Das BVerfG bezieht keine Stellung zu der Frage, ob die Thüringer Corona-Verordnung im November 2020 möglicherweise über das Ziel hinausgeschossen ist. Eine Vorlage des Thüringer Verfassungsgerichtshofs sei unzulässig.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Vorlage des Thüringer Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) zu einer Corona-Verordnung aus dem Herbst 2020 für unzulässig erklärt. Damit äußern sich die Karlsruher Richterinnen und Richter nicht inhaltlich zu den aufgeworfenen Fragen. Das geht aus einem Beschluss des Ersten Senats hervor, der am Donnerstag veröffentlicht wurde (Beschl. v. 19.10.2022, Az. 1 BvN 1/21).
Der Thüringer VerfGH hat auf einen abstrakten Normenkontrollantrag der AfD-Landtagsfraktion zu entscheiden, ob die weitreichenden Grundrechtseingriffe durch die Anfang November 2020 in Kraft getretene und bis zum 30. November 2020 befristete Coronaverordnung eine ausreichende gesetzliche Grundlage hatten. Die im Wesentlichen auf die weit gefasste Generalklausel in § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gestützte Verordnung sah weitreichende Kontaktbeschränkungen vor, die überwiegend bußgeldbewehrt waren. Damals hatte es im IfSG noch keine speziellen Regelungen für Corona gegeben. Später wurde § 28a IfSG eingefügt, der eine gesetzliche Konkretisierung dafür enthält, welche besonderen Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 ergriffen werden können.
BVerfG: Keine Abweichung zu erkennen
Die Thüringer Coronaverordnung vom November 2020 war von der Neuregelung aber noch nicht betroffen. Zum Zeitpunkt der Erlass der Verordnung wurde intensiv darüber diskutiert, ob es angesichts der erheblichen Grundrechtseingriffe mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sei, dass nicht der Gesetzgeber selbst, sondern die Exekutive mittels Verordnungen festlege, welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie hinzunehmen seien.
Der Thüringer VerfGH hatte den Eindruck, dass er in der Frage anderer Auffassung ist, als das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt. So weiche etwa die Auffassung des Gerichts, dass ein Rückgriff auf eine Generalklausel in unvorhergesehenen Gefahrensituationen zum Zwecke einer effektiven Gefahrenabwehr für eine Übergangszeit verfassungsrechtlich zulässig sei, auch wenn Maßnahmen ergriffen würden, die im Lichte der Wesentlichkeitstheorie im Grunde näher regelungsbedürftig wären, von der Rechtsansicht des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalts ab.
Der VerfGH hatte das Verfahren deshalb ausgesetzt um eine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 3 Grundgesetz (GG) einzuholen. Nach der Norm hat das Gericht die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des BVerfG oder eines Landesverfassungsgerichts abweichen will.
Das BVerfG hielt die aus mehreren Fragen bestehende Vorlage aber für unzulässig. Eine beabsichtigte Abweichung bei der Auslegung des Grundgesetzt liege im Hinblick auf die Entscheidung aus Sachsen-Anhalt nicht vor. Die Frage, ob der Rückgriff auf die Generalklausel zulässig sei, habe das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt ausdrücklich offengelassen, weil ein Übergangszeitraum bei Erlass der dort angegriffenen Landesverordnung jedenfalls bereits abgelaufen gewesen sei. Der Entscheidung sei deshalb kein abweichender Rechtssatz zu entnehmen, befand das BVerfG.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG weist Divergenzvorlage zur Corona-Verordnung ab: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50200 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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