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50051

Nebenbestimmungen von Verwaltungsakten: BVerwG einigt sich im Streit um iso­lierte Anfech­tung

von Paula Binder

03.11.2022

BVerwG in Leipzig

Der 4. und der 8. Senat des BVerwG stritten sich über die isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts. Foto: mojolo/stock.adobe.com

Zwei Senate stritten über die isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts und eine Entscheidung durch den Großen Senat stand im Raum. Nun änderte der 8. Senat aber seine Auffassung – und der Streit ist damit beigelegt.

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Eine isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen kann auch dann begründet sein, wenn der verbleibende Verwaltungsakt rechtswidrig ist - der Wegfall der rechtswidrigen Nebenbestimmung hierfür aber nicht kausal war. Das hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in seinem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom März dieses Jahres entschieden und sich damit gegen die bisherige Rechtsprechung des 8. Senats gestellt (Beschl. v. 29.03.2022, Az. BVerwG 4 C 4.20). Doch nun lenkte dieser ein und schloss sich der Auffassung des 4. Senats an (Beschl. v. 12.10.2022 -BVerwG 8 AV 1.22).*

Darum geht es: Während die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die isolierte Anfechtungsklage gegen Nebenbestimmungen in der Literatur seit jeher umstritten sind, hält das BVerwG die Klage seit seiner Leitentscheidung aus dem Jahr 2000 (BVerwGE 112, 221) dann für statthaft, wenn die isolierte Aufhebbarkeit nicht offenkundig von vornherein ausscheidet. Begründet ist sie dann, wenn erstens die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und zweitens der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Die Anfechtungsklage ist damit in der Regel statthaft. Das einschränkende Kriterium wird erst in der Begründetheit eingeführt - und um dieses war ein Streit zwischen den Senaten entfacht. 

Dabei geht es um folgenden Fall: Die isoliert angefochtene Nebenbestimmung ist rechtswidrig. Darüber hinaus ist auch der nach der isolierten Anfechtung verbleibende Verwaltungsakt rechtswidrig. Ursächlich für die Rechtswidrigkeit ist aber nicht der Wegfall der Nebenbestimmung, sondern ein anderer, den Verwaltungsakt betreffender Grund. 

Verdeutlichen lässt sich das an dem Fall, mit dem sich der 4. Senat beschäftigt hat: Der Kläger erhielt eine befristete Baugenehmigung für eine mobile Gastankstelle. Mit einer Anfechtungsklage wehrte er sich gegen die Befristung. Die Baugenehmigung hätte auch ohne die Befristung erteilt werden können. Sie ist also nicht deshalb rechtswidrig, weil die Befristung entfällt. Ist die Genehmigung der Tankstelle jedoch beispielsweise aus bauplanungsrechtlichen Gründen rechtswidrig, kann der Kläger nach bisheriger Ansicht des 8. Senats die Befristung schon deshalb nicht isoliert anfechten.

Bisher Uneinigkeit zwischen den Senaten 

Demnach (Urt. v. 06.11.2019, Az. 8 C 14.18) konnte eine Nebenbestimmung nämlich nicht isoliert aufgehoben werden, wenn der verbleibende Verwaltungsakt rechtswidrig ist - auch wenn die Rechtswidrigkeit nicht durch den Wegfall der Nebenbestimmung ausgelöst wird. Die Richter argumentierten, ein Anspruch auf einen begünstigenden Verwaltungsakt bestehe nur, wenn dieser rechtmäßig sei. Folglich habe der Adressat kein Recht auf die isolierte Aufhebung, "die mit der Konsequenz verbunden wäre, dass der materiell rechtswidrige und dem Adressaten nicht zustehende Verwaltungsakt weiterhin Geltung beanspruchte".

Der 4. Senat stellte sich dieser Ansicht entgegen. Er führte aus, das Erfordernis der Rechtmäßigkeit stehe in einem engen Zusammenhang mit der Teilbarkeit von Nebenbestimmung und Verwaltungsakt. Die Prüfung sei thematisch auf den Gegenstand der Nebenbestimmung beschränkt. Maßgeblich sei, ob zwischen der Nebenbestimmung und dem eigentlichen Inhalt des Verwaltungsakts "ein Zusammenhang besteht, der die isolierte Aufhebung ausschließt". Es komme hingegen nicht darauf an, "ob der verbleibende Verwaltungsakt über die in Zusammenhang mit der Nebenbestimmung stehenden rechtlichen Anforderungen hinaus in jeder Hinsicht rechtmäßig ist oder ein Anspruch auf seinen Erlass besteht". Sofern sich die Rechtswidrigkeit also nicht aus dem Wegfall der Nebenbestimmung ergibt, kann nach dieser Ansicht eine isolierte Anfechtungsklage auch dann begründet sein, wenn nach der Aufhebung der Nebenbestimmung ein rechtswidriger Verwaltungsakt verbleibt. 

Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen würde "entwertet" 

Würde der Fokus auf den Verwaltungsakt gelegt und erweise dieser sich als rechtswidrig, sei eine gerichtliche Prüfung der angefochtenen Nebenbestimmung nicht mehr erforderlich. "Damit geht das eigentliche Rechtsschutzanliegen der isolierten Anfechtungsklage ins Leere", so der Senat. Im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes sei es daher weder geboten noch angemessen, dem Anfechtungsprozess gegen die Nebenbestimmung die Last für sonstige Mängel des Verwaltungsakts aufzubürden. 

"Wäre eine isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen nur möglich, wenn der verbleibende Verwaltungsakt unter allen Gesichtspunkten rechtmäßig ist, läge eine unverhältnismäßige Last auf den Adressat:innen", kommentiert Lennart Kokott auf dem JuWissBlog. "Diese müssten im Fall einer Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die nicht mit der Nebenbestimmung zusammenhängt, entweder auf die Anfechtung verzichten und einen rechtswidrigen Verwaltungsakt mit einer rechtswidrigen Nebenbestimmung in Bestandskraft erwachsen lassen. Alternativ müssten Sie gleich den gesamten Verwaltungsakt samt Nebenbestimmung anfechten, was die Rechtsschutzmöglichkeiten verkürzen würde", so Kokott. Es sei Aufgabe der Behörde, im Fall einer erfolgreichen isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen den verbleibenden rechtswidrigen Verwaltungsakt zurückzunehmen oder zu widerrufen (§§ 48, 49 VwVfG) – mitsamt den Vorteilen des Bestands- und Vermögensschutzes für die Adressat:innen, die sich daraus ergeben. "Auf diese müsste die Adressatin eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit rechtswidriger Nebenbestimmung bei Anwendung der Sichtweise des 8. Senats in der Regel verzichten: Die Behörde wird im Normalfall kein Interesse haben, den Verwaltungsakt zurückzunehmen, wenn die Nebenbestimmung nicht erfolgreich angefochten werden kann."

Die Argumentation des abweichenden Senats hat offenbar auch die Richter des 8. Senats überzeugt. Sie haben ihre bisherige Rechtsauffassung nun aufgegeben, wie aus einem Beschluss von Mitte Oktober hervorgeht (Beschl. v. 12.10.2022 -BVerwG 8 AV 1.22). Darin heißt es: "Der 8. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hält an seiner Rechtsauffassung, dass eine belastende Nebenbestimmung, die einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügt wird, im Anfechtungsprozess nur dann isoliert aufgehoben werden darf, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist (BVerwG, Urteil vom 6. November 2019 - 8 C 14.18 - BVerwGE 167, 60 Rn. 19), nicht fest."

*  Aktualisierung: In der vorherigen Version wurde berichtet, der Streit sei noch nicht beigelegt und damit könne es zu einer Entscheidung des Großen Senats des BVerwG kommen. Das ist mit dem Beschluss vom 12. 10.2022 nun hinfällig.

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Nebenbestimmungen von Verwaltungsakten: BVerwG einigt sich im Streit um isolierte Anfechtung . In: Legal Tribune Online, 03.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50051/ (abgerufen am: 28.09.2023 )

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