Ein unbegleiteter Minderjähriger, der während des Asylverfahrens volljährig wird, behält sein Recht auf Familienzusammenführung. Das stehe auch nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten, so der EuGH.
Ein unbegleiteter Minderjähriger, der während des Asylverfahrens volljährig wird, behält sein Recht auf Familienzusammenführung. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden (Urt. v. 12.04.2018, Az. C-550/16). Allerdings muss der Antrag innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden. Diese Frist beträgt grundsätzlich drei Monaten ab dem Tag, an dem der Minderjährige als Flüchtling anerkannt worden ist.
Eine 17-Jährige reiste unbegleitet in die Niederlande ein und stellte am 26. Februar 2014 einen Asylantrag. Sie wurde am 2. Juni 2014 volljährig. Sie bekam im Oktober einen auf fünf Jahre befristeten Aufenthaltstitel für Asylberechtigte, der auf den Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags zurückwirkte. Im Dezember folgte dann der Antrag auf Familienzusammenführung für die Eltern (A und S) und drei minderjährige Brüder. Dieser Antrag wurde mit der Volljährigkeit als Begründung abgelehnt. Die Eltern klagten und das zuständige Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, welcher Zeitpunkt bei der Richtlinie über die Familienzusammenführung (RiLi 2003/86/EG) entscheidend sei.
Kein Ermessen der Mitgliedstaaten
Für den EuGH ist die klar: Entscheidend für die Einstufung als Minderjährige ist der Zeitpunkt der Stellung des Asylantrages. Der Lage von Minderjährigen, die flüchten mussten und kein normales Familienleben führen können, müsse besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Daher sehe die Richtlinie günstigere Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a vor.
Das Recht auf Familienzusammenführung stehe auch nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Auch der Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit könne nicht dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleiben, auch wenn er nicht explizit geregelt sei.
Den Zeitpunkt hat der EuGH nun über die Auslegung des Wortlauts, der Struktur und des Ziels der Richtlinie unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs, in den sie sich einfügt, und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts festgelegt.
Der könne jedenfalls nicht von der förmlichen Entscheidung einer Behörde abhängen, und "damit von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung", teilt der EuGH mit. Das liefe dem Ziel der Richtlinie, den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit, zuwider. Eine solche Auslegung habe nämlich zur Folge, dass zwei unbegleitete Minderjährige gleichen Alters, die ihren Antrag auf internationalen Schutz zum gleichen Zeitpunkt stellen, je nach der Bearbeitungsdauer ihrer Anträge unterschiedlich behandelt werden könnten. Sie hätte zur Folge, dass die Familienzusammenführung für den Minderjährigen völlig unvorhersehbar wäre, was die Rechtssicherheit beeinträchtigen könnte.
Antrag muss innerhalb angemessener Frist erfolgen
Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung hingegen ermögliche die gleiche und vorhersehbare Behandlung vergleichbarer Antragsteller und die Familienzusammenführung hänge in erster Linie von Umständen ab, die in der Sphäre der Antragsteller liegen, nicht aber von Umständen, die in der Behördensphäre liegen. In einer solchen Situation muss nach Ansicht des EuGH jedoch der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden - und zwar grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab dem Tag, an dem der Minderjährige als Flüchtling anerkannt worden ist.
Nun bleibt es Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
tap/LTO-Redaktion
EuGH zum Familiennachzug: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28023 (abgerufen am: 01.12.2024 )
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