Druckversion
Dienstag, 18.11.2025, 05:38 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/lg-braunschweig-7o3677-18-organspende-skandal-goettingen-arzt-schadensersatz
Fenster schließen
Artikel drucken
37625

Göttinger Organspende-Skandal: 1,1 Mil­lionen Euro für frei­ge­spro­chenen Arzt

13.09.2019

Mediziner in Handschellen (Symbol)

Daniel - stock.adobe.com

Fast ein Jahr lang saß ein Arzt wegen des Göttinger Organspendeskandals in Untersuchungshaft. Er verpasste deshalb einen Spitzenjob in Jordanien. Das LG Braunschweig sprach ihm nun Schadensersatz in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu.

Anzeige

Statt in deutscher U-Haft zu sitzen, hätte er in Jordanien 50.000 US-Dollar pro Monat verdienen können. Ein im Göttinger Transplantationsskandal freigesprochener Chirurg soll dafür mit mehr als einer Million Euro vom Land Niedersachsen entschädigt werden. Das entschied das Landgericht (LG) Braunschweig am Freitag (Urt. v. 13.09.2019, Az. 7 O 3677/18). Das Land müsse dem Mediziner rund 1,1 Millionen Euro Schadensersatz nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG) zahlen.

Mit dem Urteil kam das Gericht im Wesentlichen den Forderungen des 51-Jährigen nach, der etwas mehr als 1,2 Millionen Euro einklagen wollte. Den mit Abstand größten Posten begründete der Mediziner mit dem verpassten Spitzenjob in einer Klinik in der jordanischen Hauptstadt Amman. Kurz vor der Abreise wurde er im Januar 2013 in Deutschland festgenommen und später im Transplantationsskandal angeklagt. Daneben verlangte der Mediziner Ersatz eines Zinsschadens für die Bereitstellung einer Kaution sowie die Kosten für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde.

In einem bundesweit aufsehenerregenden Prozess hatte ihn das Landgericht Göttingen 2015 vom Vorwurf des elffachen versuchten Totschlags und der dreifachen Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Die Richter bescheinigten ihm damals zwar, er habe medizinische Daten manipuliert, um schneller Spenderorgane für seine Patienten zu bekommen. Aber das Gericht entschied auch: Das Verhalten des Chirurgen war auf Basis der damaligen Rechtslage nicht strafbar. Der Bundesgerichtshof schloss sich dieser Auffassung an und verwarf die Revision der Staatsnwaltschaft. Der Mann erhielt daraufhin bereits eine Entschädigung in Höhe von 8.500 Euro für die erlittene Untersuchungshaft. Seine Verfassungsbeschwerde zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit seiner Inhaftierung nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an.

50.000 Dollar pro Monat verpasst

Die Braunschweiger Zivilkammer sah es nun als erwiesen an, dass der 51-Jährige einen Verdienstausfall wegen der U-Haft erlitten hat. Dieser sei grundsätzlich auszugleichen, auch wenn ein fest vereinbartes Arbeitsverhältnis nicht angetreten werden könne, sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Es gab zwar keinen schriftlichen Vertrag mit der Klinik, der Kläger verwies aber auf eine mündliche Vereinbarung, die per Handschlag getroffen worden sei.

Der Chefarzt des Hospitals in Jordanien hatte dies als Zeuge für das Gericht glaubhaft bestätigt. Die Klinik habe ein ägyptisches Team einfliegen müssen, weil der Arzt seinen Dienst nicht wie vereinbart angetreten war, hatte der Leiter ausgesagt. Das Gehalt von 50.000 US-Dollar begründete er aus Sicht des Gerichts nachvollziehbar.

"Wir sind mit dem Urteil sehr zufrieden", ließ Klägeranwalt Jürgen Hoppe auf Anfrage mitteilen. Verhalten reagierte dagegen die Gegenseite: "Aufgrund des noch nicht rechtskräftigen abgeschlossenen Zivilverfahrens, in dem das Land Niedersachsen beklagte Partei ist, werden derzeit zu diesem Urteil keine Auskünfte erteilt", sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig. Ein Vertreter des Landes hatte im Verfahren starke Zweifel daran geäußert, dass der Chirurg in Jordanien ein derart hohes Gehalt bekommen hätte. Eine Berufung ist möglich.

Mediziner arbeitet mittlerweile in Jordanien

Das Auffliegen des Organspendeskandals in Göttingen hatte 2012 weitreichende Folgen. An mehreren deutschen Kliniken wurden Manipulationen aufgedeckt, wodurch das Vertrauen in die Transplantationsmedizin nachhaltig erschüttert wurde. Nach Angaben der Deutschen Transplantationsgesellschaft stehen Manipulationen wie in Göttingen inzwischen klar unter Strafe. Nach dem Skandal seien Regeln verschärft worden. Mittlerweile hätten Verstöße wie der des früheren Göttinger Mediziners klar definierte, strafrechtliche Konsequenzen.

Komplett anders sieht das die Deutsche Stiftung Patientenschutz. "Mit dem Skandal wurde versprochen, dass die Täter die gesamte Härte des Gesetzes zu spüren bekommen werden", sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. "Jetzt ist klar, es waren nur leere Worte", sagte er als Reaktion auf das Urteil vom Freitag.

Zur Verkündung war keine der beiden Parteien ins Gericht gekommen. Der freigesprochene Mediziner arbeitet nach eigenen Angaben mittlerweile für das Krankenhaus in der jordanischen Hauptstadt. Was er dabei seit 2017 verdient, wollte er vor Gericht nicht sagen. Er darf jetzt zusätzlich mit der Entschädigungszahlung von rund 1,1 Millionen Euro rechnen. Dass er nach dem Skandal in Deutschland ohne berufliche Perspektive war, schien in dem Verfahren unstrittig.

dpa/acr/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Göttinger Organspende-Skandal: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37625 (abgerufen am: 18.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Zivil- und Zivilverfahrensrecht
    • Ärzte
    • Haft
    • Organspende
    • Schadensersatz
    • Strafverfahren
  • Gerichte
    • Landgericht Braunschweig
Ein Zahnarztstuhl in ekelhaftem Rosa 17.11.2025
Schadensersatz

Patient haftet nicht für beschädigten Zahnarztstuhl:

"Übliche Bewe­gungen im Rahmen des Sich-bequem-Machens"

Zahnarzt verklagt Patienten: Weil der so groß und ungeschickt sei, habe er den Behandlungsstuhl zerstört. Das AG München sieht aber kein Verschulden. Ein Zahnarztstuhl müsse aushalten, dass es sich auch große Menschen auf ihm bequem machen.

Artikel lesen
Suchzeile der Suchmaschine Google auf einem iPad 14.11.2025
Nachrichten

LG Berlin II sieht Kartellrechtsverstöße:

Google muss Idealo 465 Mil­­lionen Euro zahlen

Google gilt bei vielen als der Inbegriff der Suchmaschine. Diese Machtstellung auf dem Markt kommt jedoch mit Wettbewerbspflichten. Diese hat Google verletzt, entschied das LG Berlin II und sprach Idealo Schadensersatz in Millionenhöhe zu.

Artikel lesen
Im OP Saal wird ein Skapell angereicht. 13.11.2025
Skurriles

"Ich wollte ihm etwas Gutes tun":

Mann wegen Penis-Ampu­ta­tion ver­ur­teilt

Ein Mann wurde in Österreich zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er in einem Berliner Sado-Maso-Studio bei einer Penis-Amputation mitwirkte. Sich selbst verstümmelte er auch.

Artikel lesen
Christina Block sieht in den Verhandlungssaal 12.11.2025
Prominente

Tonaufnahmen der Block-Kinder aus der Entführungsnacht:

"You're going to your Mama!"

Das Gericht gibt bekannt, warum die Befangenheitsanträge zurückgewiesen wurden. Danach erschüttern persönliche Audioaufnahmen aus der Silvesternacht 2023/24 den Saal. Der 22. Verhandlungstag im Block-Prozess hatte es in sich.

Artikel lesen
Zwei Polizisten von hinten 12.11.2025
Beamte

BGH zum Begriff der "anderen Justizbehörde":

Dienst­herr bekommt keine Ein­sicht in Akten aus dem Ermitt­lungs­ver­fahren

Wegen Missbrauchsvorwürfen liefen sowohl ein Ermittlungsverfahren als auch ein Disziplinarverfahren gegen einen Polizisten. Doch Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft bekommt der Dienstherr nicht ohne Weiteres, so der BGH.

Artikel lesen
Kräftemessen unter Pferden (Symbolbild) 12.11.2025
Tiere

LG Koblenz bejaht Schadensersatzanspruch:

Ran­gelnde Hengste beschä­d­igen Stall und ver­letzen sich

Der Offenstall ermöglicht artgerechte Haltung, birgt aber auch Gefahren: Dass sich Hengste darin rangeln, den Stall beschädigen und sich daraufhin verletzen können, hätte eine Stallbetreiberin in diesem Fall vorhersehen können, so das LG.

Artikel lesen
lto karriere logo

Deine Karriere beginnt hier.

Registrieren und nie wieder einen Top-Job verpassen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von DFH Gruppe
Voll­ju­ris­ten/Syn­di­kus­rechts­an­walt (m/w/d) für den Be­reich Pri­va­tes...

DFH Gruppe , Sim­mern

Logo von Schöfer, Jeremias & Kollegen
Rechts­an­walt (m/w/d) Zi­vil­recht

Schöfer, Jeremias & Kollegen , Mün­chen

Logo von ENERTRAG SE
Rechts­re­fe­ren­dar (m/w/d) - Ber­lin/Dau­er­thal

ENERTRAG SE , Ber­lin

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Dentons
Re­fe­ren­dar (m/w/d) Li­ti­ga­ti­on & Dis­pu­te Re­so­lu­ti­on

Dentons , Frank­furt am Main

Logo von ARQIS
Re­fe­ren­dar (m/w/d) Re­gu­lato­ry

ARQIS , Ber­lin

Logo von DLA Piper UK LLP
(Se­nior) As­so­cia­te (m/w/x) im Be­reich En­er­gie­recht

DLA Piper UK LLP , Düs­sel­dorf

Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Düs­sel­dorf...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Düs­sel­dorf

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Digitale Kamingespräche: Wie arbeitet man eigentlich im DFG-Fachkollegium Privatrecht?

19.11.2025

Miet- und Bauprozessrecht I - Erstinstanzliches Verfahren

18.11.2025

Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von Personengesellschaften – MoPeG-Folgeänderungen

18.11.2025

Haftungsbescheid gegen den Mandanten – Was ist zu tun? Grundlagen und aktuelle Entwicklungen

18.11.2025

Vermögensschutz in schuldrechtlicher, testamentarischer und gesellschaftsrechtlicher Sicht

18.11.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH