Während des G20-Gipfels wurde einer Reihe von Journalisten nachträglich die Akkreditierung zur Berichterstattung entzogen – ohne die gesetzlichen Voraussetzungen zu beachten und ermessenfehlerhaft, wie das VG Berlin nun entschied.
Die Bilder vom G20-Gipfel 2017 in Hamburg bleiben vor allem wegen der heftigen Auseinadersetzung von Protestierenden und Polizisten in der Hansestadt in Erinnerung. Während des Gipfels wurden auch mehreren Journalisten nachträglich die Akkreditierung zur Berichterstattung entzogen – rechtswidriger Weise, wie am Mittwoch das Verwaltungsgericht (VG) Berlin urteilte, weil weder die Voraussetzungen dafür vorlagen, noch das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde (Urt. v. 20.11.2019, Az. VG 27 K 516.17, 519.17).
Das Urteil des Berliner VG könnte auch noch Bedeutung für weitere Fälle haben. Denn an dem Tag wurden einer Reihe von Journalisten die Akkreditierung entzogen. Die Zahl lag nach früheren Angaben der Bundesregierung bei 32. Damals war der Schritt mit sicherheitsrelevanten Erkenntnissen begründet worden. Bei einer Akkreditierung handelt es sich um eine Zulassung für Journalisten zu Terminen, die im Vorfeld angemeldet werden muss.
Bund: Sicherheitslage habe sich "dramatisch" verändert
Der G20-Gipfel vor gut zwei Jahren war überschattet von heftigen Krawallen in der Hansestadt. Ein Jurist, der für die Seite des Bundes sprach, betonte in der Verhandlung, dass sich die Sicherheitslage in der Stadt während des Gipfels "dramatisch" verändert habe. Man habe unter hohem Zeitdruck eine Entscheidung treffen müssen, ob man die Akkreditierung der Journalisten wieder entziehen müsse.
Vom Verfassungsschutz habe es geheißen, dass bei den besagten Journalisten eine Nähe zu linksextremen Gruppierungen bestehe. Das habe man in der Situation wegen des Zeitdrucks nicht konkret überprüfen können. Man habe kein Risiko eingehen wollen und habe sich dann für den Ausschluss entschieden. Die Regierungsseite beantragte deshalb, die Klagen abzuweisen.
Die Anwälte der Kläger betonten hingegen, dies sei ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit gewesen. Konkrete Vorwürfe hätten nicht vorgelegen, und die Entscheidung sei nicht aufgrund von veränderten Sachverhalten getroffen worden. Das Bundespresseamt hätte außerdem beim Verfassungsschutz nachfragen müssen.
VG: Interessenabwägung ist unterblieben
Das VG Berlin hat den Klagen der beiden Journalisten stattgegeben, weil ihnen die Akkreditierungen rechtswidrig entzogen worden seien. Nach Ansicht der Richter der 27. Kammer lagen die Voraussetzungen nicht vor, einen begünstigenden Verwaltungsakt nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu widerrufen. Dazu ist die Behörde nur berechtigt, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die das öffentliche Interesse ohne den Widerruf gefährden würden.
Das Berliner VG erkannte aber weder nachträglich eingetretene Tatsachen, die das Bundespresseamt damals berechtigt hätten, die Akkreditierung nicht zu erlassen. Noch erkannte es drohende schwere Nachteile für das Gemeinwohl ohne den erfolgten Widerruf. Unabhängig davon sei die Widerrufsentscheidung auf Rechtsfolgenseite auch ermessenfehlerhaft, weil eine Interessenabwägung unterblieben sei, so die Kammer.
Es ist nach Gerichtsangaben das erste Mal, dass Klagen zu den nachträglich entzogenen Akkreditierungen beim G20-Gipfel verhandelt werden. Insgesamt liegen dem Berliner VG, das wegen des Dienstsitzes des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung zuständig ist, neun Klagen vor. Die Bundesregierung kann gegen die heutige Entscheidung noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg stellen.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
VG Berlin zur Pressefreiheit: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38813 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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