Kommt die Impfpflicht und wenn ja, für wen? Der Bundestag hat am Donnerstag über mehrere Anträge dazu debattiert. In drei Wochen soll voraussichtlich eine Entscheidung getroffen werden.
Der Bundestag hat am Donnerstag erstmals über die verschiedenen Anträge für und gegen eine Corona-Impfpflicht debattiert. Die Entscheidung, ob es dazu kommt, fällt voraussichtlich in drei Wochen. Dann ist die Abstimmung ohne Fraktionsvorgaben geplant. Auf dem Tisch liegen mehrere Vorschläge, bei denen sich auch Politiker unterschiedlicher Fraktionen zusammengetan haben.
Ein Vorschlag zur Impfpflicht ab 18 kommt von einer Gruppe um den Grünen-Politiker Janosch Dahmen und SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Wie die SPD-Abgeordnete Heike Baehrens sagte, unterstützen ihn 237 Parlamentarier aus vier Fraktionen. Darunter sind - als Abgeordnete - Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Dem Entwurf zufolge würde eine Impfpflicht ab 1. Oktober greifen und wäre bis Ende 2023 befristet. Erwachsene müssten ab Oktober in der Lage sein, einen Impf- oder Genesenennachweis vorzuzeigen, sonst droht Bußgeld. Ausgenommen sind Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel und Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.
Eine Gruppe um den FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann spricht sich für eine Beratungspflicht und eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahren aus. Dem Vorschlag haben sich laut Ullmanns Büro bisher 45 Politiker angeschlossen, darunter SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Agrarminister Cem Özdemir (Grüne). Sie argumentieren, dass besonders bei Ungeimpften ab 50 ein "erheblich höheres Risiko" für schwere Corona-Verläufe und Krankenhauseinweisungen bestehe. Der konkrete Vorschlag: Ungeimpfte Erwachsene sollen zu einer ärztlichen Pflicht-Impfberatung. Je nach Corona-Lage und Stand der Impfkampagne könnte der Bundestag in einem zweiten Schritt eine Impfpflicht ab 50 beschließen. Auch diese Regelungen wären bis Ende 2023 befristet.
Union will Impfregister
CDU und CSU machen als Fraktion einen eigenen Vorschlag: Ein Impfregister soll aufgebaut werden, damit klar wird, wer überhaupt geimpft ist und wer gezielt angesprochen werden müsste. Einen Impfpflichtbeschluss zum jetzigen Zeitpunkt lehnt die Union ab und spricht sich stattdessen für einen "gestuften Impfmechanismus" aus, den Bundestag und Bundesrat bei verschärfter Pandemielage in Kraft setzen könnten. Dieser könnte dann zwar theoretisch auch eine Impfpflicht vorsehen, aber nur für bestimmte besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen.
Einen Antrag gegen eine Impfpflicht hat eine Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki eingebracht. Ihm haben sich nach Angaben aus Kubickis Büro 50 Abgeordnete angeschlossen, darunter Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht von der Linken. Argumentiert wird unter anderem damit, dass es ungeklärte Fragen bei Schutzdauer und Schutzumfang einer Corona-Impfung gebe und dass immer wieder versprochen worden sei, dass es keine allgemeine Impfpflicht geben werde. Neben diesem übergreifenden Antrag hat die AfD einen Antrag gegen eine Impfpflicht eingebracht. Diese wäre "verfassungsrechtlich nicht zulässig".
Bei der Abstimmung reicht eine einfache Mehrheit. Das heißt, es müsste nicht mindestens die "Kanzlermehrheit" von 369 aller 736 Abgeordneten dafür stimmen. Bei der Impfpflicht würde es reichen, wenn ein Antrag von den anwesenden Parlamentariern mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommt. Da sich vorerst keine klaren Mehrheiten abzeichnen, wird nach Kompromissen gesucht, etwa ein Zusammenführen von Vorschlägen. Verhindert werden muss nach Angaben eines Bundestagssprechers, dass zwei widersprüchliche Anträge angenommen werden.
Habeck: "Die Menschen in diesem Land haben es satt"
Vor dem Hintergrund immer neuer Höchststände bei den Corona-Infektionen hat sich der Bundestag nun einen Schlagabtausch über die Anträge geliefert. Mehrere Rednerinnen und Redner warnten vor neuen Freiheitseinschränkungen im Herbst ohne Impfpflicht. Andere wandten sich strikt gegen eine Pflicht. Kurz vor dem geplanten Wegfall der meisten noch geltenden bundesweiten Corona-Auflagen gab es weiter Streit um die künftigen Schutzregeln.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte vor den Abgeordneten: "Wir können die Pandemie für Deutschland zum ersten Mal beenden mit der Impfpflicht. Wir stehen im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt, wenn wir diese einmalige Chance nicht gemeinsam ergreifen." Um das abzuwenden, braucht es laut Lauterbach eine Impfquote von deutlich über 90 Prozent bei Über-60-Jährigen und eine hohe Quote insgesamt. Derzeit sind 75,8 Prozent der Bevölkerung grundimmunisiert. 58,1 Prozent haben zusätzlich eine Auffrischimpfung. Bei den Über-60-Jährigen haben 78,3 Prozent Auffrischimpfungen bei 88,7 Prozent Grundimmunisierten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte: "Die Menschen in diesem Land haben es satt. Bringen wir diese Pandemie endlich hinter uns, erledigen wir das Virus und kehren wir dann zur Freiheit zurück." Habeck mahnte: "Die Freiheitsinterpretation der wenigen darf nicht zur permanenten Freiheitseinschränkung der vielen führen."
Der Schlagabtausch im Bundestag
Deutlich wurden gegensätzliche Ansichten quer durch die Fraktionen. So wandte sich Tabea Rößner von den Grünen gegen eine Impfpflicht: "Viele haben Ängste, einige berichten von starken Impfreaktionen."
Der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte: "Bei Masern war ich dafür, weil das die Krankheit ausrottete, das schafft der Impfstoff hier nicht." 30 000 Menschen pro Tag müssten überzeugt werden - das könne gelingen. AfD Fraktionschefin Alice Weidel rief die Befürworter auf, ihre Anträge zurückzuziehen: "Sie reiten ein totes Pferd, bitte steigen Sie ab." Eine Impfpflicht verletze Grundrechte.
Der CDU-Abgeordnete Sepp Müller warb um Zustimmung für den Antrag der Union zum Aufbau eines Impfregisters. Dieser sei mehrheitsfähig. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Impfpflicht tot." In wütendem Stakkato forderte die jüngste Abgeordnete, Emilia Fester (Grüne), die Impfpflicht: "Nicht die Impfpflicht ist die Zumutung, sondern keine Impfpflicht ist die Zumutung."
Der FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann warb für den von ihm mitinitiierten Antrag als Kompromiss. "Unser Gesetzentwurf baut Brücken." Es dürfe in diesem Jahr nicht wieder zu einem Weihnachten mit Einschränkungen kommen, mahnte Ullmann.
dpa/acr/pdi/LTO-Redaktion
Erste Debatte über Impfpflicht im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47873 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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