschaft gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet, heißt es in der SZ. Sein Erscheinen zu weiteren Vernehmungen sei durch die Auflagen gesichert.
OLG Köln zu "CDSU": Das Oberlandesgericht Köln hat in zweiter Instanz der CDU recht gegeben und ein Ordnungsgeld gegen den Gründer der Partei mit dem Namen "Union der Christlichen und Sozialen Demokraten (CDSU)" bestätigt und in der Summe sogar gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung erhöht. Die CDU müsse es nicht dulden, dass in Bayern der Landesverband einer politischen Partei gegründet wird, der ihren Namen trägt oder den Anschein erweckt, ihr organisatorisch nahe zu stehen, so das Gericht laut lto.de.
AG Gießen – Werbung zum Schwangerschaftsabbruch: Wie die Samstags-taz (Dinah Riese) berichtet, muss sich vor dem Amtsgericht Gießen eine Ärztin verantworten, die von Abtreibungsgegnern angezeigt wurde, weil sie auf ihrer Internetseite über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in ihrer Praxis informierte. Der Strafvorwurf bezieht sich auf § 219a StGB, der die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe stellt. In den Bundestagsfraktionen der Linken, der Grünen und der SPD wird bereits über eine Gesetzesänderung nachgedacht.
OLG München – NSU-Verfahren: Einer der Nebenkläger im NSU-Verfahren, der Rechtsanwalt Ralph W., hat ein Opfer vertreten, das es gar nicht gibt. Ralph W. hat für das angebliche Opfer Meral Keskin insgesamt an mehr als 230 Prozesstagen teilgenommen. Jetzt hat das Oberlandesgericht gut 200.000 Euro an Reisekosten und Vorschüssen auf Sitzungsgebühren zurückgefordert. Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt seit 2015 wegen Betruges gegen den Anwalt. Die Montags-SZ (Wiebke Ramm) berichtet über den Fall.
BVerfG zur Anwaltszulassung bei "Unwürdigkeit": Der gegen die Versagung der Anwaltszulassung gerichteten Verfassungsbeschwerde einer Assessorin hat das Bundesverfassungsgericht stattgegeben. Die Rechtsanwaltskammer Köln hatte die Zulassung versagt, weil die Frau während ihrer Referendarzeit den sie ausbildenden Staatsanwalt beleidigt hatte und deshalb in den Augen der Kammer gemäß § 7 Nr. 5 Bundesrechtsanwaltsordnung "unwürdig erschien, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben". Der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen bestätigte die Entscheidung der Kammer, der Bundesgerichtshof lehnte die Nichtzulassungsbeschwerde ab. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, wie lto.de (Alexander Cremer) und Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) berichten, dass die Versagung der Zulassung durch die Kammer und die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes die Juristin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz verletzen. Zwar seien beide zutreffend davon ausgegangen, dass eine Einschränkung der freien Berufswahl nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ist. Eine diesen Anforderungen entsprechende einzelfallbezogene Abwägung fehle allerdings, so die Karlsruher Richter. Der Anwaltsgerichtshof muss jetzt erneut über die Sache entscheiden.
AG Hannover – Angriff auf Sanitäter: Die Montags-taz weist auf ein am Montag beginnendes Verfahren vor dem Amtsgericht Hannover hin, in dem sich der Angeklagte rechtfertigen muss, weil er einen Sanitäter, der eigentlich seine Kopfwunde versorgen wollte, angegriffen haben soll. Im vergangenen Jahr erstatteten 155 Sanitäter und Feuerwehrleute in Niedersachsen bei der Polizei Strafanzeige, weil sie beleidigt oder tätlich angegriffen worden seien, heißt es im Bericht.
LG Düsseldorf zu amerikanischen Gasteltern: Das LG Düsseldorf hat zu klären, ob Gasteltern, die auf einer Militärbasis wohnen, geeignet für einen Austauschschüler sind. lto.de berichtet über den Fall. Der Vater des Schülers hatte den geplanten einjährigen Aufenthalt seines damals 16 Jahre alten Sohnes storniert, nachdem er herausbekommen hatte, dass dessen Gastfamilie auf der US-Basis Fairchild im Bundesstaat Washington lebt. Einen Teil der Zahlungen hatte er bereits zurückerhalten, es geht jetzt noch um einen Restbetrag von 6.600 Euro. Das Gericht will am 18. Dezember eine Entscheidung verkünden.
Recht in der Welt
Großbritannien – "Gender Recognition Bill": Die Montags-FAZ (Jochen Buchsteiner) widmet sich der in Großbritannien geplanten Reform des Gesetzes zur Geschlechteranerkennung. Danach soll künftig eine einfache Erklärung ausreichen, um das Geschlecht zu ändern. Wer sich einem "nicht-binären Geschlecht" angehörig fühlt, soll dies ebenfalls aktenkundig machen können.
Österreich – Verhüllungsverbot: Der Spiegel (Maik Großekathöfer) berichtet über die Hintergründe des bevorstehenden Gerichtsverfahrens gegen eine junge Frau, die mit einem über den Mund gezogenen Schal gegen das seit einigen Wochen geltende Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, im Volksmund auch Burka-Verbot genannt, verstoßen hat.
ICTY – Fall Mladić: Anlässlich des offiziellen Endes des Internationalen Strafgerichtshofes für das frühere Jugoslawien zeichnet die Montags-FAZ (Michael Martens) noch einmal die spektakuläre, fast 16 Jahre dauernde Flucht des Serbenführers Ratko Mladić nach.
Das Letzte zum Schluss
E.T. und das Recht: Dass auch außerirdische Einflüsse auf Rechtsprechung und Rechtsdenken wirken können, weist Martin Rath in seinem Feuilletonbeitrag auf lto.de nach.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage
Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. November 2017: Jamaika-Sondierung gescheitert / BVerwG zu rechtsextremem Polizisten / LG Frankfurt zu Beförderungspflicht . In: Legal Tribune Online, 20.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25597/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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