Anwohner können gegen das "Gehwegparken" vorgehen – wenn sie davon erheblich beeinträchtigt sind. Das hat das BVerwG entschieden. Wann genau haben die Anwohner einen Anspruch auf das Einschreiten des Ordnungsamts?
Gerade in Städten ist der Parkraum begrenzt, deshalb sind zugeparkte Gehwege keine Seltenheit. Das sogenannte aufgesetzte Parken, also das Parken mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig, ist grundsätzlich verboten – außer, ein entsprechendes Verkehrsschild erlaubt es. In vielen deutschen Kommunen wie Bremen ist das aufgesetzte Parken dennoch verbreitet und Behörden dulden es.
Das wird sich nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aber bald ändern – zumindest, wenn die Nutzung des Gehwegs vor der eigenen Haustür "erheblich beeinträchtigt ist". In diesen Fällen haben betroffene Anwohner gegen die Straßenverkehrsbehörde einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten gegen die Falschparker (Urt. v. 06.06.2024, Az. 3 C 5.23). Das Urteil erging gegen die Stadt Bremen, dürfte aber weitreichende Folgen auch für andere Städte haben.
Das Gehwegparken ist nach § 12 Abs. 4 und 4a der Straßenverkehrsordnung (StVO) verboten. Demnach ist für das Parken "der rechte Seitenstreifen" zu benutzen. Nur wenn das Gehwegparken explizit erlaubt ist, darf man in Einbahnstraßen nach Abs. 4a beide Seiten benutzen, ansonsten nur den rechten Gehweg.
OVG Bremen: Spielraum der Behörde, ob sie einschreitet
Geklagt hatten fünf Hauseigentümer aus Bremen. Die Häuser stehen in Einbahnstraßen, in denen seit Jahren auf beiden Seiten nahezu durchgehend verbotswidrig auf den Gehwegen geparkt wird. Verkehrszeichen zum Halten und Parken gibt es dort nicht. Die fünf Anwohner hatten von der Stadt verlangt, Maßnahmen gegen dieses Gehwegparken zu ergreifen.
Die Stadt Bremen hatte ein Einschreiten abgelehnt. Auf den Widerspruch der Kläger hatte das Verwaltungsgericht Bremen die Bescheide der Stadt aufgehoben und die Stadt zwar nicht unmittelbar dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, aber neu über die Anträge der Kläger zu entscheiden. Wegen der Dauer und Häufigkeit der Beeinträchtigungen sei das Entschließungsermessen der beklagten Stadt Bremen auf Null reduziert (Urt. v. 11.11.2021, Az. VG 5 K 1968/19).
Damit bejahte bereits das Verwaltungsgericht die "drittschützende Wirkung" des Gehwegparkverbots. Drittschützende Wirkung bedeutet, dass eine Norm nicht nur die Allgemeinheit schützt, sondern explizit auch konkrete Personen, hier die betroffenen Anwohner. Nur im Falle einer drittschützenden Wirkung können einzelne Bürger die Behörde zum Einschreiten verpflichten.
Das Bremer Oberverwaltungsgericht (OVG) entschied anders als die Vorinstanz, dass das Entschließungsermessen der Behörde nicht auf Null reduziert sei. Die Behörde habe einen Spielraum, ob sie einschreite (Urt. v. 13.12.2022, Az. OVG 1 LC 64/22). Gänzlich tatenlos könne sie allerdings nicht bleiben.
BVerwG: Drittschutz für Anwohner nur auf "eigener" Straßenseite
Diese Auffassung bestätigte das BVerwG im Grundsatz. Da in der gesamten Stadt unerlaubt auf Gehwegen geparkt werde, könne die Stadt zunächst die am stärksten betroffenen Straßen ermitteln, auf denen besonders wenig vom Gehweg übrig sei.
Das BVerwG nahm ebenfalls eine drittschützende Wirkung des Gehwegparkverbots nach § 12 Abs. 4 und 4a StVO zugunsten der Kläger an und zwar insoweit als "Anwohner, die in der Nutzung des an ihr Grundstück grenzenden Gehwegs erheblich beeinträchtigt werden". Der Anspruch ist demnach also räumlich begrenzt. Anwohner müssen mit einer eigenen Beeinträchtigung argumentieren. Diese ist nach Auffassung des BVerwG – entgegen der Meinung des OVG – auf den Gehweg beschränkt, der auf der "eigenen" Straßenseite des Anwohners verläuft. Und umfasst sei in der Regel auch nur der nächste Straßenabschnitt bis zur Einmündung in die nächste (Quer-) Straße. In Bezug auf weitere Abschnitte des Gehwegs seien die Anwohner "gewöhnliche" Gehwegbenutzer und nicht mehr hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidbar.
Dies muss die Stadt Bremen berücksichtigen, wenn sie erneut über die Anträge der fünf Anwohner entscheidet.
Städte- und Gemeindebund fordert Novellierung des StVG
Kläger Wolfgang Köhler-Naumann aus Bremen sagte der dpa: "Es ist ein Novum in der deutschen Rechtsprechung, dass man bei Behinderung durch illegales Gehwegparken das Recht hat, zu fordern, dass die Kommune einschreiten muss". Allerdings sei es enttäuschend, dass die Stadt weiter auf Zeit spielen könne, um Maßnahmen umzusetzen.
Auch Henning J. Bahr, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, nannte die Entscheidung der dpa gegenüber "wegweisend". "Gewonnen haben die Kläger auf jeden Fall", so Bahr. Die Stadt Bremen werde verpflichtet, tätig zu werden, auch wenn sie sich nicht direkt um die Straßen der Kläger kümmern müsste.
Das Bremer Mobilitätsressort, das von Özlem Ünsal (SPD) geführt wird, lobte das Urteil. Es bestätige das Vorgehen des Ressorts. Man setze derzeit ein stadtweites Konzept um. "Wir nehmen unsere öffentliche Aufgabe sehr ernst", so Ünsal. Man werde gegen illegales Gehwegparken vorgehen.
Das Urteil schaffe Rechtssicherheit für Straßenbehörden, kommunale Ordnungsämter, Anwohner und nicht zuletzt für Verkehrsteilnehmer, teilte der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) am Freitag mit. Der DStGB fordert nun einen anderen Rechtsrahmen für die Kommunen, um die Aufteilung und Nutzung des öffentlichen Raums anzugehen. "Natürlich müssen Parkplätze für jene vorhanden sein, die auf ihr Auto angewiesen sind", hieß es in der Stellungnahme des Verbands. Es müssten aber auch Alternativen zum Auto gestärkt werden, also Radfahrer und Fußgänger sowie der ÖPNV. In dieser Hinsicht würde "die dringend notwendige Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes den Kommunen mehr Handlungsspielraum geben", so der DStGB.
fkr/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
BVerwG gibt Anwohnern Recht: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54722 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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