Druckversion
Montag, 19.05.2025, 00:41 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/olg-hamm-5ws6442-kopftuch-verbot-schoeffin-amtsenthebung-streichung-schoeffenliste
Fenster schließen
Artikel drucken
54521

OLG Hamm zum staatlichen Neutralitätsgebot: Schöffin darf in Ver­hand­lung kein Kopf­tuch tragen

von Charlotte Hoppen

10.05.2024

Eine Frau mit Kopftuch (Symbolbild)

Eine Schöffin, die sich weigert, in der Gerichtsverhandlung ihr Kopftuch abzulegen, darf von der Schöffenliste gestrichen werden, so das OLG Hamm. Foto: stock.adobe.com/Drobot Dean.

Dass der Staat es Richterinnen verbieten darf, mit Kopftuch auf der Richterbank Platz zu nehmen, ist bekannt. Das OLG Hamm stellt nun klar: Das gilt auch für Schöffinnen. Es gewährt damit dem staatlichen Neutralitätsgebot Vorrang.

Anzeige

Als Richterin, Staatsanwältin oder Rechtsreferendarin mit Kopftuch eine Gerichtsverhandlung leiten oder den staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst wahrnehmen? Das darf der Gesetzgeber verbieten. Dass solche Verbote verfassungsgemäß sind, entschied beispielsweise im Jahr 2020 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu Rechtsreferendarinnen bei ihrer praktischen Ausbildung im Gerichtssaal (Beschl. v. 14.01.2020, Az. 2 BvR 1333/17).

Das BVerfG führte vor vier Jahren hierzu aus: Zwar stelle die Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, einen Eingriff in die Glaubensfreiheit und weitere Grundrechte der Referendarin dar. Dieser ist laut den Karlsruher Verfassungsrichtern aber gerechtfertigt. So kämen als rechtfertigende Verfassungsgüter "die Grundsätze der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht." Im Rahmen der Interessenabwägung gelangt das Gericht zu dem Ergebnis: "Hier kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen ein derart überwiegendes Gewicht zu, das dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben."

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschied nun: Auch eine Schöffin darf auf der Richterbank keine religiösen Symbole offen zur Schau tragen (Beschl. v. 11.04.2024, Az. 5 Ws 64/24).

Hintergrund des Verfahrens war, dass eine Schöffin am Amtsgericht (AG) Dortmund angekündigt hatte, aus Bekenntnisgründen ein Kopftuch zu tragen und hierauf auch in der gerichtlichen Verhandlung nicht verzichten zu können. Der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses hatte deshalb beantragt, die bereits gewählte Schöffin ihres Amtes zu entheben (§ 51 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG). Das Tragen des Kopftuches während der Sitzung verstoße gegen § 2 Abs. 1 Justizneutralitätsgesetz NRW (JNeutG NRW). Danach gilt: Beschäftigte sowie ehrenamtliche Richter dürfen in der gerichtlichen Verhandlung keine wahrnehmbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen.

Die Schöffin erklärte bei ihrer vorgerichtlichen Anhörung, dass sie mit dem Kopftuch keine religiöse oder weltanschauliche Auffassung zum Ausdruck bringen wolle, sondern das Tragen des Kopftuches als religiöse Pflicht verstehe. Schon ohne Kopftuch sei sie äußerlich als Muslimin wahrzunehmen. Durch eine kopftuchtragende Schöffin werde die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet und die gesellschaftliche Akzeptanz von Gerichtsurteilen erhöht, meinte sie.

Frau darf von der Schöffenliste gestrichen werden

Dieser Argumentation der Schöffin schloss sich das OLG Hamm nicht an. Den Antrag des Vorsitzenden des Jugendschöffenausschusses auf Amtsenthebung der Schöffin lehnte das Gericht aber trotzdem ab. Der Grund: Ihre Weigerung, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, stelle keine gröbliche Amtspflichtverletzung dar, die im Sinne von § 51 Abs. 1 GVG erforderlich ist.

Es sei zwar richtig, dass die Weigerung der Schöffin, während der Gerichtsverhandlung auf das Tragen des Kopftuches zu verzichten, gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW verstößt, so das Gericht. Gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs. 1 JNeutG NRW bestünden auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn das Verbot des Tragens religiöser Symbole während der Gerichtsverhandlung stelle sich im Hinblick auf den hohen Rang des staatlichen Neutralitätsgebots und die geringe Eingriffsintensität als verhältnismäßig dar.

Es fehle aber eine "gröbliche Amtspflichtverletzung", die nach § 51 Abs. 1 GVG für eine Amtsenthebung zwingende Voraussetzung ist. Vielmehr sei die Weigerung, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, eine (sonstige) Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes und falle damit unter § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG ist ein Schöffe von der Schöffenliste zu streichen, wenn seine Unfähigkeit zum Amt eintritt oder bekannt wird.

Tragen eines Kopftuchs ist keine gröbliche Amtspflichtverletzung

Das Amtsenthebungsverfahren nach § 51 Abs. 1 GVG und die Streichung von der Schöffenliste nach § 52 Abs. 1 GVG stünden in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander, so das OLG. Unter welche Norm religiöse Symbole fallen, sei in der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beantwortet worden.

Das OLG Hamm vertritt nunmehr aber die Auffassung, eine kopftuchtragende Schöffin sei ein Fall für die Streichung von der Schöffenliste (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG). Denn eine "gröbliche Verletzung der Amtspflichten" im Sinne von § 51 GVG wäre nur gegeben bei einem Verhalten der Schöffin, nach dem sie aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten nicht mehr die Gewähr dafür biete, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Vorliegend ginge es indes nicht um ein Fehlverhalten der Schöffin – diese praktiziere vielmehr lediglich ihre durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsausübungsfreiheit –, sondern um eine Kollision der grundrechtlich geschützten Religionsausübung mit den staatlichen Neutralitätsvorgaben.

Obwohl das OLG also im Kopftuchtragen einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW sieht, musste es den Antrag ablehnen: Für eine Amtsenthebung liegen s einer Auffassung nach die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor. Für die Streichung aus der Schöffenliste dagegen schon, hierfür sei aber nicht das OLG, sondern der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses zuständig.

Nach der Bestätigung durch das OLG Hamm wird der Ausschuss die Schöffin wohl von der Schöffenliste streichen. Dessen Entscheidung ist nach § 52 Abs. 4 GVG unanfechtbar.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

OLG Hamm zum staatlichen Neutralitätsgebot: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54521 (abgerufen am: 19.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Kopftuch
    • Neutralitätsgebot
    • Religion
    • Religionsgemeinschaften
    • Schöffen
  • Gerichte
    • Oberlandesgericht Hamm
Die ehemalige Rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer 05.05.2025
Nachrichten

Nach VGH-Urteil zu Dreyers Demo-Aufruf:

AfD erhebt Ver­fas­sungs­be­schwerde

Die rheinland-pfälzische AfD will das Urteil des VGH Rheinland-Pfalz im Streit um Aussagen der ehemaligen Ministerpräsidentin Malu Dreyer nicht akzeptieren. Jetzt soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Artikel lesen
Schöffen und Richter des LG Hamburg bei einer Verhandlung am 12.12.2023 03.05.2025
Meinung

Reaktion auf LTO-Gastbeitrag zur Einschränkung und Abschaffung der Schöffenbeteiligung:

Besser weniger Ein­zel­richter

Gerade weil Strafverfahren mehr sind als reine Rechtsanwendung sind Schöffen alles andere als "überholt". Und vor allem: Sie sind verfassungsrechtlich legitimiert. Wer sie abschaffen will, braucht sehr gute Argumente, schreibt Hasso Lieber.

Artikel lesen
Das Bild zeigt eine Frau im Niqab, die am Steuer sitzt. Das Verbot betrifft Sichtbarkeit und Sicherheit beim Autofahren. 29.04.2025
Nachrichten

OVG Berlin-Brandenburg bestätigt Verbot:

Kein Niqab am Steuer

Kann ein Niqab am Steuer ausnahmsweise für muslimische Frauen zugelassen werden? Die Frage ist seit Jahren umstritten. Das OVG Berlin-Brandenburg nimmt dazu Stellung und bleibt auf der Rechtsprechungslinie anderer Oberverwaltungsgerichte.

Artikel lesen
Mit dem Segen "Urbi et orbi" trat der neu gewählte Papst Franziskus im März 2013 vor die Menge am Petersplatz. 22.04.2025
Papstwahl

Nach dem Tod von Franziskus:

Wie das Kon­klave den neuen Papst wählt

Nach dem Tod von Papst Franziskus beginnen die Vorbereitungen auf die Wahl seines Nachfolgers. Thomas Traub erläutert, wer wen zum Papst wählen kann und wie aus verbrannten Stimmzetteln schwarzer oder weißer Rauch wird.

Artikel lesen
Gedenktafel an die Opfer, die aus religiösen Gründen in das KZ Buchenwald kamen 20.04.2025
Rechtsgeschichte

Verfolgung der Zeugen Jehovas durch das NS-Regime:

Wenn es nach der Hin­rich­tung auf ein "nur" ankommt

Im öffentlichen Ansehen rangieren sie heute harmlos in der Nähe von Freikirchen oder Scientology. Von der NS-Justiz wurden die Zeugen Jehovas scharf verfolgt, eine Entschädigung nach dem Krieg hing oft an einem seidenen Argumentationsfaden.

Artikel lesen
Szenen aus dem LG Berlin 10.04.2025
Schöffen

Schöffen haben keinen Anspruch auf Urteilsabschrift:

Unnö­tige Ung­leich­be­hand­lung ehrenamt­li­cher Richter

Schöffen sind nach der Urteilsverkündung wieder Privatpersonen – und können damit nicht die Urteilsabschrift verlangen. Für eine Ungleichbehandlung mit anderen ehrenamtlichen Richtern gibt es keine sachlichen Gründe, meint Norman Uhlmann.

Artikel lesen
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Neu­rup­pin

Logo von CMS Deutschland
Rechts­re­fe­ren­dar (m/w/d) für die Wahl­sta­ti­on im CMS EU Law Of­fice in...

CMS Deutschland , Brüs­sel

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Prak­ti­kan­ten

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Schlun & Elseven Rechtsanwälte PartG
Rechts­an­wäl­tin/Rechts­an­walt (m/w/d) im Mi­g­ra­ti­ons- und...

Schlun & Elseven Rechtsanwälte PartG , Köln

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Ju­ris­ti­sche Mit­ar­bei­ter & Re­fe­ren­da­re | Ar­beits­recht | Ber­lin, Frank­furt,...

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Ju­ris­ti­sche Mit­ar­bei­ter & Re­fe­ren­da­re | Ar­beits­recht | Ber­lin, Frank­furt,...

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Frank­furt am Main

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Karriere-Powerworkshops "Erfolgsfaktor Personal Branding"

20.05.2025

Juristinnen netzwerken ... - After Work live in Köln

22.05.2025, Köln

Rechnungslegung in der Non-Profit-Organisation

20.05.2025

Online Info Session Jurastudium (LL.B., EjP)

21.05.2025

25. Düsseldorfer Insolvenztage 2025

22.05.2025, Düsseldorf

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH